Nach unserem Besuch des bedeutendsten Barockdenkmals des 18. Jahrhunderts in Norddeutschland für den Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm steuern wir mit dem Reisebus ein weiteres beliebtes Ausflugsziel an. Der auf dem Weinberg hoch über der Stadt Rathenow gelegene und im Baustil der märkischen Neogotik errichtete Bismarckturm stammt aus dem frühen 20. Jahrhundert.
Der in einer malerischen Umgebung der Stadt Rathenow gelegene Weinberg ist ein beliebtes Ausflugsziel, auf dem ein weiteres Wahrzeichen des kleinen Havelstädtchens steht – der hoch in den märkischen Himmel ragende Bismarckturm.
Als Standort für den kolossalen Turm hatten die Rathenower Altvorderen einst den höchsten Punkt ihres stadtnahen Weinbergs, den Kiekeberg, ausgewählt. An seinen abschüssigen Hängen wuchsen bis zum Ausbruch des II. Weltkriegs nicht nur die Reben für den Weinanbau, sondern es befanden sich dort auch reizvolle Parkanlagen mit zahlreichen Blumenbeeten.
Bismarcktürme sind gar keine Seltenheit
Neogotische Bismarcktürme gibt es überall in der Bundesrepublik Deutschland zu finden. Besonders in den deutschen Mittelgebirgen treffen wir immer wieder auf imposante Aussichtstürme, die den Namen Otto von Bismarcks tragen. Sie sind attraktive Wanderziele, weil sie in ihrer markanten Architektur an den volkstümlichen Baustil der Gotik erinnern. Damit verkörpern sie für viele unserer Landsleute auch ein romantisches Bild ihrer Heimat. Zudem ist die Aussicht von den populären Bismarcktürmen ins weite Land hinein oftmals überwältigend. Darüber hinaus befindet sich häufig in der Nähe des Turms eine gemütliche Ausflugsgaststätte zum verdienten Einkehren der müden Wanderer.
Unterschiede, die es zu beachten gilt – Bismarckdenkmäler, Bismarcktürme und Bismarcksäulen
Seit dem Jahr 1868 wurden Bismarckdenkmäler zu Ehren des langjährigen preußischen Ministerpräsidenten und ersten deutschen Reichskanzlers Fürst Otto von Bismarck an vielen Orten des damaligen Deutschlands errichtet, die heute mitunter in Dänemark, Frankreich und in Polen liegen. Die Größe der realisierten Denkmäler reichten von einfachen Gedenktafeln bis hin zu ausgedehnten Anlagen mit mehreren Figurengruppen. Ein Bismarckturm hingegen ist eine besondere Form des Bismarckdenkmals. Von den einstmals 240 Bismarcktürmen sind Europa weit noch 173 vorhanden. In der heutigen Bundesrepublik Deutschland sind noch immer 146 von ehemals 184 Türmen erhalten. Einige der markanten Turmmonumente wurden als sogenannte Bismarcksäulenerrichtet. Diese geschätzten Bismarcksäulen wie auch manche der –türme besaßen aber für ihre Besucher keine begehbaren Aussichtsplattformen.
Bismarckdenkmäler in den Bismarcktürmen
Zahllose in den Türmen befindliche Bismarckdenkmäler, zu denen auch das Rathenower Denkmal zählte, haben den II. Weltkrieg und die anschließenden politischen Veränderungen aber nicht überdauert. Entweder wurden sie vorher für die Rüstungsproduktion eingeschmolzen, bei Bombardierungen zerstört oder sie wurden nach 1945 entfernt. Heutzutage gibt es vielerorts Vereine, die die noch vorhandenen Bismarcktürme und -säulen pflegen, beziehungsweise fleißig Geld für deren anstehende Sanierungen sammeln.
Historische Begründungen für den neogotischen Bauentwurf des Rathenower Bismarckturms
Der Architekt des Rathenower Bismarckturms und das Denkmalkomitee der Havelstadt waren sich darüber einig, dass ihr in neogotischer Backsteinbauweise zu errichtendes Monument an die beliebte Epoche des gotischen Mittelalters erinnern sollte, in der das Havelland mit der angrenzenden Altmark ihre erste Blütezeit erlebten. Die einstige Sternstunde des Havellandsund der Altmark wurde durch den legendären Albrecht dem Bären im Verlauf des 12. Jahrhunderts mit herbeigeführt. Diesem ersten Souverän aus dem altsächsischen Geschlecht der Askanier war es mit diplomatischem Fingerspitzengefühl gelungen, nicht nur die auf einer Havelinsel gelegene slawische Brennaburg, die Brandenburg, sondern damit auch die gesamte Herrschaft über das wendische Heveller-Fürstentum nach dem Tod des letzten kinderlosen Hevellerfürsten Przybysław Henryk rechtmäßig zu erben. Seit dem Jahr 1157 nannte sich Albrecht der Bär stolzer Markgraf von Brandenburg.
