Kennen Sie den Unterschied zwischen einem Glasbläser und einem Glasmacher? Was haben die Glühbirne, der Röhrenfernseher und edle Trinkgläser gemeinsam? Der faszinierende Rohstoff Glas ist ein Tausendsassa unter den Werkstoffen. Besuchen Sie mit uns das Glasmuseum in Weißwasser in der Oberlausitz.
Es ist nicht so, dass Weißwasser in der Oberlausitz keine glasklaren Seen in der Nähe hätte, aber bekannt ist der am Rande der Muskauer Heide liegende Ort wegen der Tradition der Glasmacherei. Die Stadt 50 km nordwestlich von Görlitz entwickelte sich Ende des 19. Jahrhunderts zu einem der größten Glasindustriestandorte der Welt. Wenige Jahre zuvor lebten und arbeiteten nicht einmal 1000 Menschen in der heute 15.000 Einwohner zählenden Kleinstadt. Auf einen Schlag siedelten sich ein gutes Dutzend Glashütten in Weißwasser an. Aus Schlesien waren sie gekommen und brachten gleich Hunderte von Arbeitern mit. Zu verdanken war dieser Industrialisierungsschub dem Bahnhof, der plötzlich auf der Strecke von Berlin nach Görlitz lag. Folgerichtig ist der Glasmachertradition mit einem Brunnen unmittelbar am Bahnhof ein gelungenes Denkmal gesetzt worden. Vier Glasmacher blasen in ihre Glaspfeifen, an deren Ende sich gläserne Ballons aufwölben. Nachts sind sie sogar von innen beleuchtet. Die also auch als Straßenbeleuchtung dienende Skulptur erinnert sogleich daran, dass die Form der Glühbirnen (vor ihrer Verdrängung durch LED-Lampen) natürlich auch mit dem Handwerk der Glasmacherei zu tun hat. Als ein Beispiel sei die Firma Osram (Kunstwort aus Osmium und Wolfram) genannt; seit Anfang des 20. Jahrhunderts stand die Glühbirnenproduktion hoch im Kurs. Der Vorgängerbetrieb war die Neue Oberlausitzer Glaswerke Schweig & Co GmbH in Weißwasser. Hier begann die Geschichte der Glasindustrie in der Oberlausitz mit der ersten Glashütte im Jahr 1872.
Das Glasmuseum in Weißwasser
Wir haben uns heute vorgenommen, bei unserem Besuch mit dem Reisebus in Weißwasser viel über das Handwerk zu erfahren, das seit jeher eine funkelnde Faszination ausübt. Gläser selbst wirken oft filigran und zerbrechlich, aber die Tätigkeit der Herstellung war schon immer beides – robust und zart zugleich. Es heißt übrigens Glasblasen, weil früher die Flamme und Hitze von Öllampen mit einem Blasebalg angefacht wurde. Das Wort hat sich erhalten, auch wenn heute unter Glasblasen strenggenommen das Sitzen vor einer heißen Flamme, der sogenannten Lampe verstanden wird. Bis zu 2500 Grad heiß werden heutige Geräte, die hochpräzise über Druckluft mit fast reinem Sauerstoff die Flamme speisen, mit der das Glas geschmolzen und verarbeitet wird. Wem die Begriffe Oxidation und Reduktion aus dem Chemieunterricht noch etwas sagen, der sollte aufhorchen: Durch die Zugabe von Metalloxiden und Metallsalzen verändern sich die Eigenschaften des Glases; sehr variable Formen und Farben werden möglich. Für die Farben sind in erster Linie natürlich auch die verwendeten Sande zuständig. Ausgangspunkt sind gepresste lange dünne gläserne Stäbe. Ihnen sind Soda, Kalk und weniger bekannte Stoffe wie Bleimennige oder Pottasche beigemengt. Das alles zusammen ergibt Glas. Wem jetzt schon der Kopf schwirrt vor lauter Fachwissen, für den haben wir eine gute Nachricht. In Weißwasser gibt es ein Glasmuseum und dort werden einem die vielen Zusammenhänge aufschlussreich erklärt. Und natürlich gibt es hunderte Anschauungsobjekte, Informationen zur Heimatgeschichte von Weißwasser und zu seiner Entwicklung zum Industriestandort. Hierhin führt uns unser heutiger Ausflug.
