Piet Mondrian, Mies van der Rohe, Le Corbusier, Walter Gropius, Hugo Häring. Sie alle stecken hinter der Geschichte von Haus Schminke in der Oberlausitz. Was hat den Architekten Hans Scharoun in die Provinz verschlagen? Und warum sieht dieses Fest der Architektur aus wie ein Schiff? Wir erzählen Ihnen die ganze Geschichte!
Auf halber Strecke zwischen Bautzen und Görlitz an der B6 liegt das heute am Ortsrand von Gewerbe(gebieten) geprägte und gut 15.000 Einwohner zählende Löbau. Hier in der östlichen Oberlausitz, gut einhundert Kilometer Luftlinie von Dresden entfernt, besuchen wir eine Bauikone des 20 Jahrhunderts. Ein Stahlskelettbau mit viel Glas, klarer Struktur und organisch ausladenden Terrassen erstreckt sich über zwei Etagen und öffnet sich nach Norden zu einem Garten hin. Das hat einen Grund, denn im Süden lag die Nudelfabrik der Fabrikantenfamilie Schminke. Bauherren des gleichnamigen Hauses, das eine interessante Entstehungsgeschichte hat und in seiner Formensprache an ein Dampfschiff des frühen 20. Jahrhunderts erinnert. Aber der Reihe nach. Mit dem Ersten Weltkrieg hatte das Bauen im Stil des Historismus und vor allem im Jugendstil ein Ende gefunden. Jedenfalls drängten die jungen Künstler und Architekten der Moderne in einen neuen Baustil, der dann als Neues Bauen in die Geschichte eingehen sollte. Berühmte Architekten wie Mies van der Rohe (1886-1969), Le Corbusier (1887-1965) und eben auch der in Bremen und Bremerhaven aufgewachsene Hans Scharoun (1893-1972) gehörten dazu. Freilich gab es auch große Unterschiede zwischen den Stellvertretern der neuen Epoche. Während Erstgenannte einen klaren sachlichen Stil forderten und umsetzten, der von Kuben, symmetrischen Gliederungen und strengen Linien gekennzeichnet war, war das die Sache von Hans Scharoun nicht ganz. Das lag vor allem daran, dass er in die Fußstapfen seines architektonischen Vorbildes Hugo Häring (1882-1958) trat. Jener war Sohn eines Schreiners gewesen und vertrat das sogenannte Organische Bauen. Als Architekturtheoretiker verstand Häring darunter, dass auch in einer Zeit, in der Schnörkel, Verzierungen und geschwungene Formen nicht mehr angesagt waren, in der Architekturavantgarde dennoch eines wichtig war: es sollte nicht alles den exakt geraden Linien unterworfen sein und nicht von außen nach innen konzipiert werden. Er dachte vielmehr organisch vom Zweck her und gleichsam vom Inneren eines Gebäudes heraus – also von den Ansprüchen der Bewohner her. Von Häring stammt die Aussage: Die Gestalt der Dinge kann identisch sein mit geometrischen Figuren […] doch ist, in der Natur, die geometrische Figur niemals Inhalt und Ursprung der Gestalt.
Hans Scharoun. Von der Küste in die Oberlausitz
Die schon angesprochene Ähnlichkeit des Haus Schminke mit einem Schiff mag daher kommen, dass Hans Scharoun als kleiner Junge und Jugendlicher viel in Bremerhaven unterwegs war. Dort, wo sich die Elbe und Weser zur Nordsee weiten, hat er sicherlich so einige großer Dampfer zu Gesicht bekommen. Bullaugen faszinierten ihn ebenso wie die eisernen Brüstungen von Luxusdampfschiffen. Doch wie kommt ein junger Architekt von der See an einen Auftrag im hintersten Winkel der Oberlausitz, fast schon im heutigen Dreiländereck zwischen Polen, Tschechien und Deutschland. Hans Scharoun war wie Hugo Häring und beispielsweise auch Walter Gropius (1883-1969) im Deutschen Werkbund, einer zukunftszugewandten Vereinigung aus Künstlern und Architekten. Der Entwurf und Bau eines Junggesellenwohnheims für die Werkbundsiedlung Breslau im Jahr 1929 überzeugte das architekturinteressierte Fabrikantenehepaar Schminke. Und so gaben sie den Auftrag für das 1930-1933 erbaute Haus Schminke an den damals Ende dreißigjährigen Hans Scharoun, der nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1957 den Zuschlag für seinen Entwurf zum Bau der Berliner Philharmonie erhalten sollte. Zum Ende seines Lebens verwirklichte er noch die architektonische Umsetzung des Deutschen Schifffahrtsmuseums in Bremerhaven. Dass ihm das gewiss eine Herzensangelegenheit war, wissen Sie aufgrund unseres kurzen Einblicks in seine Biografie nun bereits.
