Mit unserem Reisebus fahren wir in das havelländische Marquardt, um das gleichnamige Herrenhaus anzuschauen.
In einer Blauen Grotte wurden spiritistische Sitzungen abgehalten. Ein Kommerzienrat stellte wertvolle Gemälde in seinem Schloss aus. Schließlich zählte es zu den europäischen Luxushotels Kempinski.
Heute dient es mitunter als Kulisse für Filmproduktionen.
Das nur einige Kilometer vom heutigen Potsdamer Stadtzentrum entfernt gelegene Schloss Marquardt wurde im Jahr 1313 erstmalig unter dem damaligen Namen Gutshof Schorin erwähnt.
Knapp 400 Jahre später, 1704, erhielt der königliche Schlosshauptmann und preußische Oberhofmarschall Marquard Ludwig von Printzen den tadellosen Herrensitz Schorin von König Friedrich I. nicht nur als erbliches Lehen übereignet, sondern der großzügige Monarch erlaubte jenem auch, dass nunmehrige Rittergut und den havelländischen Ort nach dessen Vornamen Marquard umzubenennen. Bemerkenswerterweise wurde der Buchstabe „t“ in Marquardt erst später angefügt. Allerdings hat sich der umtriebige Marquard von Printzen aufgrund seiner umfangreichen Amtsgeschäfte nur wenige Zeit in seinem erstklassigen Herrenhaus aufgehalten, sodass er schon vier Jahre später sein märkisches Domizil mit Verlust wieder veräußerte. Wegen der häufigen Abwesenheit Marquards fanden bauliche Veränderungen am vortrefflichen Gutshaus in jener Epoche offensichtlich nicht statt. Es wird berichtet, dass das mustergültige Herrenhaus ein Erdgeschoss sowie ein darüber liegendes, aber niedrigeres Obergeschoss besaß, das früher humorvoll Knie- oder Halbstock genannt wurde.
Johann Rudolf von Bischoffwerder erwirbt Schloss Marquardt und hält übersinnliche Séancen im Beisein König Friedrich Wilhelms II. von Preußen ab
Mit Hilfe der großzügigen finanziellen Unterstützung des inthronisierten Königs Friedrich Wilhelms II., des zurückgesetzten Neffen des Alten Fritz, wurde im Jahr 1795 der allmächtige Minister und einflussreiche Günstling des jungen Monarchen, Generalmajor Johann (Hans) Rudolf von Bischoffwerder der neue Eigentümer des vollendeten Herrenhauses Marquardt. Wie unser aufmerksamer Chronist Theodor Fontane in seinen unvergesslichen Wanderungen durch die Mark Brandenburg zu berichten weiß, waren der raffinierte Minister ebenso wie der junge Regent eifrige Mitglieder der okkultistischen Gemeinschaft der Rosenkreuzer. Der geschmeidige Bischoffwerder ließ für sein Vorhaben, weiteren Einfluss auf den leichtgläubigen Friedrich Wilhelm ausüben zu können, auf einem im hübschen Schlossgarten gelegenen Akazienhügel eine Blaue Grotte für seine mystischen Séancen, die spiritistischen Sitzungen der Rosenkreuzer, erbauen. Dafür wurde die künstliche Grotte in ihrem Inneren nicht nur mit herrlichen Lapislazuli, den tiefblauen Lasursteinen, ausgekleidet, sondern auch mit einem prächtigen Kronleuchter versehen. Einige verstreute Relikte der Blauen Grotte können noch heute unweit des Ufers des zwei Kilometer langen Schlänitzsees aufgesucht werden.
Nach Fontanes detaillierten Angaben nahm auch der preußische König mehrfach an den metaphysischen Séancen in der geheimnisvollen Blauen Grotte teil, mit denen der verschlagene Bischoffwerder den naiven Monarchen manipulierte. Im Verlauf der spiritistischen Sitzungen sollen verschiedene Stimmen zu hören gewesen sein, bei denen es sich angeblich um die verstorbenen Vorfahren des geistergläubigen Hohenzollern gehandelt habe, die den politischen Rat suchenden Friedrich Wilhelm II. beredte Auskünfte gegeben hätten.
