Nach dem Besuch des Schlosses Genshagen bringt uns unser Reisebus in das benachbarte Ludwigsfelde, wo wir Waldemar Grzimeks Heinrich-Heine-Denkmal anschauen wollen.
Unser Autor berichtet von Heines Studienzeit an der Berliner Universität, an die Entstehung der Briefe aus Berlin und von den vier Grzimek’schen Heine Skulpturen in der Bundesrepublik.
Der im ostpreußischen Rastenburg im Jahr 1918 geborene Bildhauer Waldemar Grzimek stammte aus einer schlesischen Familie, die nach dem für das Deutsche Kaiserreich verlorenen I. Weltkrieg in die lebendige Spree-Metropole Berlin gezogen war. Der Anlass für den Umzug bildete eine gewonnene Wahl von Waldemars Vater, dem Rechtsanwalt Günther Grzimek, der daraufhin als linksliberaler Abgeordneter in den in der alten Berliner Stadtmitte gelegenen Preußischen Landtag einzog.
Grzimek junior studiert Bildhauerei – wird Professor an zwei Berliner Kunsthochschulen und fertigt das Ludwigsfelder Heinrich-Heine-Denkmal an
Nach seiner erfolgreichen Gymnasiastenzeit absolvierte Waldemar Grzimek eine vielversprechende Lehre als Steinmetz und studierte anschließend Bildhauerei. Nachdem er sein anspruchsvolles Studium beendet hatte, diente er bis zum Ende des II. Weltkriegs in der Deutschen Reichsmarine. Nach dem katastrophalen Zusammenbruch der totalitären Nazi-Diktatur war es Grzimek vergönnt, als einer von wenigen Persönlichkeiten abwechselnd sowohl in Ost- als auch in Westdeutschland als ordentlicher Professor an der renommierten Kunsthochschule Berlin-Weißensee und an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin-Charlottenburg zu lehren sowie als freier Bildhauer zu arbeiten.
Grzimek erklärte sich am Anfang der 1950er Jahre gerne bereit, anlässlich des 100. Todestages von Heinrich Heine († 1856) ein würdevolles Denkmal für den großen Lyriker und Schriftsteller anzufertigen. Pünktlich zu den offiziellen Feierlichkeiten im Jahr 1956 wurde Grzimeks ansehenswerte Bronzeskulptur des sitzenden Heine im sogenannten Ludwigsfelder Dichterviertel eingeweiht. Um den schmalen Sandsteinsockel des meisterhaften Monuments verläuft ein bronzener Relieffries, der diverse Szenen aus dem Krieg und dem Frieden darstellt.
Während der näheren Betrachtung der beachtlichen Skulptur drängt sich uns die berechtigte Frage auf, was der geborene Rheinländer Heine mit dem damaligen Preußen zu tun hatte? Auf Heinrich Heines zweijährige Berliner Episode soll nachfolgend näher eingegangen werden.
Metamorphose Berlins von der preußischen Residenzstadt zur deutschen Kulturmetropole
Ab den frühen 20er Jahren des 19. Jahrhunderts hatte sich die preußische Residenzstadt Berlin einerseits rapid zu einer über 200.000 Einwohner zählenden Großstadt an der Spree und andererseits zu einer deutschen Kulturmetropole par excellence gewandelt.
Außerdem gelang es der im Jahr 1809 gegründeten Alma Mater Berolinensis, der damaligen Friedrich-Wilhelms-Universität und heutigen Humboldt-Universität zu Berlin, zahlreiche Gelehrte ersten Ranges an sich zu ziehen, die alsbald humanistische Geistesgeschichte verfassen werden.
Heinrich Heine an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin immatrikuliert
Gleichermaßen hörte der an der Friedrich-Wilhelms-Universität immatrikulierte Student der Rechte, der im heiteren Düsseldorf geborene Heinrich, eigentlich Harry Heine, vom April 1821 bis zum Mai 1823 vier Semester die gut besuchten Vorlesungen der berühmtesten Berliner Professoren. Beispielsweise machte sich der 24-jährige Jurastudent mit Georg Wilhelm Friedrich Hegels idealistischer Philosophie vertraut. Neben seinen einzelnen Studien ging der aufgeschlossene Rheinländer nicht nur zu gefeierten Theateraufführungen und neuen Operninszenierungen, sondern er durchstreifte auch die mondänen Cafés in der quirligen Berliner Stadtmitte und er beobachtete die politischen Intrigen im In- und Ausland mit großem Interesse.
Manche Erinnerungen halten ein Leben lang – Heinrich Heine im Salon der Rahel Varnhagen – die Briefe aus Berlin werden publiziert
Seine bleibendsten Erinnerungen aus seiner fruchtbaren Berliner Zeit dürften für den agilen Heine dessen häufige Besuche der stadtbekannten Gesellschaften von Rahel und Karl August Varnhagen von Ense gewesen sein. Unter den mütterlichen Fittichen der geistreichsten Frau des Universums, wie Harry Heine die attraktive Salonnière Rahel Varnhagen zeitlebens nannte, verdiente er sich nicht nur seine ersten Meriten als begabter Lyriker, sondern er traf auch auf einzelne Mitglieder der bekannten Familie Mendelssohn, auf Ludwig Börne, E.T.A. Hoffmann, Christian Diedrich Grabbe und auf den Fürsten von Pückler-Muskau. Heines amüsante und unterhaltsam geschriebene Briefe aus Berlin, die er in jenem Jahr, 1822, im vertrauten Feuilleton des Rheinisch-Westfälischen Anzeigers publizierte, veränderten nicht nur die althergebrachte Reiseliteratur, sondern sie bildeten auch eine frühe Form der sogenannten Flaneurliteratur. Auch aus diesem Grund wurde Deutschlands prominentester Publizist, Julius Campe, des legendären Hamburger Buchverlags Hoffmann & Campe, auf den talentierten Dr. jur. Heine aufmerksam. An dieser Stelle möchte unser Autor seiner geneigten Leserschaft ein entzückendes Heine-Gedicht aus dessen brillant verfassten Briefen aus Berlin vorstellen:
Ja, Freund, hier unter den Linden,
Kannst du dein Herz erbaun,
Hier kannst du beisammen finden
Die allerschönsten Frau’n.
