Was ist ein Hünengrab? Liegen dort Riesen begraben? Und warum sind so viele von ihnen verschwunden? In der Altmark in Sachsen-Anhalt erfahren Sie mehr über Archäologen, Megalithen und die letzte Eiszeit.
Ein Riese läuft durch nordische Landschaften und wenn sich seine Lebensreise schließt, wird er in gigantischen Gräbern von seiner Familie und einer großen Riesengemeinschaft bestattet. So erklärte man sich noch im 17. Jahrhundert das Vorkommen großer symmetrischer Anlagen aus schweren gigantischen Steinen, die man in der Landschaft fand. Insbesondere in den Landschaften des südlichen Skandinaviens und in der norddeutschen Tiefebene. Eine Region, die sich entlang von Nord- und Ostseeküste bis tief hinein in den Süden zieht; bis an die Grenzen der Mittelgebirge. Wahrlich eine Gegend für Riesen, umgangssprachlich auch Hünen genannt. Und so fand der Ausdruck Eingang in die Bezeichnung großer Steinanordnungen, die für noch immer nicht ganz geklärte Bestattungsformen und Bestattungsriten angelegt wurden: die Hünengräber.
Die Hünengräber der Altmark
Auch in der Altmark fand man zahlreiche solcher Megalithen, was sich sinngemäß aus dem Griechischen mit große Steine übersetzen lässt. Solche Anordnungen wollen wir heute aufsuchen, wenn wir mit dem Reisebus im nordwestlichen Sachsen-Anhalt unterwegs sind. Es gibt zahlreiche davon; oder viel eher muss man vielleicht sagen: es gab zahlreiche davon. Über tausende von Jahren lagen sie unberührt in der Landschaft, versteckt in Wäldern, hinter Hügeln und teilweise von Erde bedeckt. Doch die kulturelle Entwicklung der Menschheit machte nicht vor der Weiterverwendung der alten Grabanlagen halt. Sie wurden nach und nach (wieder)entdeckt und fanden als wertvolle Steine für den Bau von Wegen, Höfen und Kirchen Verwendung. Sie wurden vor Ort zerstört, zerstückelt und abtransportiert. Von den Großsteingräbern bei Diesdorf existierten ursprünglich zehn, heute sind es noch ganze drei. Und von den jungsteinzeitlichen Monumenten beim nahe gelegenen Molmke hat nur eine Anlage überlebt. Ein unverzeihlicher Verlust nach Jahrtausenden. Aber wir sind heute dankbar für die Areale, die überlebt haben. Der größte Akteur allerdings war die Natur selbst. Sie hat nach der letzten Eiszeit eine Endmoränenlandschaft in der norddeutschen Tiefebene geschaffen. Dabei wurden geschliffene große Steinbrocken, die von Gletschern über die gefrorene Ostsee geschoben worden waren, in der Landschaft verteilt. Wahrlich, als hätte sie ein Riese unachtsam hier und dort verteilt. Die Riesenkräfte waren in der Tat eine gigantische Arbeitsleistung. Nicht nur beim Bau der Pyramiden wurde geschuftet, auch das Errichten einer Hünengrabanlage bedurfte bis zu hunderttausend Arbeitsstunden. Dafür waren schon mal hunderte Arbeiter monatelang beschäftigt. Die Felsen wurden aus der nächsten Gegend zusammengerollt und geschoben; tonnenschwere Lasten mussten mit Hebelwirkungen, schiefen Ebenen und durch Erdaushübe bewegt werden. Arrangiert wurde oftmals ein rechteckiges Feld mit Begrenzungssteinen. An einem Ende wurden dann die wirklich schweren Steinblöcke symmetrisch zusammengerückt. Dabei gibt es Formen, bei denen Gruben gebaut oder die Felsformationen mit Erdhügeln überdeckt wurden. Es gab Gänge, Tunnel, offene Flächen. Man muss sich klar machen, dass die Hünengräber, wie wir sie heute finden, durch die Zeit bewegt wurden. Es gab Einstürze, Positionswechsel und vielleicht Erneuerungsarbeiten und Rekonstruktionen zu früheren Zeiten. Ein Abenteuer für Prähistoriker, Archäologen, Grabräuber und Schatzsucher. Doch in der Jungsteinzeit gab es noch keine bronzenen oder eisernen Grabbeigaben, wir haben es hier mit wirklich archaischen Gesellschaften zu tun.
