Konstanz, am Seerhein zwischen Obersee und Untersee dicht an der Schweizer Grenze gelegen, ist die größte Stadt am Bodensee, ein bedeutendes Kulturzentrum mit Universität und einem regen Theater- und Musikleben. Die malerische Altstadt mit ihren zahlreichen mittelalterlichen Bauten erstreckt sich zwischen Rhein und der Schweizer Grenze. Es empfiehlt sich, mit einem Bus anzureisen – so erschließt sich der weiträumige Kulturraum Bodensee.
Berühmt ist hier natürlich das Konzil, 1414 bis 1418, der einzigen Papstwahl auf deutschem Boden – und Jan Hus: der böhmische Reformator wurde hier zum Tode verurteilt. Man sieht: in Konstanz ging es immer schon um Leben und Tod, wobei man es der so romantisch am See gelegenen friedlichen Stadt nicht ansieht.
An das Konzil erinnert – nicht zu übersehen – die Statue der Imperia des Bildhauers Peter Lenk am Hafen. Von weitem erkennt man die neun Meter hohe Figur: eine üppige Frau, eine Kurtisane, mit tiefem Dekolleté und eindeutig sinnlicher Ausstrahlung. Sie streckt beide Hände in die Höhe, in jeder sitzt ein nacktes, winziges Männlein. In der rechten eine Königsfigur mit Reichsapfel, in der linken eine Papstfigur mit Tiara und übereinandergeschlagenen Beinen. Die Interpretation der Szene ist offen: Sind es Allegorien der weltlichen und geistigen Macht – oder konkrete historische Personen? Kaiser Sigismund und der in Konstanz gewählte Papst Martin V.? Die Interpretation bleibt dem Betrachter überlassen. Der Bildhauer selbst sagte dazu in einem Interview 2013: „Es handelt sich bei den Figuren nicht um den Papst und nicht um den Kaiser, sondern um Gaukler, die sich die Insignien der weltlichen und geistlichen Macht angeeignet haben. Und inwieweit die echten Päpste und Kaiser auch Gaukler waren, überlasse ich der geschichtlichen Bildung der Betrachter..“
Diese Figurenkonstellation verweist nicht zufällig auf die angebliche Mätressenherrschaft in der römischen Amtskirche. Sowohl die Kirche als auch die Politik werden als Vertreter des Patriarchats bloßgestellt. Der Kopfschmuck der Imperia verweist wohl auf das Märchen „Des Kaisers neue Kleider„. Er ähnelt einer Narrenkappe mit Schellen. Imperia ist also nicht nur listenreiche Kurtisane, sondern auch eine das Spiel der Mächtigen durchschauende Hofnärrin.
Das Figurenensemble wurde 1993 unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit eingeweiht und war anfangs heftig umstritten. Konstanzer Kirchen und konservative Politiker waren in ihrem Protest gegen die Erhebung einer Prostituierten zu einem Denkmal vereint. Auch der Kunstverein bezweifelte die Qualität der Statue. Schnell wurde die Imperia zu einer der Touristenattraktionen, zu einem Wahrzeichen der Stadt.
Das Beispiel dieser stolzen Frauenfigur zeigt Theater im öffentlichen Raum auf unbewusste aber deutliche Weise. Vor der Weite des Bodensees zeigt die prächtige Imperia dramatische Mehrdeutigkeit und zugleich eindeutig, was Sache ist.
Das Stadttheater in Konstanz befindet sich im ältesten, dauerhaft bespielten Theaterbau Deutschlands. Ursprünglich Aula eines Jesuitenkollegs, fanden hier nachweislich seit 1607 Theateraufführungen statt. Die Holzsäulen im Erdgeschoss stammen noch aus dieser Zeit. Heute existiert ein Stadttheater mit zwei Sparten: Schauspiel und Kinder- und Jugendtheater. Im Stadttheater sind 400 Plätze.

Ich treffe meine ehemalige Kollegin Friederike vor dem Theater. Sie ist hier Mitarbeiterin der Intendanz des Theaters. Sie macht mich auf das Relief an der Fassade aufmerksam: Schau mal – hier sieht man wie die Spaßmacher, der Hanswurst und der Harlekin von der Bühne verdrängt wurden. Nach Gottscheds Theaterreform 1773 wurden sie von der Bühne verbannt – man wollte, nach antikem und französischem Vorbild, „regelmäßiges Theater“ in Deutschland etablieren. Die Dichtkunst sollte Regeln folgen, das Theater eine „Schule guter Sitten“ sein. Ob es dem Theater immer gut getan hat, sei dahin gestellt – es ging auch Lebendigkeit und Volksnähe verloren. Es war ein Entwicklungsschritt. Hier auf dem Relief sieht man in der Mitte Friederike Caroline Neuber, die Neuberin – die berühmte Schauspielerin und Theaterprinzipalin auf dem Dichterpferd, dem Pegasus. Der Maler Franz Xaver Hermann (1758 bis 1839), Sohn des bekannten Kirchenmalers Franz Ludwig Hermann, hat das Relief gemacht. Es ist ganz schön was los in Konstanz!
Die Stadt hat 86 190 Einwohner. Das benachbarte Kreuzlingen, das schon in der Schweiz liegt, 21 990 Einwohner. Das Dreiländereck Deutschland, Schweiz, Österreich – der See und die Berge ums Eck machen den Reiz der Landschaft aus.

Und noch etwas ganz besonderes gibt es zwischen Konstanz und dem benachbarten Kreuzlingen, so zeigt mir Friederike: Die Kunstgrenze. Sie ist wörtlich zu nehmen: hier gibt es keinen Grenzzaun, sondern 22 Skulpturen des in Berlin, New York und London geschulten Bildhauers Johannes Dörflinger. Seit 2007 zeigen kolibirirote Tarot-Skulpturen den Verlauf der Landesgrenze zwischen Deutschland und der Schweiz an. Figuren wie der Magier, die Herrscherin, das Glücksrad, der Narr und viele andere sollen die Bedingungen der menschlichen Existenz zeigen. Sie ermöglichen dem Betrachter durch ihre Leichtigkeit Raum für eigene Interpretationen. Himmel, Luft, Erde und der See fließen in der Betrachtung der leicht erscheinenden, schier fliegenden Stahlkonstruktionen ineinander über – im Auge und im Kopf des Betrachters entsteht so Platz für etwas Neues.
Wir Berliner Mauerkinder, Friederike und ich, hatten zuvor so etwas noch nie gesehen, nie erlebt. Das Tarot-Figuren-Ensemble weist den Weg nach Europa. Gerade jetzt in dieser Zeit, in der nationale Bewegungen die Zeit zurückdrehen wollen und viele Menschen ohne Heimat sind, die fliehen, ihr Land wegen Krieg und Umweltzerstörung verlassen müssen, ist die Kunstgrenze eine persönliche Erfahrung von besonderem Wert!