Unser Reisebus bringt uns zu den beiden Tortürmen der Brandenburger Neustadt.
Wir erfahren nicht nur von der Geschichte und von der Architektur der mittelalterlichen Befestigungsanlagen, sondern wir lassen uns auch den Terminus einer Akzisemauer erklären, die der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. im Preußen des 18. Jahrhunderts eingeführt hat.
In der märkischen Landesgeschichte wird eine funktionstüchtige Stadtbefestigung für die Brandenburger Neustadt am Beginn des 13. Jahrhunderts postuliert. Allerdings dürften ursprünglich nur die Stadttore und die besonders gefährdeten Abschnitte mit einer gewappneten Befestigung versehen worden sein. Erst am Anfang des 14. Jahrhunderts gingen die Bürger der Neustadt dazu über, ihre Teilstadt zum Schutz vor Feinden durchgehend mit wehrhaften Backsteinmauern zu verstärken, denen auf der Landseite tiefe Wassergräben vorgelagert waren. Über die mit Wasser gefüllten Befestigungsgräben führten steinerne Brücken zu sogenannten Vortoranlagen oder Bastionen. Zum Schutz dieser burgartigen Anlagen wurden ferner kolossale Tortürme erbaut, von denen in der Neustadt bedauerlicherweise nur noch der große Steintorturm und der oktogonale Mühlentorturm die Jahrhunderte unbeschadet überdauert haben. Indessen erfolgte in der Epoche des ausgehenden Mittelalters der eigentliche Zugang in die Brandenburger Neustadt durch die massiven Stadttore. Erst die anhaltenden Zerstörungen im langjährigen Verlauf des verheerenden Dreißigjährigen Krieges in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts beschleunigten den rapiden Verfall des ausgeklügelten Neustädtischen Befestigungssystems.
Die Befestigungsanlagen der Neustadt erlebten eine Renaissance als Akzisemauern
Gleichwohl erlebten die Tortürme und die Backsteinmauern als sogenannte Akzisemauern eine kurzzeitige Renaissance durch eine von dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. in Preußen eingeführte neue Steuer, die Akzise, die an den jeweiligen Stadttoren zu entrichten war. Dieser Binnen- oder Schutzzoll wurde vor allem auf ausländische Waren wie Getränke und Manufakturgüter erhoben.
Ab dem frühen 19. Jahrhundert erwiesen sich aufgrund des zunehmenden Straßenverkehrs die Neustädtischen Stadttore und Bastionen immer öfter als hinderlich, so dass sie bald darauf abgerissen wurden. Von diesen tiefgreifenden, das gesamte Straßenbild verändernden Maßnahmen waren auch weite Teile der spätmittelalterlichen Stadtmauer unwiderruflich betroffen.
Der Neustädtische Steintorturm aus dem 15. Jahrhundert
Der unweit der Stadtschleuse in der Neustadt gelegene 28,5 Meter hohe Steintorturm gilt mit seinen beachtlichen 11 Metern Durchmesser und mit einer unteren Mauerstärke von 3,5 Metern als der wehrhafteste und kolossalste aller Brandenburger Tortürme. Die Funktion des mächtigen Turmes war es, das Steintor zu sichern, an dem die mittelalterliche Heerstraße beziehungsweise die wichtige Fernhandelsstraße über die hölzerne Steintorbrücke in das westlich gelegene Magdeburg an der Elbe führte.
In östliche Richtung verlief diese alte Handelsstraße über die märkischen Städte Spandau und Cölln-Berlin bis in das ostpreußische Königsberg und wieder retour. Die Forschung geht davon aus, dass der Neustädtische Torturm am Beginn des 15. Jahrhunderts erbaut wurde, weil seine erste schriftliche Erwähnung in das Jahr 1433 datiert. Sein sprechender Name – Steintorturm – dürfte wahrscheinlich von den archäologisch nachgewiesenen Findlingen und Natursteinen herrühren, aus denen der erste Torbau bereits im 13. Jahrhundert errichtet worden war. Jener war ein bedeutender Teil der mittelalterlichen Wehranlagen der Neustadt.
