Die ehemals kurpfälzische Residenzstadt Mannheim ist dank ihrer günstigen Lage am Zusammenfluss von Rhein und Neckar eine bedeutende Handels- und Industriestadt im südwestdeutschen Raum und nach dem Regierungssitz Stuttgart die zweitgrößte Stadt Baden-Württembergs. Die Mannheimer Hafenanlagen gehören zu den größten des europäischen Binnenlandes. 1782 ging Mannheim in die Theatergeschichte ein: im Nationaltheater fand die Uraufführung von Friedrich Schillers Drama „Die Räuber“ statt.
Eine neue Stadtgesellschaft
Deutschland ist ein Einwanderungsland. Nirgendwo sonst zeigt sich das so wie in Mannheim. Als Hafen- und Handelsstadt legte sie bereits im 17. Jahrhundert mit einer gewollten Einwanderungspolitik den Grundstein. Menschen aus 167 Nationen leben heute hier.
Die Vielfalt prägt das Leben in der Stadt und will kulturell wahrgenommen werden. Damit einer Gesellschaft das Zusammenleben gelingen kann, ist eine Klammer notwendig. Ein Theater kann dazu beitragen.
Wie will man künftig in Mannheim zusammenleben? Welche Rolle spielen dabei die verschiedenen Biografien, die geografischen, ethnischen oder religiösen Hintergründe und Erfahrungen, die verschiedenen kulturellen Bedürfnisse und Vorlieben? Wie lassen sich die Herausforderungen der Einwanderungsgesellschaft als Chance begreifen?
Diesen Fragen will sich das Theater kommenden Jahren verstärkt widmen und so beschreibt es das Haus selbst auf seiner Internetseite. Das Nationaltheater Mannheim (NTM) wurde als eine unter wenigen Kulturinstitutionen für das Förderprogramm „360° Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft -Nachhaltigkeit und Zukunft neue Stadtgesellschaft“ der Kulturstiftung des Bundes ausgewählt und begreift es als Anerkennung und Ansporn.
Doch wie fing einmal alles an? Ich treffe meine ehemalige Kollegin Nina. Wir kennen uns vom Theater in Esslingen, der Württembergischen Landesbühne. Es war Anfang des Jahrtausends. Nina war damals junge Dramaturgin und ich Theaterpädagogin. Jetzt ist Nina schon viele Jahre Inspizientin am NTM – das ist diejenige, die hinter der Bühne die Fäden der laufenden Vorstellung zusammenhält. Die Einsätze für Licht und Ton gibt und die die Schauspieler auf die Bühne ruft. Nina bringt mich auf folgendes:
Dahlberg, Iffland, Schiller – an historischem Platz
In den Jahren 1777/78. Der kunstsinnige und relativ liberale Freiherr und Freigeist Wolfgang Heribert von Dahlberg konnte den pfälzischen Kurfürsten Karl Theodor, der nach Übernahme des bayerischen Thrones seine Residenz nach München verlegte, dazu bewegen, das Theater zu erhalten und in den Besitz der Stadt Mannheim zu überführen. Das heute älteste Stadttheater Deutschlands war gegründet. Der künstlerische Aufstieg der Bühne begann mit dem Engagement einer Gruppe junger Schauspieler aus Gotha. Unter ihnen stach der gerade 19-jährige August Wilhelm Iffland hervor, der 1782 bei der legendären Uraufführung von Friedrich Schillers berühmtem Theaterstück „Die Räuber“ den Franz Moor spielte. Schiller, damals zweiundzwanzig, war aus Stuttgart zuerst nach Thüringen und dann nach Mannheim geflohen, da ihm in Stuttgart wegen unerlaubter Entfernung vom Dienst – er war Militärarzt – Festungshaft drohte. Diese Aufführung begründete den Ruf des jungen Autors. In Mannheim fand er kreatives Asyl. Hier arbeitete er auch an „Kabale und Liebe“ und „Don Karlos“. Er war der erste Hausautor am NTM.