Das Glasmuseum – ein vielfältiges Handwerk stellt sich vor
In den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde die Villa eines Glasfabrikanten erbaut. Gut 70 Jahre darauf eröffnet die Stadt Weißwasser in dem Gebäude mit zwei Etagen, rot geziegeltem Walmdach und sich in den Garten vorschiebenden Erkern ein Glasmuseum. Die Heimatgeschichte der kleinen oberlausitzer Ortschaft, ihr rasanter Aufschwung zur Zeit der Industrialisierung mit ihren zahlreichen Glashütten und viel Wissenswertes über das Handwerk selbst werden hier erzählt. So erfährt man, dass bewaldete Mittelgebirge besonders geeignet waren für die Glasverhüttung; die Bäume wurden schlichtweg verfeuert. Wir lernen, was Schlacke, Schmelze und farbige Fritten sind. Veredelungstechniken wie das Gravieren und Sandstrahlen (oder auch vielleicht noch nie zuvor gehörte Techniken wie das Guillochieren, Pantographieren oder Mattätzen) werden uns erklärt. Außerdem gibt es unzählige Gebrauchsgegenstände, industrielle Produkte und Designobjekte. Von bauchigen bräunlichen Gärballons, wie sie Apotheker benutzen, bis zu Thermometern, Laborgläsern, Flaschen und Einweckgläsern gibt es zahlreiche Objekte zu bestaunen. Auch erfahren wir, dass der Industriezweig, in dem deutschlandweit noch heute über 50.000 Menschen arbeiten, nicht begeistert war von der Ablösung der klassischen Fernsehröhre durch die heutigen auf gänzlich anderer Technik basierenden Flachbildschirme, Laptopmonitore und Smartphonebildschirme. Da werden keine Elemente mehr wie Molybdän oder Wolfram hinzugefügt, die einst die Eigenschaften von Glas so veränderten, dass Manfred von Ardenne den Fernseher erfinden konnte.
Ein Hoch auf Weißwasser und das Glasmuseum
Dass es hier in Weißwasser nicht nur um Industriekultur geht, wird einem schnell klar, wenn Sie die filigran gearbeiteten Trinkgläser betrachten, die ebenfalls ausgestellt werden. Zwar wurden sogenannte Gebrauchsgläser unter dem DDR-Glasdesigner Bundtzen schnell einheitliche Produkte für die Massen, aber der in der Tradition von Glashüttenmeistern stehende Werkstoffgestalter war auch detailverliebt. Er kopierte in den 50er Jahren ein Diatretglas, wie sie bereits zur Römerzeit existierten. Diese werden auch als doppelwandige Netzgläser bezeichnet und sind oftmals sehr aufwendig gestaltet. Diatretgläser sind sehr schwer herzustellen und die letzten vollständig erhaltenen Exemplare stehen heute sicher verwahrt an Orten wie dem Römisch-Germanischen Museum in Köln. Aber auch in der Oberlausitz gibt es auch prächtiges Dekor zu bestaunen; so etwa die kelchförmigen Arsal-Gläser aus den 30er Jahren im Jugendstil. Da möchte man gerne direkt zur Flasche Champagner greifen und sich einen einschenken. Da das vor Ort nicht möglich ist, empfehlen wir Ihnen, bevor es wieder im Reisebus auf den Heimweg geht, vielleicht in einem Café in der nah gelegenen Innenstadt von Weißwasser zumindest ein Glas Rotkäppchen zu trinken. Das ist nämlich ebenfalls ein erhalten gebliebenes Produkt aus dem Osten der Republik. Wir hoffen Begeisterung für den Werkstoff Glas in all seinen Facetten und Schliffen geweckt zu haben und vielleicht kommen Sie bald schon wieder einmal nach Weißwasser. Ganz in der Nähe gibt es den Azaleen- und Rhododendronpark Kromlau – und der ist ganz sicher auch einen Ausflug wert!
Hinweise
Das Glasmuseum in Weißwasser steht in der Forster Str. 12 in 02943 Weißwasser. Am Bahnhof gibt es zahlreiche Parkplätze und von dort ist es auch nicht weit zum Museum zu laufen.
Das Glasmuseum hat montags geschlossen, dienstags bis freitags von 9.00 Uhr bis 16.00 Uhr geöffnet, an Wochenenden und an Feiertagen von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr. Für Führungen melden Sie sich bitte unter der Rufnummer 03576-204000. Sie kosten pauschal 12 € für eine Reisegruppe. Hinzu kommt der Eintritt von 4 €; ab 10 Personen beträgt er 3 €. Sind Sie an einem Schauschleifen interessiert, können Sie das ebenfalls buchen, dafür werden für die Gruppe nochmal 12 € erhoben.
Lesenswert
Bei vielen Antiquariaten im Internet (was ja bei einem alten Traditionshandwerk durchaus passend ist) können Sie das Buch Gebrauchsglas – Gläser des Alltags vom Spätmittelalter bis zum beginnenden 20. Jahrhundert bestellen.
Der historische Roman Die Glasbläserin entführt in die Zeit der lebendigen Handwerkstradition, als in einem kleinen thüringischen Dorf Christbaumkugeln noch nicht industriell gefertigt, sondern mit dem Mund geblasen wurden. Der dreiteilige Roman von Petra Durst-Benning kostet pro Taschenbuch etwa 10 €.