Haus Schminke gehört der Öffentlichkeit
Das wundervolle für Sie als mit dem Reisebus durchs Land fahrende Buskompass-Lesende ist, dass Sie sich nicht mit einem Blick von außen auf das ankernde Dampfschiff in der Oberlausitz begnügen müssen. Im Gegenteil, das Haus Schminke ist großartig mit vielen Millionen saniert worden und kann von der Öffentlichkeit besucht werden. So hatten das die Erbinnen des zur DDR-Zeit enteigneten Gesamtkunstwerks des Neuen Bauens verfügt. Somit ging das Gebäude an die Stadt Löbau und der Weg war frei, dass sich heute viele tausende Besucherinnen und Besucher pro Jahr einen Eindruck machen können vom Gestaltungswillen des Hans Scharoun. Sie können das Haus bei besonderem Interesse nicht nur privat für Übernachtungen buchen (begehrt bei Jahrgängen von Architekturstudenten), sondern es auch in speziellen Gruppenführungen besichtigen. Donnerstags bis sonntags ist von 12.00 Uhr bis 17.00 Uhr geöffnet; feste Führungstermine gibt es samstags und sonntags um 13.00 Uhr und 15.00 Uhr, können aber auch unabhängig davon mit der Stiftung Haus Schminke vereinbart werden. Diese ist nämlich für die Präsentation des Hauses zuständig. Sie bezahlen 10€ pro Person. Studenten erhalten einen ermäßigten Eintritt von 8€. Für Gruppen ab 10 Personen erhalten einen 10%igen Rabatt.
Zu Besuch im Haus Schminke
Was erwartet uns im Haus Schminke. Erstaunlich wenig ließe es sich ausrufen und wäre doch ganz falsch verstanden. Wenig Möbel, viel Glas und Licht, freie Flächen und Blickachsen sind gemeint. Im Erdgeschoss befindet sich der Wirtschaftsbereich mit sehr funktional in die Wände getüftelten Schrank- und Schubfachlösungen. Frau Schminke selbst hat beim Innendesign nicht nur in der Küche, sondern auch im sich anschließenden Wohn- und Essbereich mit Kamin, sowie beim Schlafzimmer in der ersten Etage maßgeblich mitgewirkt. Faszinierend ist beispielsweise ein Vorhang, der an einer fest montierten Vorrichtung in schwungvoller Führungslinie zwischen zwei einander leicht verschobenen Betten hängt und im Bedarfsfall zugezogen werden kann. Der Kamin im Erdgeschoss ist übrigens nicht erhalten geblieben. Er wurde bei der Sanierung in den 2000er Jahren bei der Entsiegelung und Wiederurbarmachung des ursprünglich angelegten Gartenteichs in eben jenem entdeckt. Allerdings konnte sowohl ein originales Bett an das Haus Schminke zurückgegeben werden und auch alle Einbauten sind weitestgehend erhalten geblieben.
Haus Schminke – darf es ein wenig vornehm sein?
