Auf der Fischerinsel in Berlin wurden die ersten Hochhäuser in Berlin-Mitte errichtet.
An der ältesten Stelle Berlins wurde von 1969 bis 1973 neu gebaut.
Was erzählen uns diese Häuser heute?
Als Kind, als Mädchen in Ost-Berlin, sammelte ich Ansichtskarten aus aller Welt. Die bekam ich von meinen vielen Tanten, Onkeln und anderen Verwandten von ihren Reisen in die weite Welt geschickt. In Amerika gab es Wolkenkratzer, die fand ich toll. Wolkenkratzer konnte ich mir nicht vorstellen, die gab es im Südosten von Berlin, wo ich wohnte, nicht. In Leipzig, wo meine Großeltern lebten und wo ich oft zu Besuch war, gab es die auch nicht. Auch wenn ich mit meinen Eltern in die Stadt fuhr, so sagten wir damals, entdeckte ich keine Wolkenkratzer. Nur manchmal, wenn wir zum Beispiel zu Silvester bei Kollegen oder Freunden meines Vaters im Stadtzentrum zu Besuch waren, gelangten wir in mehrstöckige Häuser, die ich sehr anders und modern fand. Eines hatte zum Beispiel einen Müllschlucker – man musste seinen Abfall nicht herunter tragen und in eine Mülltonne werfen, sondern konnte ihn einfach vor seiner Wohnungstür in eine Klappe geben und weg war er. Auch Fahrstühle fand ich erstaunlich. Bei einem Mitarbeiter meines Vaters, Herrn Bassan, er war Bulgare, gab es sogar endlos Margon-Wasser mit Geschmack im Kühlschrank und für alle zu trinken, so viel man wollte. Margon-Wasser war damals die Brause, so etwas wie Fanta, aber nicht so süß. Es schien mir paradiesisch. Aber am Besten waren die weiten Ausblicke von Balkon über die Stadt!
So etwas hatte unser Haus mit Garten nicht zu bieten.
Moderne Hochhäuser auf der alten Fischerinsel Berlin

Foto: © Karin Frucht / comkomm
Hätte ich damals gewusst, dass auch in der DDR, in Ost-Berlin Hochhäuser gebaut werden – ich wäre sehr neugierig darauf gewesen. Von 1969 bis 1973 wurden auf der Fischerinsel Berlin sechs Hochhäuser von jeweils über 60 Metern Höhe mit im Durchschnitt einundzwanzig Stockwerken gebaut. Als wirkliche Wolkenkratzer gelten allerdings erst Häuser ab 150 Metern Höhe. Die Fischerinsel befindet sich im ältesten Berliner Siedlungsgebiet der Spreeinsel. Im nördlichen Teil der Spreeinsel befindet sich die berühmte Museumsinsel, gefolgt von der Schlossinsel mit dem Humboldt Forum und der Fischerinsel.
Verschüttete Stadtgeschichte
Die acht Hektar große Fischerinsel gehörte zum ältesten Teil der mittelalterlichen Stadt Cölln. Bereits vor 1200 war das Gebiet besiedelt. Im 15. Jahrhundert lebten wohlhabende Fischer und Schiffer dort. Ab dem 18. Jahrhundert wurde die Gegend ein Quartier für arme Leute, der in späteren Jahren sogenannte Fischerkiez. 1709 wurden die beiden Städte Berlin und Cölln unter dem Namen Berlin vereinigt. Die erste urkundliche Eintragung ist von 1244. Der Name Berlin ist slawischen Ursprungs und bedeutet übrigens „Sumpfstadt“. Die Siedlung lag auf trockenen Flächen inmitten eines Sumpfgebietes.
Hier lebte der Kaufmann Hans Kohlhase, den Heinrich von Kleist in seiner Novelle berühmt machte. Hier stand das echte „Gasthaus Zum Nussbaum“ – das später im benachbarten Nikolai Viertel wieder aufgebaut wurde, hier fanden Maler wie Heinrich Zille und Otto Nagel ihre Motive.
Die Häuser auf der Fischerinsel waren nach dem Zweiten Weltkrieg zu 50 Prozent zerstört, ein Wiederaufbau wäre möglich gewesen. So war auch die Planung ab 1957, die zum Beispiel der Berliner Maler Otto Nagel befürwortete. Er wollte, dass auf der Fischerinsel Wohnungen für Künstler und Ateliers errichtet werden. Zu Beginn der 60er Jahre änderte sich jedoch die Baupolitik, man wollte großflächige Effizienz. Und so wurden die noch bestehenden Häuser, Quartiere und Plätze 1967 bis 1971 abgerissen. Barocke Pracht an der Friedrichsgracht wurde ebenso vernichtet wie die kleinen Häuser der Handwerker.

Foto: © Karin Frucht / comkomm
Das alles wusste ich natürlich nicht, als ich ein Kind war. Von heute aus gesehen, wäre mir der Erhalt der historischen Fischerinsel, des alten Stadtkerns von Berlin natürlich viel lieber gewesen. Die Zeit lässt sich allerdings bekanntermaßen nicht zurückdrehen. Und so freute ich mich, als eine alte Bekannte aus der Kindheit mich im Sommer vor zwei Jahren fragte, ob ich sie in ihrer Wohnung im 16. Stock auf der Fischerinsel besuchen möchte. Unsere Eltern hatten in den sechziger Jahren zusammen Musik gemacht und wir Kinder hatten dabei zugehört. Ich genoss das Wiedersehen und die grandiose Aussicht.
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Andreas Ulrich: „Die Kinder von der Fischerinsel“ ist erschienen im be.bra Verlag und kostet 20 Euro.