Iffland entwickelte eine bestimmte Spielweise, erst für sich, dann als verantwortlicher Spielleiter für das gesamte Ensemble. Dieser „Mannheimer Stil“ zeichnete sich durch eine gewisse Überhöhung und Verschönerung aus, ohne allerdings die Ebene des Wahrscheinlichen und Glaubwürdigen zu verlassen. Ausschließlich in deutscher Sprache zu spielen galt damals als innovativ. Unter dem Intendanten Wolfgang Heribert von Dahlberg erlebte das Mannheimer Theater eine große Blüte. Das NTM ist heute eines der größten und ältesten kommunalen Repertoiretheater in Deutschland. Insbesondere die Arbeit Schillers prägt bis heute das Haus. Im Zwei-Jahres-Rhythmus finden die international ausgerichteten Schiller-Tage statt und das NTM engagiert jährlich einen Hausautor. In dieser Spielzeit 2020/21 ist es Necati Öziri. Der im Ruhrgebiet aufgewachsene Autor und Dramaturg war zuvor am Berliner Maxim-Gorki-Theater.
Weiter ergänzt Nina:
Ach ja: Denn nach Iffland benannten „Iffland-Ring“ gibt es noch heute. Per Testament wird der diamantbesetzte Ring aus Eisen von seinem Träger an den seiner Meinung nach „jeweils bedeutendsten und würdigsten Bühnenkünstler des deutschsprachigen Theaters“ auf Lebenszeit verliehen. Der vorletzte Träger war von 1996 bis 2019 Bruno Ganz, der ihn an Jens Harzer weitergab.
Das NTM im Spiegel der Zeiten und ein „Parsifal“, der die Zeit überstanden hat
Das traditionsreiche Nationaltheater Mannheim ist ein Vierspartenhaus:
Oper, Schauspiel, Tanz, Junges Nationaltheater. Über 1000 Vorstellungen mit mehr als 350 000 Besuchern zeugen vom Erfolg des Hauses, ebenso wie eine überregionale Berichterstattung, die die ca. 45 Premieren und die zahlreichen Wiederaufnahmen würdigt.
Der repräsentative Neubau aus dem Jahre 1957 wurde von dem Architekten Gerhard Weber anstelle des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Hof- und Nationaltheaters konzipiert. Ein fünfköpfiges Direktorium leitet das NTM seit 2013. Macht aufzuteilen ist ein kluger Schachzug. Denn niemand kann alles wissen und alles allein schaffen. Am Theater herrschen insgesamt mitunter sehr hierarchische um nicht zu sagen „höfische Strukturen“ – aber die Zeiten ändern sich.
Ab 2023 wird das Haus komplett saniert. Dies dauert mindestens vier Jahre und in dieser Zeit wird auf Ersatzspielstätten in der ganzen Stadt gespielt.
Ach ja da ist noch etwas: Die Oper Mannheim wurde mehrfach ausgezeichnet. 2015 wurde sie Opernhaus des Jahres und lieferte mehrfach die Uraufführung des Jahres. So für „Esame di mezzanotte“ von Luca Ronchetti. Für das Bühnen- und Kostümbild dazu erhielt Achim Freyer, der schon oft am Haus arbeitete, 2016 den FAUST, die höchste Theaterauszeichnung. Im gleichen Jahr auch Peter Konwitschny für die Regie von Fromental Halévys „La Juive“. Und so geht es gerade weiter. Die Oper Mannheim hat noch ein besonderes Fundstück zu bieten: „Parsifal“ von Richard Wagner in der Inszenierung des ehemaligen Intendanten des NTM, Hans Schüler, steht seit 1957 auf dem Spielplan und wird seither jährlich am Karfreitag gegeben. Auch an einigen weiteren Terminen um Ostern. Dafür lohnt sich eine Anreise mit dem Bus, denn das großartige Werk dauert 5 Stunden – wenn man sich rechtzeitig um Karten bemüht, ist dieser besondere „Parsifal“ eine Reise wert!
Und Mannheim.
Link
www.nationaltheater-mannheim.de
Quellen
Website Nationaltheater Mannheim
Peter Simhandl: Theatergeschichte in einem Band, Henschel Verlag Berlin, 1992.
Barbara und Günter Albrecht: Die Sterne dürftet ihr verschwenden, Schauspielererinnerungen, Buchverlag der Morgen, Berlin, 1980.