Die an Piet Mondrian erinnernde Farbgestaltung der wie Querriegel achtsam durch die Freiflächen laufenden Einbauregale sind ebenso faszinierend wie die sanft in die erste Etage ansteigende Innentreppe mit von außen weiß getünchter Fläche. Die Assoziation mit der Kunst von Mondrian kommt nicht von ungefähr. Der Abstraktionskünstler, der 1917 zu den Gründungsmitgliedern der De Stijl Bewegung gehörte (zukunftsweisende Kunst- und Architekturbewegung in den Niederlanden, die Parallelen zum Bauhaus und zum Neuen Wohnen aufweist), lebte in den 30er Jahren noch in Europa und war noch nicht kriegsbedingt in die USA emigriert. Es sind die vielen kleinen Details und das Raumgefühl mit seiner lichtdurchfluteten Offenheit, die hier faszinieren. Ein Höhepunkt des Hauses, der Führung und gewissermaßen der Ausstellung sind sicherlich die Terrassen. Diese öffnen sich großflächig sowohl im gegenüber dem Garten erhöht liegenden Erdgeschoss als auch in der ersten Etage. Hier hat man wirklich das Gefühl, man trete auf einem vornehmen Luxusdampfer ins Freie. Gleich möchte man sich über die Reling beugen oder sich wie in Stefan Zweigs Schachnovelle bei einem Kaltgetränk auf eine Partie Schach niederlassen. Allerdings fehlt es an Sitzmöbeln. Stil war eben schon immer ein wenig unpraktisch. Deswegen ist der Ort aber nicht weniger faszinierend.
Ein Hauch von Luxus auch für die Belegschaft von Haus Schminke
Auch wenn das Obergeschoss nicht barrierefrei zugänglich ist, sollten Sie nicht von einem Besuch im Haus Schminke absehen. Toiletten sind auch für Rollstuhlfahrer vorhanden und auch der Garten ist einen Besuch wert. Sollten Sie weitere Fragen zu dem Anliegen haben, können Sie sich unter der Rufnummer 03585-862133 an die Stiftung von Haus Schminke wenden. Das geht natürlich auch über E-Mail: info@stiftung-hausschminke.eu Und da wir gerade beim Service sind, sei noch auf eine schöne Seite zur Vergangenheit des Hauses verwiesen. Nicht nur die Architektur war fortschrittlich und seiner Zeit weit voraus, auch die Firmenpolitik des Unternehmerpaares zeugte von achtsamen Umgang mit dem Humankapital Mensch. In der gegenüberliegenden Fabrik wurden nicht nur die Anker-Nudeln produziert, die der Nudel zu einem wahren Aufschwung in Deutschland verhalfen, es wurde auch in die Arbeitsbedingungen der Belegschaft investiert. Es gab eine Angestelltenbibliothek, einen Pausengarten und es war sogar möglich, für die Freizeit Zelte und Wanderkarten auszuleihen. Schließlich sind hier in der Oberlausitz die ersten Berge nie wirklich fern gewesen. Ganz gleich, ob es mit der Schmalspurbahn ins Zittauer Gebirge ging oder zum Wandern in die Sächsische Schweiz. Und der Clou: es wurden sogar Betriebsausflüge organisiert – und wie Sie sicher ahnen, natürlich im Reisebus. In diesem Sinne laden wir Sie ein, sich über die Firmengeschichte zu erkundigen und sich vor allem Zeit zu nehmen für diese einzigartige Architektur. Denn diese muss sich nicht hinter der Villa Savoye von Le Corbusier bei Paris oder der Villa Tugendhat von Mies van der Rohe im tschechischen Brünn verstecken – erbaut wurden sie alle zur selben Zeit und in verwandtem Geist!
Hinweise
Die Adresse von Haus Schminke lautet: Kirschallee 1B, 02708 Löbau
Kontakt: 03585-862133 oder info@stiftung-hausschminke.eu
Mit dem Reisebus können Sie unweit des Haus Schminke auf einer Freifläche an der Kirchallee parken
Zum Essen gehen empfehlen wir Ihnen einen Ausflug in die Altstadt von Löbau. Dort gibt es einige Restaurants und Sie können sich stärken vor einem Aufstieg auf den König-Friedrich-August-Turm.
Lesenswert und Sehenswert
Seit 2017 gibt es ein tolles und reich bebildertes Buch zur Geschichte des Hauses: Leuchtendes Schiff in schwerer See: das Haus Schminke im Spiegel des zwanzigsten Jahrhunderts
Als Einstimmung lohnt sich außerdem der halbstündige Dokumentarfilm Mit Licht gebaut. Ein Lebensschiff von Hans Scharoun.