Der Erforscher der Hünengräber in der Altmark
Einer dieser Prähistoriker war der in Salzwedel in der Altmark verstorbene deutsche Johann Friedrich Danneil (1783-1868). Zusammen mit dem Dänen Christian Jürgensen Thomsen (1788-1865) begründete er zeitgleich die Gliederung der Perioden Steinzeit, Bronzezeit und Eisenzeit. Auch wenn die Steinzeit heute viel differenzierter betrachtet wird (Danneil und Thomsen beschrieben lediglich die Jungsteinzeit), waren das bahnbrechende und nachhaltige archäologische Systematiken, wie wir es noch heute bei vielen Museumsbesuchen erleben können. In gewisser Hinsicht machen wir heute auch einen Museumsbesuch, nur dass das Museumsgebäude eben aus blauem Himmel, grünen Bäumen und goldgelben Feldern besteht. Das macht ja auch den besonderen Reiz einer Erkundung dieser Art aus. Eine Fahrt mit dem Reisebus lässt sich mit mehreren Stopps, kleinen Spaziergängen, Natur und Kultur verbinden. Es ist viel anschaulicher, die Megalithen an Ort und Stelle zu erleben. Natürlich gibt es in Museen heute die Möglichkeit, mit digitalen Techniken die Vergangenheit wiederauferstehen zu lassen. Insbesondere die Rekonstruktion von Architektur und Gelände kann so einen sehr informativen Mehrwert schaffen. Aber die Menschheitsgeschichte ist eben nicht nur rational und didaktisch vermittelbar – wir setzten bei unserem Ausflug ganz auf das Gefühl, auf die Präsenz der Felsen, auf das Anfassen, auf das Erleben inmitten der Natur. Ähnliches erleben wir vielleicht, wenn wir das ebenfalls in Sachsen-Anhalt gelegene Ringheiligtum Pömmelte besuchen; ein Stonehenge auf deutschem Boden. Auch hier spielen tonnenschwere Steine eine entscheidende Rolle beim Erleben und Begreifen. Auch bei einer Busreise können wir also der Frage auf den Grund gehen, wo wir Menschen herkommen und nicht nur der naheliegenden Frage, wo wir hinfahren und wo es sich vielleicht einkehren lässt. Aber auch das will natürlich nicht vernachlässigt werden, frische Luft macht hungrig und in der Altmark finden sich auch auf den Dörfern noch Gaststätten mit Hausmannskost und ehrlichen Angeboten.
Verschwundene Hünengräber in der Altmark
Aber kehren wir noch einmal zurück zu den Hünengräbern der Altmark. Es sind keine tausend solcher Anlagen in ganz Deutschland, die sich noch besuchen lassen. Das mag zwar noch immer viel erscheinen, doch müssen wir uns klar machen, dass bis zu 90 % der Megalithstrukturen verloren gegangen sind. Korrekter und etwas versöhnlicher formuliert: Sie sind aufgegangen in anderen Kulturleistungen des Menschen – alles ist eben immer im Wandel und nichts besteht für die Ewigkeit. Selbst Steinzeitgräber, deren Baumaterial die letzte Eiszeit in die norddeutsche Tiefebene geschoben hat, vergehen. Wir hoffen, dass Sie sich mit Freude auf die Entdeckung von Großsteingräbern einlassen und unsere Faszination für Geschichte und Geschichten teilen.
Hinweise
Das Hünengrab Diesdorf 1 liegt an der L8 500 Meter südwestlich von 29413 Diesdorf.
Das Großsteingrab Diesdorf 3 liegt in einem kleinen Wäldchen an der 2 km langen Verbindungsstraße zwischen Diesdorf und Lindhof. Am schönsten ist ein kleiner Spaziergang von Lindhof aus. Sie gehen entlang von Feldern etwa 1 km nach Norden und biegen dann nach rechts in den Wald ein.
Um zu dem Großsteingrab Molmke zu gelangen, folgen Sie ebenfalls dem Weg von Lindhof nach Norden, biegen nach 500 Meter auf die Straße in Richtung Molmke ein und entdecken dann auf der linken Seite eine freistehende, von einem Feld umschlossene Baumgruppe. Dort finden Sie das Hünengrab. Je nach Jahreszeit ist es zu besichtigen; dass Sie nicht ein bewachsenes Kornfeld kurz vor der Erntezeit niedertrampeln, um Ihrer Entdeckerlust zu befriedigen, versteht sich von selbst.
Gastronomisch (für Kuchen oder Mittagsimbiss) empfehlen wir Ihnen das Museumscafé des Freilichtmuseums Diesdorf. Auch darüber hat der Buskompass schon berichtet!
Lesenswert
Das Buch Kathedralen der Steinzeit vereint beeindruckende Aufnahmen mit spannend aufbereiteten Wissen und ist für 32 € im Buchhandel erhältlich.