Das Neue Rathaus in Leipzig ist gar nicht so neu. Es war auch schon mal eine Burg. Es hat den höchsten Turm, die meisten Räume und eine bewegte Geschichte.
Hier erfahren Sie, wie Sie die Besichtigung eines Rathauses zu einem Universalgenie in Architektur und Stadtgeschichte macht!
Als ich zum ersten Mal das Neue Rathaus erblickte, musste ich an eine große Sandburg oder Ritterburg denken. Das war natürlich etwas despektierlich für diesen prachtvollen Bau am Leipziger Innenstadtring. Vielleicht lag es am gelblichgrauen Muschelkalkstein oder an den Elementen aus Barock, Renaissance und Jugendstil, welche die Fassade prägen. Auch die drei auffälligen Türmchen des als riesiges Fünfeck errichteten Gebäudes mögen eine Rolle gespielt haben. Das zentrale Türmchen ist übrigens das größte seiner Art in ganz Deutschland. Tatsächlich gibt es kein Rathaus zwischen Ostseeküste und Alpenvorland, welches die 115 Meter des Leipziger Rathauses übertrifft. Auch sonst scheint sich der Amtssitz so bedeutender ehemaliger Bürgermeister wie Carl Friedrich Goerdeler (1930-1937) und Erich Zeigner (1945-1949) an Superlativen zu erfreuen. So hält das Gebäude mit über 1.700 Räumen in dieser Kategorie den Weltrekord. Wolfgang Tiefensee (CDU), später Bundesminister und Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundesländer war hier lange Zeit Bürgermeister (1998-2005). Aktueller Amtsinhaber ist seit 2006 Burkhard Jung von der SPD. Von über 65.000 m2 Grundfläche aus wird die 600.000 Einwohner zählende Stadt Leipzig regiert.
Hoch hinaus. Rundumblick vom Neuen Rathaus
Nach einer mitunter längeren Fahrt im Reisebus gibt es doch nichts Besseres, als sich die Beine zu vertreten. Da kommen Sie im Neuen Rathaus voll auf Ihre Kosten. Es ist möglich, den 115 Meter hohen Turm zu besteigen und von dort aus ganz Leipzig zu überblicken. Da kommt nur noch das 142 Meter hohe Leipziger City-Hochhaus drüber, das über ein Panorama-Restaurant verfügt und über eine Aussichtsplattform in 120 Metern Höhe. Einen unglaublichen Fernblick genießen Sie von beiden Gebäuden. Bei wirklich guter Sicht kann man bis zum Fichtelberg in 110 km und bis zum Brocken in 132 km Entfernung sehen. Wenn das nicht der Fall sein sollte, können Sie aber garantiert die Leipziger Sehenswürdigkeiten ausmachen. Sie schauen unmittelbar auf die Thomaskirche (Kirche von Johann Sebastian Bach und dem Thomanerchor) und die Nikolaikirche (Kirche der friedlichen Revolution von 1989). Richten Sie den Blick ein wenig in die Ferne und nach Süden hin, zeigt sich das Leipziger Völkerschlachtdenkmal in seiner rohen Pracht und auch das Leipziger Neuseenland ist gut zu erkennen.
Probsteikirche St.Trinitatis. Architektonisch und räumlich in Opposition zum Neuen Rathaus
Direkt auf der anderen Straßenseite des Innenstadtringes schauen sie auf den 50 Meter hohen Turm der Probsteikirche St.Trinitatis. Eine Natursteinfassade aus Rochlitzer Porphyr und strenge geometrische Formen geben der 2015 fertiggestellten katholischen Kirche ein avantgardistisches Äußeres. Gerade durch den starken Kontrast zum Neuen Rathaus mit seinen steinernen Löwen und Fabelwesen, mit seinen Türmchen, Giebeln und Rundfensterbögen kommt das Gotteshaus zur Geltung.
Stadtmodell im Neuen Rathaus
Für die Turmbesteigung des Neuen Rathauses können Sie leider nicht in den letzten verbliebenen Leipziger Paternoster-Aufzug steigen. Dessen Benutzung ist zumindest offiziell den Mitarbeitenden des Rathauses vorbehalten. Mit den für den Besucherverkehr verfügbaren Aufzügen gelangen Sie aber auch bis zur vierten Etage. Außerdem hat das Neue Rathaus ein prachtvolles Treppenhaus, für das man ohnehin jeden Fahrstuhl links liegen lassen möchte. In der vierten Etage gibt es ein faszinierendes Innenstadtmodell des heutigen Leipzig, welches fortlaufend aktualisiert wird. Hier entdecken Sie also auch das Gebäude, in dem Sie sich gerade befinden, in Miniatur. Ein etwas verwirrendes, aber freudvolles Erlebnis. Auch bekommt man so die durchaus gigantischen Ausmaße etwas besser zu fassen.