Unter der askanischen Ägide war das märkische Territorium peu à peu erweitert, arrondiert und ausgebaut worden. Im Zuge dessen entwickelten sich zahlreiche Städte, wobei im Verlauf des 12. und 13. Jahrhunderts überall im Land eine rege Bautätigkeit einsetzte. Weil diese Jahrhunderte die prägende Zeit der Gotik waren, wollten damals natürlich auch die Märker modern und zeitgemäß bauen. Andererseits gab es in der sandigen Mark nur wenige natürliche Vorkommen für geeignetes steinernes Baumaterial, sodass sich die mittelalterlichen Baumeister dafür entschieden, ihre repräsentativen Gebäude zukünftig in der charakteristischen märkischen Backsteingotik auszuführen.
Kaiser Karl IV. erwarb die Mark und erhob die Tangermünder Burg zu seiner nördlichen Residenz
Im Jahr 1373 erwarb Kaiser Karl IV. aus dem Geschlecht der Luxemburger die Mark Brandenburg. Damit der im böhmischen Prag an der Moldau residierende Monarch in der weit entfernten Mark präsent sein konnte, erhob der weitblickende Luxemburger die in der Altmark gelegene Tangermünder Burg zu seiner nördlichen Residenz. Von dem befestigten Tangermünde aus trieb der zu den bedeutendsten Kaisern des Spätmittelalters gehörende Karl IV. die weitere Entwicklung der Mark voran. Bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts blieb das von den askanischen Herrschern erbaute Tangermünde weiterhin der wichtigste Regierungssitz der brandenburgischen Markgrafen und Kurfürsten, die von der wehrhaften Burg am Zusammenfluss des Tangers mit der Elbe aus ihr märkisches Territorium verwalteten.
Erst nach der Verlegung ihrer alten Residenz in die prosperierende Doppelstadt Berlin-Cölln verlor die Kaiser- und Hansestadt Tangermünde allmählich an Bedeutung.
Die Zeit, in der das Havelland mit der angrenzenden Altmark in der Blüte standen
Die gesamte Altmark war bis in das Jahr 1807 ein fester Bestandteil der Mark Brandenburg. Demzufolge ist Tangermünde ursprünglich eine märkische Stadt, die in den ersten Jahrhunderten für die Entstehung und die Entwicklung der Mark Brandenburg eine besondere Relevanz besaß. Folglich können wir mit der Stadt Tangermünde auf den historischen Ursprung sowie auf das merkantile und kulturelle Aufblühen der Mark Brandenburg verweisen. Insgesamt bildeten die Herrschaft der Askanier und die kurze fünfjährige Regierungszeit Kaiser Karls IV. – er starb bereits 1378 – eine Epoche des grandiosen Aufschwungs für die Mark Brandenburg. Dies war die Zeit, in der das Havelland mit der angrenzenden Altmark in der Blüte standen. Zahlreiche Vergrößerungen an havelländischen Kirchenbauten, zu denen auch der Umbau der gotischen Backsteinkirche Sankt Marien und Andreas in Rathenow gehörte, zeugten von einer Epoche der Erneuerung. Ebenso weist die in den profanen Bauten erkennbare Formensprache der Backsteingotik deutlich auf den zu errichtenden neogotischen Rathenower Bismarckturm hin.
Dies ist der Kern, aus dem einst die Mark Brandenburg entstanden ist …
Mit dem Anknüpfen an die kunstvollen Bauformen des märkischen Backsteinbaues, insbesondere an Tangermünder Motive wird deutlich, wie es zu der neogotischen Gestaltung des Rathenower Bismarckturms kam. Der für den Kreis Westhavelland in den Reichstag gewählte Abgeordnete Professor Dr. Görcke brachte es bei einer Versammlung des Denkmalkomitees in Rathenow auf den Punkt, als es sagte: Dies ist der Kern, aus dem einst die Mark Brandenburg, Preußen und zuletzt Deutschland entstanden sind. Mit Deutschland war das im Jahr 1871 durch Bismarcks kluge Regierungspolitik gegründete Deutsche Reich gemeint, in dem Preußen eine dominierende Rolle ausfüllte und dessen Wurzeln bis in die viel ältere Mark Brandenburg zurückreichten. Görcke hat sich vermutlich auf einen Ausspruch des Fürsten Bismarck bezogen, der gesagt hatte: Von diesem flachen Land hier, von der altmärkischen Heimat, die ja auch die meinige ist, ist die Kraft und der Anstoß zur Bildung des kurbrandenburgischen Staates und Preußens und schließlich zur Wiedergeburt des Deutschen Reiches ausgegangen. Wir sollten uns daran erinnern, dass Rathenow in jener Zeit des 19. Jahrhunderts als Kreishauptstadt des Westhavellands fungierte. Außerdem besaß das in der Nähe Rathenows lebende Geschlecht der Bismarcks in der Altmark seine historischen Wurzeln. Seit dem 16. Jahrhundert residierten sie östlich der Elbe in Schönhausen, beinahe in Sichtweite des havelländischen Landstädtchens Rathenow. In dem vom Bischof von Havelberg im 13. Jahrhundert gegründeten Ort Schönhausen war am 1. April 1815 auch Otto Eduard Leopold von Bismarck geboren worden.
