Erinnern Sie sich an die Ringparabel aus Nathan der Weise? Und hat Sie der tragische Ausgang des Aufklärungsdramas von Emilia Galotti erschüttert? Wir folgen Ephraim Lessing in seine Geburtsstadt. Dort gibt es ein eigenes Museum für den großen deutschen Theaterdramatiker.
Ein Städtlein hängt am Berge, hart drängt sich Haus an Haus, der Turm von Sankt Marien schaut weit ins Land hinaus. So lauten die ersten Zeilen des Kamenzer Heimatliedes von Wilhelm Otto Ullmann (1887-1959) und damit ist bereits einiges erzählt über unser heutiges Ausflugsziel mit dem Reisebus. Es geht nach Kamenz in der Oberlausitz. Hier werden bereits die Tage gezählt bis zur 800-Jahr-Feier im Jahr 2025. Denn tatsächlich wurde der heute 17.000 Einwohner zählenden Kleinstadt schon im Jahr 1225 das Stadtrecht verliehen. Zusammen mit Görlitz, Zittau, Bautzen, Löbau und dem heute in Polen liegenden Lauban bildete man von 1346 bis 1815 den Oberlausitzer Städtebund. Ein Austausch im Handel und gegenseitiger Beistand standen im Vordergrund. Die Architektur, die wir noch heute vorfinden, ist dieser langen Vergangenheit geschuldet. Auch wenn vieles erst in darauffolgenden Jahrhunderten errichtet wurde und es verheerende Stadtbrände in den Jahren 1707 und 1842 gab, so sind doch viele Strukturen von Mittelalter und Bürgertum in die Gebäude eingeschrieben.
Sankt Marien ist die berühmteste Kirche der Lessingstadt
Wenn wir bei unserem Besuch in Kamenz die protestantische Kirche St. Marien besuchen, wandeln wir zum ersten Mal auf den Spuren des Dramatikers Ephraim Lessing (1729-1781), denn er wurde hier von seinem Vater getauft, der zugleich Pastor der Kirche war. Er und seine Frau Justina Salome (1703-1777) erzogen den hochbegabten Ephraim. Dieser kam früh auf die Fürstenschule St. Afra in Meißen (noch heute ein Gymnasium für Hochbegabte) und verließ somit als Elfjähriger bereits seine Oberlausitzer Heimat. 1746 begann er unter dem Druck des Vaters Theologie in Leipzig zu studieren; aber Lessing emanzipierte sich schnell, begann ein Medizinstudium und interessierte sich für Literatur und Theater. Er zog nach Wittenberg und Berlin, wandte sich zunehmend der philosophischen Fakultät zu. An dieser schloss er 1752 seine Studien erfolgreich ab. Später wandte sich der Generalist den Freimaurern zu. Über diesen Start ins Leben nachdenkend begeben wir uns in die im 15. Jahrhundert errichtete Hallenkirche mit ihrem auffälligen Turm. Er wirkt ein wenig zerstückelt und wie in verschiedenen Epochen gebaut. Und so müssen wir uns seine Architekturgeschichte auch vorstellen. Über einem schlichten Kubus als Untergeschoss sitzen zwei Ebenen mit gotischen Fenstern. Darüber ein achteckiger, weiß leuchtender Turmabschluss mit einer hochgezogenen Haube. Das Kircheninnere unter dem Kreuzgewölbe ist bis auf den prächtigen Altar aus dem Beginn des 16. Jahrhunderts eher schlicht. Neben St. Marien erinnert übrigens ein Denkmal an das im 19. Jahrhundert abgebrannte Geburtshaus von Ephraim Lessing.
Die Lessingstadt Kamenz und ihr Neorenaissance-Rathaus
Auf dem Weg in Richtung Lessinghaus kommen wir vielleicht noch am roten Turm vorbei. Dieser war einst Teil der Stadtmauer und des im 19. Jahrhundert endgültig geschliffenen Stadttores in Richtung Pulsnitz. Der aus rotem Granit erbaute Wehrturm steht hier seit dem 14. Jahrhundert und aktuell macht es nicht den Anschein, als habe er vor, sich in den nächsten Jahrhunderten aus dem Staub zu machen. Nicht ganz so trutzig und kompakt wirkt das im italienischen Neorenaissancestil errichtete Rathaus am Markt. Mit seinen kleinen runden Ecktürmchen, den Bullaugen eines Schiffes nicht unähnlichen Fenstern im obersten Stockwerk und dem ineinander verschachtelt zu scheinendem Hauptturm wirkt das 1848 fertiggestellte Rathaus sogar eher etwas verspielt. Allerdings nicht verschnörkelt oder chaotisch. Das ist in einer Stadt, die in ihrer erhaltenen Substanz dem klassizistischen Bürgertum huldigt, auch nicht anders zu erwarten. Vom Rathaus sind es nun noch etwa 300 Meter bis zum Lessingmuseum im Lessinghaus. Dabei kommt man noch an der ebenfalls über 500 Jahre alten Klosterkirche St. Annen vorbei, die ein Sakralmuseum beherbergt und in einem Anbau die Kamenzer Touristeninformation. Der Standort ist nicht schlecht gewählt, da Sie sich nun wirklich unmittelbar in der Nachbarschaft zu unserem heutigen Besuchsziel befinden: dem Lessinghaus. Der ebenfalls nach dem Dramatiker benannte Lessingturm befindet sich übrigens am westlichen Stadtrand auf einer Anhöhe mit dem spitzfindigen Namen Hutberg.