Aufstieg zum Turm
Von der vierten Etage aus trennen Sie noch 250 Stufen von der Spitze. Barrierefrei ist die Turmbesteigung also nicht. Jeden Montag bis Freitag können Sie sich um 14 Uhr einer Führung nach ganz oben anschließen. Dafür müssen Sie mindestens fünf Personen sein und sich rechtzeitig in der Bürgerinformation im Erdgeschoss des Neuen Rathauses einfinden. Der Beitrag ist mit 3€ überschaubar und ermäßigungsberechtigt zahlen Sie nur die Hälfte. An Sonntagen um 11 Uhr finden zusätzlich Gruppenführungen statt (dafür bitte Voranmeldung über den Veranstalter Leipzig Details). Diese führen nicht nur ganz nach oben, sondern auch ganz nach unten. In der Tiefe unter dem Burgplatz verbergen sich Kasematten wie bei einer richtigen Burg.
Die Pleißeburg. Vorläufer des Neuen Rathauses
Und damit kommen wir dem Geheimnis des Neuen Rathauses endlich näher. Die Kasematten sind tatsächlich 500 Jahre alt und an dieser Stelle wurde Jahrhunderte vor dem Neuen Rathaus die Pleißeburg errichtet. Benannt nach dem Fluss Pleiße, der im Stadtgebiet Leipzig heute größtenteils versiegelt oder kanalisiert ist. Wenn Sie allerdings den Martin-Luther-Ring überqueren und ein paar Schritte in südwestliche Richtung gehen, kommen Sie entlang des ebenfalls architektonisch sehr sehenswerten Bundesverwaltungsgerichtes an ein offenes Stück Pleiße. Die ist hier alles andere als schön, aber nur so erschließt sich der historische Kontext und es ist überhaupt erst zu verstehen, wieso das Neue Rathaus seine Form und seinen Ausdruck hat. Die Pleißeburg, die hier anstelle des Neuen Rathauses stand, wurde im 13. Jahrhundert errichtet und im 16. Jahrhundert zu einer Festung ausgebaut. An einem Pfingstsamstag im Jahr 1539 hielt Martin Luther in der Kapelle der Pleißeburg die erste protestantische Predigt in Sachsen. Im 18. Jahrhundert war hier die Kunstakademie von Adam Friedrich Oeser untergebracht. Zeichnen, Malerei und Architektur standen im Mittelpunkt. Ein Schüler und Freund wurde ihm Johann Wolfgang von Goethe, der von 1765 bis 1768 in Leipzig studierte.
Abriss der Pleißeburg. Die Idee vom Turm bleibt
Ende des 18. Jahrhunderts befand sich auf der Spitze des Turmes der immer weiter umgestalteten Pleißeburg Leipzigs Sternwarte. Umgeben war die Leipziger Festung zu diesem Zeitpunkt noch immer vom Wasser der Pleiße und einem gefluteten Burggraben. Doch auch die Zeiten der prächtigsten Gebäude gehen einmal zu Ende. Im Jahr 1899, auf der Schwelle zum vergangenen Jahrhundert, wurde die Burg endgültig geschliffen. Auch der Turm wurde komplett abgerissen. Aber genau auf seinen Grundmauern wurde der Turm des Neuen Rathauses errichtet. Also steckt tatsächlich noch immer ein wenig Ritterburg in dem Amtssitz des Leipziger Bürgermeisters. Wenn wir nun vielleicht ans ritterliche Tafeln, also ans Essen denken, gibt es dafür unter dem Neuen Rathaus auch für große Gruppen mit dem Ratskeller ein bestens geeignetes Restaurant.
Goerdeler, Mendelssohn und die Nationalsozialisten
Zuvor lohnt es aber noch, sich beim Verlassen des Gebäudes über seinen Hauptausgang mit einem zunächst etwas unscheinbaren Denkmal zu konfrontieren. Auf dem Vorplatz vor dem Neuen Rathaus findet sich ein mit Sandsteinstufen umfasstes Rund. Das Zentrum ist vergittert und in den Tiefen eines Schachtes hängt eine Glocke, die täglich schlägt und mahnt. Auf den Steinstufen eingraviert sind Zitate von Carl Friedrich Goerdeler, der 1937 sein Bürgermeistermandat nach sieben Jahren niederlegte. Er war nicht bereit zu akzeptieren, dass während seiner Abwesenheit ein Denkmal von Felix Mendelssohn Bartholdy von Goerdelers nationalsozialistischem Stellvertreter entfernt wurde. Walter von Stein schuf das Original im Jahr 1892 und ehrte damit den aus einer jüdischen Familie stammenden Komponisten. Es war einst vor dem alten Leipziger Gewandhaus errichtet worden. Goerdeler ging danach mehr und mehr in Opposition zu den Nationalsozialisten und schloss sich letztlich dem Widerstand an. Am 2. Februar 1945 wurde er wegen angeblicher Mittäterschaft für das Hitlerattentat vom 20. Juli 1944 nach einem Urteil des Volksgerichtshofes ermordet.
