Rostock ist eine der bedeutendsten Hafenstädte an der deutschen Ostseeküste, die dichteste Wirtschaftsregion Mecklenburg-Vorpommerns und dessen größte Stadt. Die Fußgängerzonen, die Universität und das Volkstheater Rostock verleihen der Hansestadt einen Hauch von Großstadt. Zwar wurde die Innenstadt im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, dennoch findet man am Neuen Markt und an der Kröpeliner Straße noch einige historische Bauten – einzelne mittelalterliche Gebäude und vor allem schöne barocke Giebelhäuser. Keine 15 km vom Herzen der Hansestadt entfernt, lockt das ungetrübte Badevergnügen in Warnemünde. Eine Anreise mit dem Bus empfiehlt sich.
Rostock und Theater? Ja, Rostock hat ein unter Insidern sehr bekanntes Theater. Der Intendant Hanns Anselm Perten (1917 – 1985) entwickelte das Rostocker Volkstheater bereits ab 1952 zu einem der bekanntesten Bühnen der DDR. Er machte politisches Theater, das eine Beeinflussung der Wirklichkeit im Sinn des Sozialismus wollte. Auf dem für Offenheit plädierenden Spielplan standen Klassiker und aktuelle Dramatik der DDR und der Sowjetunion. Außerdem wurden Werke westlicher und lateinamerikanischer Autoren gespielt.
Über Grenzen hinweg – auch in der DDR
Dabei war die produktive Zusammenarbeit mit Peter Weiss, dem deutsch-schwedischen Schriftsteller, Maler und Grafiker besonders wichtig. Weiss lebte von 1916 bis 1982. Die DDR-Erstaufführung seines so berühmten Stücks „Die Verfolgung und Ermordung von Jean Paul Marat dargestellt durch die Schauspielgruppe des Hospitzes zu Charenton unter Anleitung des Herren des Sade“ am 26. März 1965 war ein Höhepunkt und wurde auch international sehr anerkannt. Auch sieben Stücke des bekannten Dramatikers Rolf Hochhuth (1931-2020), angefangen von „Der Stellvertreter“, erlebten zwischen 1965 und 1985 in Rostock ihre DDR-Erstaufführung. Perten und Hochhuth waren befreundet, daher ergab sich eine intensive Arbeitsbeziehung. Auch zu Friedrich Dürrenmatt, Max Frisch und dem Jahrhundertkomponisten Werner Henze pflegte Perten Kontakte, für einige war er eine Art Vaterfigur. Er konnte so einen beeindruckenden Spielplan mit jetzt lebenden Autoren und Komponisten auf die Beine stellen. Perten hatte am Rostocker Theater einen der interessantesten Spielpläne der DDR. Er wollte mit den Mitteln des dokumentarischen Theaters „dem Zeitgenossen nicht Rezept, sondern Antwort zu geben auf zeitgenössische Fragen und sei es im historischen Gewand.“ Hier traf sich mit Perten, Weiss, Dürrenmatt, Frisch eine ganze Generation über Grenzen hinweg. Das Volkstheater Rostock wurde zum bedeutendsten Reisetheater der DDR – vor allem nach Westdeutschland.
In der DDR mangelte es oft an Welt- und Weitblicken über den Gartenzaun. Internationale Literatur und Informationen dazu, auch Neuerscheinungen waren schwer zu bekommen, am ehesten unter der Ladentheke – wenn mal etwas zu kaufen war, nahm der Interessierte gleich alles mit, was es gab, ohne zu wissen, ob ihn das Sujet interessiert. Auch daher war das Volkstheater Rostock zu dieser Zeit ein besonderer Leuchtturm! Zudem an der Küste verortet. Noch ein weiterer Grund, es zu besuchen.