Führungen durch das Lessing-Museum
Wer sich mit dem Leben und den Werken von Ephraim Lessing beschäftigen möchte, sollte ausreichend Zeit mitbringen, da es bei der 2011 neu konzipierten Dauerausstellung im Lessinghaus weiterhin viel zu lesen gibt. Großformatige Schaukästen und Wände leiten durch die Lebensstationen des Schöpfers von zahlreichen Theaterstücken. Lustspiele und Trauerspiele gehören zum Repertoire des Dichters, Schriftstellers und Aufklärers. Am bekanntesten sind Lessings Spätwerke geworden. Das Lustspiel Minna von Barnheim stammt aus dem Jahr 1767, das Trauerspiel Emilia Galotti aus dem Jahr 1772 und das vielen aus Schulzeiten bekannte Drama Nathan der Weise hat Lessing zwei Jahre vor seinem Tod im Jahr 1779 verfasst. Im letztgenannten geht es um Toleranz, Aufklärung, die drei Weltreligionen und eine berühmte Ringparabel. Aber wir wollen hier lediglich Ihre Erinnerung auffrischen – die intensive Auseinandersetzung erwartet Sie dann im Lessing-Museum, in welchem überhaupt nur ein kleiner Teil der etwa 5.000 Bücher und 1000 thematischen Theatersammelmappen aus dem Museumsdepot gezeigt werden kann – und das, obwohl ganze 250 Quadratmeter Ausstellungsfläche zur Verfügung stehen. Auch Ephraim Lessings Handschrift kann natürlich besichtigt werden – damit werden all die entstandenen Werke gleich wahrhaftiger. Wer sich nicht ganz allein mit der Gruppe durch die Ausstellung arbeiten möchte, dem seien zwei unterschiedliche Führungen ans Herz gelegt: Neben einer Führung zum Thema Lessing als Freimaurer wird unter dem Namen Ephraim Lessing – Wahrheitssuchender, Reisender, Liebender ein Format angeboten, bei dem Sie zwar noch selbstständig die Ausstellungsräume erkunden können, aber zunächst einen guten Überblick über Leben und Werk erhalten. Eine Stunde dauert die Führung; zu den 3 € Eintritt (ermäßigt 1,50 €) kommen noch einmal 3 € pro Person dazu. Die zweite Führung mit Sinnsprüchen und Humor trägt den Titel Vergnügliche Kleinigkeiten und ist sicherlich Geschmackssache. Entscheiden Sie selbst, wie ernsthaft oder anekdotisch Sie biografisches und literarisches Wissen vermittelt oder wieder aufgefrischt bekommen wollen. Lesen müssen Sie dann ohnehin noch selbst – zum Beispiel bei der Rückreise im Reisebus!
Hinweise
Das Lessing-Museum befindet sich am Lessingplatz 1-3 in 01917 Kamenz. Es hat montags geschlossen, dienstags bis freitags 9.00 Uhr bis 17.00 Uhr geöffnet und an Wochenenden und an Feiertagen von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr. Einen Parkplatz für den Reisebus finden Sie gegenüber vom Museum. Sie erreichen das Lessinghaus unter der E-Mailadresse kontakt@lessingmuseum.de oder unter der Rufnummer 03578-379111 / So können Sie sich auch nochmal über die angebotenen Führungen informieren und auch gleich die Reservierung für die Gruppe vornehmen.
Das Denkmal am abgebrannten Geburtshaus von Ephraim Lessing finden Sie im Lessinggäßchen in 01917 Kamenz
Die Kirche Sankt Marien liegt im Herzen der Altstadt und sie ist wegen ihrer besonderen Lage weithin sichtbar. Ihre Adresse lautet: Kirchstraße 20, 01917 Kamenz
Die Klosterkirche Sankt Annen finden Sie am Schulplatz 5, 01917 Kamenz
Falls Sie eine Möglichkeit suchen, essen zu gehen, können wir Sie auf den Goldenen Hirsch verweisen, in welchem die Tauffeier von Ephraim Lessing stattgefunden hat. Er befindet sich am Markt 10 in 01917 Kamenz. Sie erreichen den Goldenen Hirsch unter info@hotel-kamenz.de oder unter der Rufnummer 03578-78350
Lesenswert
Das Alterswerk Nathan der Weise kann man durchaus gut lesen. Gerade auch wenn Sie zu Schulzeiten vielleicht Berührungsängste mit dem Werk hatten oder schlechte Erinnerungen mit dem Deutschunterricht verbinden sollten. Es thematisiert (und propagiert) unter anderem eine gegenseitige Toleranz der drei Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam. Das gab es seit der Zeit vor der Reconquista im spanischen Andalusien nicht mehr.