Das Neue Rathaus als Ort der Demokratie
An einem Rathaus, also an einem Ort, der durchaus noch heute Macht symbolisiert und von wo aus sie auch demokratisch ausgeübt wird, ist es nicht verkehrt, daran zu gedenken, welche vernichtenden Machtverhältnisse zu anderen Zeiten in Deutschland geherrscht haben. Das Mendelssohn Denkmal steht übrigens wieder. Es wurde 2008 originalgetreu rekonstruiert und kann als einer von unzähligen notwendigen Bausteinen direkt um die Ecke an der Thomaskirche historisch zurechtrücken, was in Deutschlands dunkelstem Kapitel verrückt und vernichtet wurde.
Das Alte Rathaus ist heute stadtgeschichtliches Museum
Wenn Sie ohnehin schon an der Thomaskirche stehen, möchten wir Ihnen als letzte Empfehlung für Ihren Besuch in Leipzig mit auf den Weg geben, sich zum Alten Rathaus am Markt zu begeben. Ein Großteil des Gebäudes dient heute als Stadtgeschichtliche Museum Leipzig. In der ersten Etage finden Sie ein weiteres Modell des Leipziger Stadtzentrums. Es zeigt Leipzig im Jahr 1823 und somit noch ohne Neues Rathaus. In der zweiten Etage finden Sie unter dem Titel Moderne Zeiten. Von der Industrialisierung bis zur Gegenwart eine Dauerausstellung, die Leipzigs Geschichte bis zur Friedlichen Revolution vom 09. Oktober 1989 nachzeichnet. Hier geht es anders als im Neuen Rathaus auch noch deutlich barrierefreier zu. Es gibt Tast- und Hörstationen, auf Voranmeldung gesonderte Führungen für blinde und sehbehinderte Besucher. Es gibt Audioinformationen in einfacher Sprache und auch auf Besucher mit Rollstuhl oder Gehbehinderungen ist man hier eingestellt.
Alles verschluckt die Zeit
Auch ein Modell des Neuen Rathauses im Maßstab 1:100 existiert, wird aber auf unbestimmte Zeit in den Archiven des Museums im Alten Rathaus verwahrt.
Das Modell hat der Wahlschweizer Horst Neumann gebaut, der bei einem Leipzigbesuch um die Jahrtausendwende so angetan vom Anblick des Leipziger Neuen Rathauses war, dass er sich in diese unermessliche detailgetreue Kleinstarbeit stürzte. Vielleicht wird es im Jahr 2055 wieder einmal ausgestellt, wenn das im Original vom Architekten Hugo Licht im Stil des Historismus entworfene Neue Rathaus sein 150-jähriges Jubiläum feiert. Fertigstellung war 1905 in Anwesenheit des sächsischen Königs .
Hinweise
- Um an den sonntäglichen Kasemattenführungen im Neuen Rathaus teilzunehmen (auch hier ist die Turmbesteigung inklusive), müssen Sie sich per E-Mail an post@leipzigdetails.de wenden. Die zuständige Telefonnummer lautet: 0341-3039 112
- Der Ratskeller Leipzig in den Kellergewölben des Neuen Rathauses beherbergt seit Erbauung des Gebäudes diverse unterschiedlich große Säle in denen Sie gutbürgerlich sächsisch Essen können. Geöffnet hat das Restaurant Montag bis Freitag von 17.00 Uhr bis 22.00 Uhr, am Samstag von 12.00 Uhr bis 22.00 Uhr und am Sonntag von 11.00 Uhr bis 16.00 Uhr. Für große Gruppen und zur Auswahl eines bestimmten Saales nehmen Sie bitte unter 0341-1234567 oder unter info@ratskellerleipzig.de Kontakt auf. Ganz bequem ist auch die Online-Reservierung über die Homepage des Ratskeller Leipzig.
- Im Internet finden Sie auf der Homepage der Stadt Leipzig ein vom Amt für Geoinformatik programmiertes hochauflösendes 3D Stadtmodell. Dann haben Sie wirklich alle Perspektiven auf das Neue Rathaus vollends ausgeschöpft!