Sind Ihnen auch immer mal wieder alte Bunker in den Innenstädten aufgefallen? Meist stehen sie wie Zeitkapseln irgendwo im Nirgendwo. So war es jedenfalls früher. In den letzten Jahren werden diese steinernen Denkmale wiederbelebt. Die private Kunstsammlung Boros im ehemaligen Reichsbahnbunker ist dafür ein hervorragendes Beispiel.
Als ich ein Kind war, kam ich auf meinem Schulweg täglich an einem seltsamen Bauwerk vorbei. Am Rand des Wäldchens in Berlin-Grünau war inmitten eines Kiefernwaldes eine Art verschlossener Hügel, eine Sandburg, fast wie von Kindern gebaut und zugleich ging etwas Bedrohliches von ihr aus. Eine in Beton gefasste Tür führte in den Sandhügel. So etwas regte die Fantasie von Kindern an. Ein Zauberberg? Ein Sesam-öffne-dich? Es war kein Schild dran, was das Ding sein konnte. In einer Welt wie der DDR in den sechziger und siebziger Jahren, die vorgab, alles erklären zu können, auf alle Fragen eine Antwort wusste, mutete das Bauwerk sehr seltsam an. In späteren Jahren kam das Schild „Betreten verboten! Eltern haften für ihre Kinder“ dazu und das Bauwerk wurde eingezäunt. In den Erzählungen der Grünauer Kinder, meiner Mitschüler, rankten sich Gerüchte um Gerüchte zu dem rätselhaften Bauwerk, aber keiner wusste, was es war. Nach dem Mauerfall wurde klar, dass es sich um eine Schaltstelle der Staatssicherheit für geheime Regierungsverbindungen, vermutlich Telefongespräche, handelte. Um eine Schaltstelle der Abteilung N, wie Nachrichten.
Ein Bunker birgt unsere deutsche Geschichte
In Berlin-Mitte, nahe dem S-Bahnhof Friedrichstraße, an der Albrechtstraße Ecke Reinhardstraße, stand ebenfalls ein rätselhafter Bau, ein ziemlich großer, schwarzer Quader, der von allen Seiten verschlossen schien. Als ich als junge Frau oft ins Deutsche Theater ging, fiel mir dieser Betonklotz ebenfalls auf und ich fragte mich, in was für einer seltsamen Welt der unbenannten Bauwerke wir wohl leben. Heute weiß ich, dass es sich um einen Luftschutzbunker aus dem 2. Weltkrieg handelte, den sogenannten „Reichsbahnbunker Friedrichstraße“, der 1943 von dem Architekten Karl Bonatz entworfen und in kurzer Bauzeit von Zwangsarbeitern errichtet wurde. Er sollte 1600 Menschen aufnehmen und schützen. Vorrangig Reisende vom Bahnhof Friedrichstraße und Besucher des Deutschen Theaters. Tatsächlich fanden mitunter 4-5000 Schutzsuchende darin Platz. Der Bau erinnert in seiner Monstrosität an byzantinische Bauwerke aus dem benachbarten Pergamonmuseum. Er sollte nach dem geplanten Endsieg Teil der Hauptstadt Germania werden. Die bis zu drei Meter dicken Wände aus Stahlbeton umfassten 120 Räume auf fünf Etagen. Im Mai 1945 besetzte die Rote Armee den Bunker und ab 1949 diente er dem sowjetischen Geheimdienst NKWD als Untersuchungsgefängnis. Danach, 1950, übernahm die Staatssicherheit der DDR das Bauwerk.
Bananen, Apfelsinen und Moderne Kunst
Ab 1951 war das Gebäude Textillager und ab 1957 Lagerraum für die begehrten Südfrüchte aus Kuba und der weiten Welt. Im Volksmund hieß der Bunker nun Bananenbunker. Manche Berliner meinen, man konnte die Orangen von außen riechen.
Nach verschiedenen Mietern und seiner Nutzung in der Zeit nach dem Mauerfall als Techno-Klub, Theaterraum und für Modenschauen erwarben 2003 die Wuppertaler Sammler Karen und Christian Boros das Gebäude. Sie suchten einen Platz für die Ausstellung ihrer privaten Kunstschätze, ihre internationale Sammlung Moderner Kunst von 1990 bis heute und zudem bauten sie ein tolles Penthouse auf das Dach. Das Penthouse ist bewusst im Stil der Neuen Sachlichkeit, der Leichtigkeit und Offenheit des Bauhauses im Kontrast zur monströsen Nazi-Bauweise errichtet. Der Umbau war eine große, komplizierte Aufgabe und dauerte fünf Jahre.
Die Sammlung Boros kann man nach Anmeldung im Rahmen einer Führung besichtigen. Auf 3000 m2 wird in 80 Räumen zeitgenössische Kunst der Öffentlichkeit gezeigt. Diese Kunst ist vielleicht nicht unbedingt immer schön anzusehen, erzählt aber viel über Phänomene unserer Zeit. Die Inhalte der wechselnden Ausstellungen werden den Besuchern erklärt und vermittelt. Meist ist pro Raum ein Kunstwerk ausgestellt. Insofern ist diese Sammlungspräsentation das Gegenstück zur Sammlung im Kunsthaus Achim Freyer. Dort sind auf drei Etagen 2400 Kunstwerke, Bilder, ausgestellt. Dicht an dicht in Petersburger Hängung. Mir gefällt die Sammlung Achim Freyer besser. Aber das ist, wie alle Kunst, Geschmacksache. Die Sammlung Boros ist jedenfalls ebenfalls einzigartig in ihrer Art und Weise und zeigt eine Perspektive auf unsere Welt.
Ich empfehle es, beide Sammlungen zu besichtigen.
Und ja, wer kürzlich den spannenden, Oskar-nominierten Film TÁR mit Cate Blanchett und Nina Hoss im Kino gesehen hat – dieser wurde unter anderem im Penthouse auf dem Bunker der Sammlung gedreht. Sehen Sie selbst!