Sie blühn so hold und minnig
Im farbigen Seidengewand;
Ein Dichter hat sie sinnig
Wandelnde Blumen genannt.
Welch schöne Federhüte!
Welch schöne Türkenschals!
Welch schöne Wangenblüte!
Welch schöner Schwanenhals!
Heinrich Heine – Briefe aus Berlin
Lange Bekanntschaft mit Alexander von Humboldt – dem gefeierten Universalgenie Europas
Rahel und Karl August Varnhagen stellten den leutseligen Heinrich Heine auch dem älteren Alexander von Humboldt vor. Wenngleich der mit zahllosen Elogen überhäufte Naturwissenschaftler und Entdeckungsreisender das gefeierte Universalgenie Europas war, faszinierte ihm der junge Doktor Heine. Weil jene tiefe Sympathie auf positiver Gegenseitigkeit beruhte, blieb auch der begnadete Literat sein Leben lang von dem weltumspannenden Charakter Humboldts fasziniert. Es ist uns überliefert, dass der in Berlin-Tegel geborene Kosmopolit den seit den frühen 1830er Jahren im Pariser Exil lebenden Dichter bei jedem seiner vielen Besuche in der charmanten Seine-Metropole aufsuchte. Bis unmittelbar vor seinem leider viel zu früh erfolgten Tod hatte Heinrich Heine dem geliebten und hoch gefeierten Alexander von Humboldt herzliche Grüße nach Berlin übermitteln lassen.
Heinrich Heine und die Berliner Unikate – noch zweimal zog es den Dichter an die Spree
Ungeachtet dessen, dass Heinrich Heine niemals ein echter Berliner werden konnte, prägten ihn allzeit die weltoffene preußische Kulturmetropole und ihr tolerantes geistiges Klima. Überdies teilte Heine mit den munteren Berlinern deren flotte Neigung zum sarkastischen Sprachwitz und zu beißenden Mokerien. Folglich verwundert es uns nicht, dass er nach seiner erfolgten Abreise aus der pulsierenden Spree-Metropole im Frühsommer 1823 bereits im darauf folgenden Jahr 1824 und noch einmal 1829 erneut gerne in Berlin zu Gast war.
Heine hätte gelächelt – in Berlin gibt es gleich zwei Heine-Denkmäler von Waldemar Grzimek
Im übertragenden Sinn hat Heinrich Heine gleich eine doppelte Kuriosität in der gut besuchten Berliner Stadtmitte hinterlassen, die den lebensklugen Polemiker sicherlich zu einem breiten Schmunzeln veranlasst haben dürfte. Die Besonderheit liegt nun darin, dass aufgrund einer langjährigen kulturpolitischen Animosität zwei identische und nur wenige Kilometer voneinander entfernt befindliche Kopien des von Waldemar Grzimek geschaffenen Ludwigsfelder Heine-Denkmals im repräsentativen Berliner Stadtzentrum platziert worden sind. Ein erster Abguss steht seit 1958 in dem in der eingemeindeten Rosenthaler Vorstadt gelegenen Volkspark am Weinbergsweg.
Zudem befindet sich ein von Peter Dussmann gestifteter bronzener Neuguss nach der famosen Wiedervereinigung der beiden Berliner Stadthälften an seinem ursprünglich vorgesehenen Platz, am sogenannten Kastanienwäldchen, unweit des bekannten Linden-Boulevards in der unmittelbaren Nähe des Maxim Gorki Theaters, dem einstigen Sitz der Sing-Akademie zu Berlin. Diese neue Skurrilität einer der jüngeren Hauptstädter Geschichten hätte dem scharfen Spötter Heine bestimmt sehr gut gefallen.
Darüber hinaus gelangte eine erste Kopie des angefertigten Neugusses der Heine-Skulptur vom stillen Kastanienwäldchen im Jahr 2010 bis an den neben der Bremer Kunsthalle verlaufenden Altenwall. Diese unter zur Hilfename einer Gipsform hergestellte Bronzekopie ist ein gemeinsames Geschenk der beiden Ehrenbürger Hollweg und Hübotter an ihre an der Weser gelegenen Heimat- und Hansestadt Bremen.
Hinweise
Heine-Denkmal in Ludwigsfelde – Original des Bildhauers Grzimek
Heinrich-Heine-Platz im Dichterviertel hinter dem Rathaus in 14974 Ludwigsfelde
Heine-Denkmal im Volkspark am Weinbergsweg – erste Ludwigsfelder Kopie
Weinbergsweg 14-20, ehemalige Rosenthaler Vorstadt ∙ 10119 Berlin-Mitte
Heine-Denkmal am Kastanienwäldchen – der von Dussmann gestiftete Neuguss
Am Festungsgraben 2 ∙ 10117 Berlin-Mitte
Heine-Denkmal in Bremen – Kopie vom Neuguss am Kastanienwäldchen
Am Altenwall, neben der Kunsthalle ∙ 28195 Bremen
Alle Heinrich-Heine-Denkmäler sind hindernisfrei erreichbar.
Lesenswert
Heine, Heinrich: Briefe aus Berlin, in: Reisebilder. Gesammelte Werke, Dritter Band. Berlin, 1954