Das Innere und das Äußere des Steintorturms im Detail
Im Steintorturm ist heute ein ansehenswertes Museum eingerichtet worden. In seinem Inneren befinden sich über dem im Souterrain gelegenen kuppelgewölbten Kerkerraum vier weitere Geschosse. Jede als kleiner Ausstellungsraum hergerichtete Etage ist mittels einer an der Wand befindlichen Treppe aus zu erreichen. Die in den Wänden der einzelnen Etagen eingelassenen Musketen- und Armbrustschlitze waren maßgebend für die spätmittelalterliche Verteidigung des Turms. Über dem vierten Geschoss befindet sich die obligatorische Wehrplattform mit ihrem prunkvoll verzierten Zinnenkranz. Von der für Museumsbesucher begehbaren Plattform genießen Sie einen wunderbaren Ausblick über die Brandenburger Neustadt. Sowohl der kegelförmige Helm als auch der eiserne Adler, die beide die Spitze des Torturms bilden, sind zwei Originale, die noch aus der spätmittelalterlichen Epoche stammen. In die umlaufende Außenwand des Steintorturms sind jeweils an der Feld- und an der Stadtseite zwei Kreis- und zwei Wappenblenden eingefügt worden, die noch heute deutlich erkennbar sind. Anschließend steigen wir in den wartenden Reisebus ein, der uns zum Mühlentorturm fährt.
Baumeister Nikolaus Kraft errichtete den Neustädtischen Mühlentorturm im Jahre 1411
Der schlanke, 24 Meter hohe Mühlentorturm wurde im Jahre 1411 von dem Stettiner Baumeister Nikolaus Kraft konstruiert. Diese Aussage macht uns die aus Ziegelton angefertigte Inschriftentafel, die sich an der Stadtseite des achteckigen Turms befindet.
Es wird zudem vermutet, dass Baumeister Kraft auch ein Mitglied der spätmittelalterlichen Bauhütte war, die von Hinrick Brunsberg geleitet wurde. Wir erinnern uns, dass Brunsberg ebenfalls die Neustädtische Katharinenkirche errichtet hat, von der unser Autor in einem früheren Text bereits berichtete. Von der Toranlage, die einstmals den Zugang von der Altstadt über die Mühlenbrücke zur Neustadt schützte, blieb heute leider nur noch der aus roten Backsteinen erbaute Torturm erhalten. Sowohl die sich rechts neben dem Mühlenturm befindliche Tordurchfahrt als auch der ursprünglich rechteckige Unterbau des Turmes wurden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus verkehrstechnischen Gründen entfernt.
Das Innere und das Äußere des Mühlentorturms im Detail
Im Inneren des Mühlentorturms befinden sich über dem im Souterrain gelegenen einstigen Verlies drei weitere Etagen.
Seine äußere Fassade wird durch ansehenswerte Spitzbogenblenden gegliedert, die uns auffallend an langgezogene gotische Kirchenfenster erinnern. Aufgrund der kirchenfensterartigen Spitzbogenblenden unterscheidet sich das stilvolle Äußere des Mühlentorturms beachtlich von den anderen Brandenburger Tortürmen. Dennoch ist auf zusätzliches und in jener Epoche gebräuchliches Schmuckwerk in puncto einer besseren militärischen Verteidigungsfähigkeit des Mühlentorturms durch seinen versierten Baumeister Kraft verzichtet worden.
Seinen oberen Abschluss findet der Neustädter Turm in einem wehrhaften Zinnenkranz und einem darunter liegenden Gesims, das ein altes Gestaltungselement der abendländischen Architektur verkörpert. Schließlich wird die Spitze des Mühlentorturms von einem steinernen Helmkegel, beziehungsweise einem Pyramidenhelm, bekrönt.
Nachdem der spätgotische Turm gegen Ende des II. Weltkriegs einige beachtliche Schäden erlitten hatte, wurde er zunächst notdürftig noch im Jahr 1945 instand gesetzt und schließlich zu Beginn des neuen Jahrtausends umfangreich saniert.
Nach diesen interessanten Besichtigungen stehen uns gleich zwei Restaurants für eine verdiente Erholung zur näheren Auswahl.
Hinweis
Steintorturm ∙ Steinstraße ∙ 14776 Brandenburg an der Havel, Neustadt
Mühlentorturm ∙ Mühlendamm ∙ 14776 Brandenburg an der Havel, Neustadt
Restaurant Kartoffelkäfer ∙ Steinstraße 56 ∙ 14776 Brandenburg-Neustadt. Circa 260 Meter bzw. 3 Minuten Spaziergang vom Steintorturm entfernt.
Telefon: 0 33 81 / 22 41 18 ∙ Öffnungszeiten: täglich ab 11.00 Uhr
Restaurant & Weinhandel an der Dominsel ∙ Neustädtische Fischerstraße 14 ∙ 14776 Brandenburg-Neustadt. Cirka 70 Meter bzw. 1 Minute Fußweg vom Mühlentorturm entfernt.
Telefon 0 33 81 / 89 18 07 ∙ Öffnungszeiten: Mo-Sa: 11.30 bis 22.00 Uhr
Lesenswert
Büttner, Horst u.a.: Kunstdenkmäler. Berlin 1987