Unser Bus der Linie 100 hält am Bebelplatz. Vier bedeutende Berliner Baudenkmäler sind auf dem einst als Opernplatz bezeichneten Terrain gruppiert, die wir nacheinander anschauen wollen. Wir beginnen unsere Exkursion bei der Alten Bibliothek, dessen markante Fassade zu den schönsten Gebäuden des Friderizianischen Rokokos über Berlins Stadtgrenzen hinaus gehört.
Die von den Berlinern aufgrund ihrer geschwungenen Bauform augenzwinkernd als „Kommode“ bezeichnete Alte Königliche Bibliothek bildet zusammen mit der heutigen Humboldt-Universität, der Staatsoper Unter den Linden und der Sankt-Hedwigs-Kathedrale ein städtebauliches Ensemble, dessen ursprüngliche Idee auf Georg Wenzeslaus von Knobelsdorff zurückging. Architekt Knobelsdorff, der bereits den Apollo-Rundtempel in Neuruppin erbaut hatte, plante mit der zwischen der jetzigen Behrenstrasse und dem Boulevard Unter den Linden befindlichen Alten Bibliothek den westlichen Teil des heutigen Bebelplatzes abzuschließen und zu vollenden. Um eine bauliche Harmonie zwischen den einzelnen Gebäuden des Platzes herzustellen, hätte die Alte Bibliothek in ihrem Aufbau und in ihrer Gliederung der ebenfalls von Knobelsdorff erbauten und vis-à-vis gelegenen Königlichen Hofoper, die derzeitige Staatsoper, gleichen müssen. Knobelsdorff war es hingegen nicht vergönnt, sein städtebauliches Konzept in die praktische Tat umzusetzen. Allerdings bekam der große aus vier gegenüberliegenden Gebäuden bestehende Platz, im Nachklang an die imposanten kaiserlichen Forumsanlagen im antiken Rom, den klangvollen Namen Forum Fridericianum – der „Stadt- bzw. Marktplatz Friedrichs“, womit König Friedrich der Große gemeint war.
Das architektonische Konzept der Alten Bibliothek
Nachdem sich der Auftraggeber des Bibliotheksneubaus, Friedrich der Große, mit seinem bisherigen Meisterarchitekten Knobelsdorff überworfen hatte und jener zudem 1753 in Berlin verstorben war, wurde infolgedessen mit der Planung der Königlichen Bibliothek der fränkische Architekt Georg Christian Unger beauftragt. Anschließend führte der Potsdamer Baumeister und frühere Artillerie-Oberst Georg Friedrich Boumann Ungers detaillierte Planungen in der Praxis aus. Für den heutigen Betrachter ist es interessant zu vergleichen, dass die Alte Bibliothek nicht nur in ihrer geschwungenen Bauform, sondern auch mit ihrer barocken Fassade in frappanter Weise dem sogenannten Michaelertrakt der Wiener Hofburg ähnelt. Tatsächlich war die Alte Bibliothek anhand von Stichen und Modellen bekannt gewordener Pläne des österreichischen Architekten Joseph Emanuel Fischer von Erlach aus dem frühern 18. Jahrhundert adaptiert worden. Friedrich der Große hatte seinen fränkischen Architekten Unger persönlich angewiesen, den ursprünglichen Entwurf aus Wien als Vorlage für den Bau der Berliner Bibliothek zu verwenden. Ironischerweise wurde aber der Michaelertrakt der Hofburg tatsächlich erst im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts erbaut, so dass unsere in den Jahren 1775-80 errichtete Königliche Bibliothek am Bebelplatz somit älter als das Wiener Original ist.
Allerdings unterscheidet sich die endgültige architektonische Bauform der Alten Bibliothek, wie wir sie heute vor uns sehen, von den sie umgebenden Bauten – der Humboldt-Universität, der Staatsoper und der Sankt-Hedwigs-Kathedrale. Somit wurde Knobelsdorffs ursprünglich beabsichtigtes städtebauliches Gesamtkonzept des Forums Fridericianum, des nunmehrigen Bebelplatzes, leider nicht verwirklicht.
Friedrich der Große verordnet seinen Berlinern „Geistige Nahrung“
In Berlin hatte bereits seit dem Ende des 17. Jahrhunderts im sogenannten Apothekenflügel des Stadtschlosses der Hohenzollern am Ufer der Spree eine Bibliothek existiert, die aber lediglich ausgewählten Besuchern zugänglich war. Friedrich der Große, als aufgeklärter Monarch, wollte nun mit seinem ausgeführten Neubau der Königlichen Bibliothek sowohl die Wissenschaft und die Literatur als auch die übrigen Künste dem breiteren Bürgertum zugänglich machen. Auf die ehrgeizigen Pläne des Königs, das Bildungsniveau seiner bürgerlichen Untertanen zu verbessern, das schließlich dem aufstrebenden preußischen Staat in Gänze zugute kommen würde, weisen die goldfarbigen Lettern an der Fassade der Alten Bibliothek hin. Mit den lateinischen Worten – „Nutrimentum Spiritus“ – „geistige Nahrung“ – wurden die Berliner Bürger von ihrem klugen Monarchen dazu eingeladen, sich diese „Speise“ in der neu erbauten Bibliothek zu besorgen.
In den folgenden Jahrzehnten zeigte die vorausschauende Zukunftsvision Friedrichs des Großen von einem gebildeten Bürger in seinem durchorganisierten Staat die ersten sichtbaren Früchte. Folglich hatten sich die Buchbestände in der Alten Bibliothek zu einer der größten und bedeutendsten Sammlung im gesamten deutschsprachigen Raum entwickelt. Im Jahre 1895 zählte sogar der russische Kommunist Wladimir Iljitsch Uljanow, der später als Lenin in die Weltgeschichte eingehen wird, zu den regelmäßigen Lesern in der Alten Königlichen Bibliothek. Dementsprechend hatte die DDR zur Erinnerung an Lenins Anwesenheit den Platz von dessen Studien in Lenin-Lesesaal umbenannt.
Zerstörung und Wiederaufbau der Alten Bibliothek
Im Verlauf der alliierten Bombardements während des Zweiten Weltkrieges wurde auch die Alte Bibliothek schwer beschädigt. Glücklicherweise konnte in den 1960er Jahren die barocke Fassade getreu nach ihrem historischen Vorbild unter der Leitung von Werner Kötteritzsch wieder aufgebaut werden. Architekt Kötteritzsch veränderte und modernisierte jedoch die Innenräume komplett neu. In unseren Tagen ist die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin in der Alten Bibliothek untergebracht. Als unser Buskompass-Autor vor gut 20 Jahren an der altehrwürdigen Almer Mater Berolinensis selbst studiert hat, war ihm das seltene Vergnügen zuteil geworden, einige Male die Räume der Alten Bibliothek persönlich in Augenschein zu nehmen. Er kann seinen geneigten Lesern versichern, dass die barocke Pracht der Fassade den nüchternen und zweckdienlichen Charakter der heutigen Inneneinrichtung ein wenig in den Schatten stellt.
Hinweis
Bebelplatz 1 / Ecke Unter den Linden 11, 10117 Berlin-Mitte
Telefon: 030 / 2093 3301
Anfahrt: Buslinien 100 & 200 + U-Bahn U2
Die Alte Bibliothek ist für das breite Publikum nicht zugänglich.
Lesenswert
Büttner, Horst; u.a.: Kunstdenkmäler, Bildband, hg. vom Institut für Denkmalpflege. Berlin 1987
Pilz, Georg: Kunstführer. Leipzig • Jena • Berlin 1972