Frankfurt (Oder) vereint vieles. Auch zwei Länder: Deutschland und Polen. Gestern und heute. Lebendige Geschichte. Grenzstädte sind immer interessant.
Frankfurt (Oder) lebt heute vom europäischen Gedanken. Daraus bezieht die Stadt auf verschiedene Weise Kraft. Die Stadtbrücke verbindet die beiden Orte Frankfurt und Słubice. Es war nicht immer so und ist auch noch nicht lange so. Bis 1945 war Słubice ein Teil von Frankfurt und hieß Dammvorstadt. Nachdem im Januar 1945 die Stadt zur Festung erklärt und im April die Oderbrücke gesprengt wurde, wurde die Innenstadt in Folge durch Bomben und Brandstiftung zu 93 Prozent zerstört. Am Abend des 24. April brannte der Turm der St. Marienkirche und das Gewölbe stürzte einen Monat später ein. Schon im Mai wurde die Brücke provisorisch wieder hergestellt. Die Dammvorstadt wurde in Folge des Potsdamer Abkommens abgetrennt, vollständig geräumt und unter polnische Verwaltung gestellt. Die Nachbarstadt Słubice entstand.
Viadrina

Foto: © Karin Frucht / comkomm
Frankfurt (Oder) lebt vom europäischen Gedanken. Die Universität Viadrina nennt sich folglich auch Grenzuniversität, Europa-Universität. Hier kann man Kulturwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften und Rechtswissenschaften studieren, einen deutsch-französischen oder deutsch-polnischen Abschluss erlangen. Die Fachrichtungen sind nach grenzübergreifenden Bildungsstandards ausgerichtet. An dieser jungen Universität, sie wurde 1991 neu gegründet, sind ca. 6000 Studierende immatrikuliert, davon sind 73% deutscher und 27% ausländischer Staatsangehörigkeit. Knapp ein Viertel der ausländischen Studenten haben die polnische Staatsangehörigkeit. Die Viadrina ist eine kleine Universität mit einem relativ schmalen Fächerkanon. Dafür sind die meisten Gebäude konzentriert in der Innenstadt zu finden, zu Fuß oder mit der Tram. Man kann sagen: die Universität bestimmt das Stadtbild, krönt das Stadtbild mit. In Słubice, direkt über der Brücke, befindet sich das Collegium Polonicum, eine Dependance der Universität Poznan.
Viadrina heißt „die an der Oder gelegene“. Die ursprüngliche Hochschule, die Brandenburgische Universität Frankfurt, war die erste Universität in Brandenburg, wurde 1506 gegründet und 1811 wegen der Nähe zu Berlin geschlossen. Es ist schön, dass an diese alte Bildungstradition nach der Wiedervereinigung auf neue Weise angeschlossen wurde.
Die Fenster der St. Marienkirche

Frankfurt Oder lebt vom europäischen Gedanken. Der Ursprungsbau der St. Marienkirche, der bedeutendsten Kirche der Stadt, entstand 1253. Sie gehört zu den größten Gebäuden der Norddeutschen Backsteingotik, ist 77 Meter lang und 45 Meter breit. Im Zweiten Weltkrieg größtenteils zerstört, konnte sie in der Folgezeit in ihren Grundzügen wieder errichtet werden. Ein besonderer Schatz dieser Kirche sind ihre mittelalterlichen Chorfenster. Sie zeigen die Schöpfung der Welt, Jesu Leben und die Endzeiterwartung. Spannen sich thematisch von der Ostergeschichte bis zum Antichrist. In dieser Zusammensetzung ist diese Bildererzählung einzigartig. Genau gelesen werfen sie Fragen auf: woher kommen wir? Wie leben wir? Wohin gehen wir? Um diese Kleinodien zu schützen, wurden sie im September 1941 ausgebaut und gelangten über verschiedene Wege zuerst nach Potsdam in das Neue Palais, dann als Kriegsbeute der Roten Armee in den Zentralviehhof Berlin-Lichtenberg und schließlich ins Depot der Eremitage nach Leningrad. Schließlich wusste kaum noch jemand, wo sie sind und die Fenster galten als „seit Kriegsende“ verschollen. Man kann sagen, durch das Ausbauen wurden sie gerettet, denn die Kirche wurde im April 1945 zerbombt. 1991 gab es erste Hinweise in einer russischen Zeitung, der Literaturnaja Gaseta, dass die Fenster doch noch da seien. Es folgten Petitionen, Briefe, Telefonate und zahlreiche Bemühungen um Rückgabe. Schließlich konnte 2005 in die Rückführung und Wiedereinweihung eines ersten Fensterblocks, von 111 Fenstern gefeiert werden. Daraufhin meldete sich das Puschkin Museum Moskau, dass sich auch dort noch weitere Fenster befänden. Nach wiederum jahrelangen Verhandlungen beschlossen die Staatsduma, das Parlament der russischen Föderation und der Föderationsrat die Rückgabe der letzten sechs Fensterbilder. Der deutsche Kulturstaatsminister Bernd Neumann übergab sie am 17. November 2008 aus der Hand der deutschen Botschaft in Moskau an die Kirchgemeinde und Stadt Frankfurt an der Oder. St. Marien ist heute ein Wahrzeichen der Stadt und ein Soziokulturelles Zentrum. Hier treffen sich die Menschen bei Konzerten, Vorträgen und Kunstausstellungen.
Ein Straßenbahnfahrer sagte neulich: „Es ist langsam an der Zeit, dass die Frankfurter selbst ihre Stadt Frankfurt an der Oder nennen und nicht „Frankfurt – oder ?“ als Frage betonen.“ Die Zeit hat hier, wie in auch in anderen Städten – zum Beispiel in Berlin – viele Wunden hinterlassen. Die Risse sind heute noch spürbar. Allerdings gibt es die Stadtbrücke, die Viadrina und die Menschen, die jeden Tag mindestens zwei Länder verbinden.