Warum wurde Otto von Bismarck ein Rathenower Ehrenbürger?
Otto von Bismarck war mit den Stimmen der Rathenower Wahlmänner im Jahr 1849 in den preußischen Landtag gewählt worden. Folglich hatte seine politische Karriere in Rathenow begonnen. Es verwundert somit nicht, dass der Eiserne Kanzler im Jahr 1875 zum Ehrenbürger des pittoresken Havelsstädtchens ernannt wurde. Damit erinnert auch der Bismarckturm an sein erstes politisches Wirken in der Stadt. Dies formulierte der Abgeordnete des Westhavellands im Reichstag Professor Görcke prägnant: Bismarck ist ein Märker! Wir Rathenower sind Märker! Wir sind Kinder der vielhundertjährigen Geschichte der Mark Brandenburg! Jenes Motto sollte ebenso die ausgesendete Botschaft des zu erbauenden Bismarckturms in Rathenow werden.
Der Bismarckturm – ein Gemeinschaftswerk aller Rathenower
Die Entstehung des monumentalen Turms war ein kollektives Gemeinschaftswerk, an dem alle diversen Schichten der Bevölkerung der Stadt Rathenow und des Kreises Westhavelland mitgewirkt hatten. Beginnend mit den Leistungen des Architekten und des Bauleiters gingen seit dem ersten Aufruf vom April des Jahres 1911 bis zur Einweihung im Sommer des Jahres 1914 nicht nur unzählige kleinere und größere Einzelspenden ein, sondern auch die Liste der Handwerker und der Firmen war lang, die mit ihren Sachspenden und ihren kostenlosen Dienstleistungen mit zur Errichtung des Bismarckturms beigetragen hatten. Summa summarum wurden die Baukosten mit rund 30.000 Mark angegeben.
Feierliche Einweihung des Rathenower Bismarckturms am 21. Juni 1914
Die feierliche Einweihung des im neogotischen Stil errichteten Turms fand am 21. Juni 1914 statt. Das weithin sichtbare Monument bildet neben dem gotischen Kirchturm der evangelischen Backsteinkirche Sankt Marien und Andreas das zweite Wahrzeichen der Stadt Rathenow. Der auf dem Weinberg gelegene Bismarckturm weist eine stattliche Höhe von 34 Metern auf. In seinem oberen Innenraum war einstmals ein kleines Traditionszimmer zu Ehren des Eisernen Kanzlers eingerichtet worden. Außen befindet sich in luftiger Höhe eine umlaufende Aussichtsplattform, die schwindelfreien Ausflüglern einen weiten Blick in das hübsche märkische Land bietet. Besucher erreichen die stattliche Höhe über 90 Stufen in einer der steinernen Wendeltreppen, die sich in den beiden Hauptpfeilern des Turms befinden.
Der Bismarckturm nach dem Ende des II. Weltkriegs und nach der Wiedervereinigung 1990
Noch in den letzten Kriegswochen des Jahres 1945 wurde der unverwüstliche Bismarckturm stark beschädigt. Nach der glücklichen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 regten sich in Rathenow sofort erste Stimmen, die sich dafür aussprachen, den baufälligen Turm zu restaurieren.
Für diese Option hat sich besonders der frühere Bürgermeister Lünser stark gemacht, der dafür sorgte, dass sowohl der mittelalterliche Glockenturm der gotischen Stadtkirche Sankt Marien und Andreas wieder aufgerichtet als auch das zeitgeschichtlich wertvolle Bismarckmonument saniert werden konnten. Am 29. März des Jahres 2003 fand die feierliche Neueinweihung des imposanten Bismarckturms in seiner alten Pracht statt. Bedauerlicherweise konnte die im Jahr 1942 für Kriegszwecke eingeschmolzene Statue des Eisernen Kanzlers nicht wieder ersetzt werden. Dafür kann in dem rekonstruierten Traditionszimmer seit dem Sommer 2008 geheiratet werden. Heute gewährleistet der Optikpark Rathenow den Besuchern die Öffnung des beliebten Bismarckturms als Aussichtsplattform im Verlauf der Optikpark-Saison.
Hinweis
Bismarkturm auf dem Weinberg, Berliner Straße 15, 14712 Rathenow
Turmführungen können über die Tourist-Information unter der Telefonnummer: 03385-514991, oder über den Optikpark Rathenow, Telefonnummer: 03385-49850, angemeldet werden.
Öffnungszeiten des Bismarckturms: täglich von 11-17 Uhr
Preise: Der Eintritts- oder besser Aufstiegspreis für den Bismarckturm beträgt 1,50 EUR, ermäßigt 1,00 EUR. Es gibt auch eine Kombi-Karte für den Bismarckturm und den Optikpark.
Lesenswert
Hort, Jakob: Bismarckdenkmäler, in: Historisches Lexikon Bayerns. 2011