Und heute? Theater auch in der Neptunwerft
Das Volkstheater Rostock ist das Vierspartentheater der Hanse- und Universitätsstadt. Musiktheater, Schauspiel, Tanztheater und die Konzerte der Norddeutschen Philharmonie Rostock zeigen Abwechslungsreiches und Anregendes. Im Großen Haus sind 500 Plätze, im Ateliertheater 64 Plätze, in der Kleinen Komödie in Warnemünde 68 Plätze an Tischen. Beim Volkstheatersommer, der jedes Jahr von Mai bis September in Halle 207 stattfindet, gibt es Neues auf dem Gelände der alten Neptunwerft zu entdecken. Seit 2017 wird eine Bühne in der ehemaligen Schiffsbauhalle errichtet. Die Halle strahlt den Charme alter Industrieanlagen aus. Das Theater wird hier in einen neuen Kontext gestellt und für das Publikum auch mit Musicals und Kindertheater erlebbar.
Kooperationen mit anderen Kultureinrichtungen und Unternehmen führen das Theater auch an andere Orte, zum Beispiel in Restaurants und ins große Ostseestadion. Ein Blick in den aktuellen Spielplan lohnt sich!
Was war und was wird
Das städtische Theater gibt es in Rostock seit 1895. Im April 1942, beim zweiten großen Luftangriff im Krieg nach Lübeck, wurde die historische Innenstadt fast völlig zerstört und das gesamte Theater ging in Flammen auf. Innerhalb von kurzer Zeit musste völlig neu angefangen werden.
Hier sei es erlaubt, eine Zeitzeugin zu Wort kommen zu lassen. Meine alte Freundin Anneliese Eigendorff (1913-1988), eine bekannte Kostümbildnerin – ich lernte sie während meiner Anfängerzeit 1979 am Theater in Rotterdam kennen – erinnert sich: „Wir bekamen eine halbe Million Reichsmark von den Nazis für die Kostümabteilung. Für sie war es wichtig, dass die Theater weiter spielten, um die Bevölkerung bei Laune zu halten. Die Menschen nicht weiter zu beunruhigen, als sie es sowieso waren. Wir bestellten eine Grundausstattung in Berlin. Ich fuhr nach Berlin einkaufen. Mit einem Mal stand ich vor einem viel größeren Problem als am Theater wo ich zuvor war – von wo ich froh war, weg gekommen zu sein: Eben bei Null anfangen. Ich musste die Werkstatt in Gang setzen, zuschneiden, entwerfen, Hüte machen, für zehn Menschen Arbeit beschaffen. Ich war wieder von früh um acht bis nachts um zwölf im Theater. Alle vierzehn Tage ein Premiere. Dazu kamen die immer heftiger werdenden Bombenangriffe. – Die Intendanz war zufrieden mit mir. Vom ersten Solisten bis zum letzten Statisten alles neu machen, das war meine Aufgabe in Rostock. Es war ein Tanz auf dem Vulkan. Man lebte eigentlich nur von einem Tag zum anderen. Man hat Feste gefeiert, getanzt. Es war immer ein großer Kreis zusammen, der sich vielleicht auch künstlich über diese Situation – dieser Tag kann der letzte sein, hinweghalf.“
Soviel Annelieses Erinnerungen. Im September 1942 schrieb sie noch: „Ich genoss das wunderschöne saubere Seestädtchen.“ Ich, die Autorin dieser Zeilen finde es durchaus gut und wichtig, sich zu erinnern. An eine Zeit, die fern scheint, doch unser Leben sehr geprägt hat und prägt.
Das Theater wurde in einem ehemaligen Vergnügungs- und Vereinsgebäude untergebracht. 1975 wurde dies erweitert, umgebaut und renoviert. Heute bestreiten hier ca. 250 Mitarbeiter ungefähr 700 Vorstellungen pro Jahr. 2015 vereinbarte die Rostocker Bürgerschaft den Neubau des Volkstheaters. 2018 wurde ein Investitionsvolumen von 110 Millionen Euro definiert. 2019 wurde ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben. Hier sieht man, wie viel Zeit von der Planung eines Theaterneubaus bis zu seiner Fertigstellung – vom Beschluss im Stadtrat bis zur Premiere im neuen Haus vergeht – wie viele Institutionen, Gewerke daran mitarbeiten.
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Quellen
„Drei Theaterfrauen – drei Generationen. Eine biographische Untersuchung.“ Magisterarbeit von Karin Frucht / comkomm, Berlin 1988.