Hans Rudolf Bischoffwerder der Jüngere ließ den Schlossgarten von Peter Joseph Lenné in einen englischen Landschaftspark umgestalten
Nach dem Tod Bischoffwerders des Älteren im Jahr 1803 übernahm dessen Sohn Hans Rudolf Ferdinand das bravouröse Schloss mitsamt dem angeschlossenen Rittergut. Hans Rudolf junior ließ nicht nur das barocke Herrenhaus erweitern, sondern auch den ursprünglichen Schlossgarten in den 1820er Jahren nach den Plänen des populären Gartenbauarchitekten Peter Joseph Lenné in einen englischen Landschaftspark umgestalten.
Im Park können wir die im Jahr 1912 angefertigte Figurengruppe Silen mit Nymphen des Bildhauers Walter Schott betrachten, der auch das in der ehemaligen Berliner Siegesallee stehende und heute in der Spandauer Zitadelle befindliche Denkmal des ersten Markgrafen von Brandenburg, Albrecht den Bären, geschaffen hat. Nachdem Bischoffwerder der Jüngere als letzter seines Namens im Jahr 1858 gestorben war, erbte dessen einzige Tochter Pauline den havelländischen Gutsbesitz. Weil sie das großväterliche Schloss und das alte Rittergut verkauften musste, gelangte Marquardt das erste Mal in bürgerliche Hände. In dessen Folge wandelte sich das märkische Schloss von einem Ort der Idylle und eines verträumten Elysiums in ein landwirtschaftliches Mustergut.
Schloss Marquardt im 19. Jahrhundert – neue Eigentümer sind Carl Meyer und Dr. Louis Ravené
Neuer Gutsbesitzer von Marquardt wurde gegen Ende der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts der Generalvertreter der in Essen ansässigen Firma Krupp AG in Berlin, Kommerzienrat Carl Meyer, der das renovierungsbedürftige Schloss zu einem spiegelbildlichen und zweigeschossigen Gebäude im vorherrschenden Stil des Neobarocks umbauen ließ.
Danach erwarb im Jahr 1892 ein geschäftstüchtiger Nachkomme hugenottischer Réfugiés, der Berliner Eisenhandelsunternehmer und Geheime Kommerzienrat Doktor h.c. Louis Ferdinand Auguste Ravené das brandenburgische Schloss Marquardt. Der zu immensem Reichtum gekommene Eisenindustrielle und generöse Kunstmäzen bewohnte das virtuose Herrenhaus während der warmen Sommermonate zusammen mit seiner lieben Frau Martha Ende, den beiden Söhnen und den drei gemeinsamen Töchtern.
Schloss Marquardt im 20. Jahrhundert – die erste Umbauphase wird umgesetzt
Der einst in den Jahren 1879/80 errichtete Kernbau des Schlosses wurde im Verlauf einer ersten tiefgreifenden Umgestaltung in der Zeit von 1912 bis 1913 aufgestockt. Des Weiteren erhielt das famose Herrenhaus eine Verlängerung nach Westen hin, ein vorgebauter Turm wurde errichtet und zwei Terrassen konnten an der Nord- und Südseite angesetzt werden. Logischerweise ging in Folge dessen die harmonische Neobarocksymmetrie des ursprünglichen Schlosses verloren, sodass lediglich einige vereinzelte Stilelemente des Historismus erhalten blieben.
Die zweite Umbauphase erfolgt einige Jahre später
Während der zweiten Umbauphase wurde einerseits das Dach des bisherigen Schlosses erhöht und andererseits erhielt der Turm eine beachtliche Aufstockung. Außerdem verdeckte jetzt eine ausladende Seeterrasse den unschönen Winkel zwischen dem mächtigen Turm und dem prunkvollen Festsaal des Herrenhauses. Ebenfalls wurde die vor dem alten Schlossflügel gelegene Veranda durch eine breite, mit rustikalen Balustraden und ausgelassenen Putten geschmückte Terrasse ersetzt, die zusätzlich eine doppelte Freitreppe bekam. Schließlich wurde der gesamte Westflügel mit feingliedrigen Stuckarbeiten im Stil des aufkommenden Neorokoko ausgestaltet.
Ebenso wird das Interieur des Schlosses verändert
Im Zuge der äußeren Umgestaltungen des Schlosses Marquardt wurden auch dessen Interieur – wie die Raumaufteilung im Erdgeschoss, der planmäßige Ausbau des Mansardengeschosses und der Einbau weiterer Treppenaufgänge – neu konzipiert. Im ursprünglichen Herrenhaus wurde durch das mit getäfeltem und filigranem Schnitzwerk ausgestattete Vestibül ein repräsentativer Saal kreiert. Das mit edlem Tafelparkett und einer gewölbten, kassettenförmigen Stuckdecke versehene Vestibül fungierte auch für die häufigen Expositionen von wertvollen Gemälden zeitgenössischer Maler aus der einstmals bekannten Berliner Gallerie Ravené.
Kempinskis Luxushotel Schloss Marquardt wird von dessen Schwiegersohn Unger errichtet
Nachdem Richard Unger, der agile Schwiegersohn des prominenten, aber inzwischen verstorbenen Hoteliers Berthold Kempinski das havelländische Schloss Marquardt im Jahr 1932 gepachtet hatte, ließ ersterer an dem herrschaftlichen Gebäude eine stattliche Reihe von baulichen Veränderungen vornehmen, um ein europäisches Luxushotel ersten Ranges aufzubauen. Der unter dem bekannten Firmennamen Kempinski weiter agierende Unger ließ nicht nur Vorratslager und Wirtschaftsräume im Souterrain des Schlosses einrichten, sondern auch den einstigen im Erdgeschoss liegenden Speisesaal des Herrenhauses zu einer angemessenen Hotelküche umbauen. Ferner wurde der große Saal nun als picobello hergerichtetes Hauptrestaurant genutzt, während die zukünftigen Hotelgäste in den zu fernöstlichen Tee- und mediterranen Weinstuben umfunktionierten Räumen einen bequemen Sitzplatz finden sollten. Überdies diente das von Doktor Ravené einst als Galerie genutzte Vestibül zukünftig als Empfangsfoyer des Luxushotels. Um zusätzliche Restaurantkapazitäten zu schaffen, ließ Unger die breite Seeterrasse verglasen und überdachen. Schließlich wurden die zehn distinguierten Einzelzimmer und die vierzehn aparten Suiten im Obergeschoss des ehemaligen Herrenhauses untergebracht. Schnell frequentierten nicht nur gut betuchte und extravagante Berliner das Hotel Schloss Marquardt, sondern auch der weit verzweigte Lenné’sche Landschaftspark mit seinem angrenzenden Schlänitzsee avancierte zu einem beliebten Ausflugsziel eines breiteren Publikums.
Die Aschinger AG Berlin übernimmt Kempinskis Hotel Schloss Marquardt
Nach der unrechtmäßigen Enteignung sämtlicher Kempinski-Liegenschaften im Jahr 1937 übernahm der Berliner Gastronomiebetrieb Aschinger AG auch das angesehene Hotel Schloss Marquardt in Pacht, bevor es letztendlich 1942 mitsamt seinem ausgedehnten Landschaftspark von seinem letzten Eigentümer Doktor Louis Ravené für circa 1,3 Millionen Reichsmark an jene verkauft wurde. Bereits zwei Jahre danach konfiszierten Wehrmachtsbeamte der Heeresverwaltung das beliebte Schloss und dessen zahlreiche Nebengebäude, um sie als ein dringend benötigtes Reservelazarett mit einem notdürftig eingerichteten Speiserestaurant bis zum absehbaren Kriegsende weiter zu führen.
Die Aschinger AG Berlin wird enteignet – Schloss Marquardt dient als Flüchtlingsunterkunft, Forschungsinstitut sowie als Filmkulisse für in- und ausländische Produktionen
Nachdem die Soldaten der siegreichen Roten Armee am 25. April 1945 das beschauliche Marquardt nebst dessen neobarockem Schloss okkupiert hatten, wurde drei Tage später das deutsche Wehrmachtslazarett aufgelöst. Allerdings fanden in dem verwaisen Herrenhaus und in dessen leerstehenden Wirtschaftsgebäuden des Gutshofs nunmehr aus Schlesien und Ostpreußen stammende Flüchtlinge ein erstes provisorisches Quartier. Einige Zeit darauf enteignete die neu eingerichtete Provinzialverwaltung Brandenburg den vormaligen Besitz der Aschinger AG Berlin. In den nachfolgenden Jahrzehnten wurde das gesamte Schlossareal auf unterschiedlichste Art und Weise genutzt. In den Jahren von 1957 bis 1993 waren in dem einstigen Kempinski’schen Schlosshotel diverse Büros und in dessen diversen Nebengebäuden mehrere Labore des Instituts für Obstbau der Humboldt-Universität zu Berlin untergebracht worden. Seit dem Beginn des neuen Millenniums ist die P12 Immobilien GmbH der aktuelle Eigentümer des brandenburgischen Schlosses und der zahllosen Gutshofgebäude. Wenngleich das frühere Herrenhaus momentan unbewohnt ist, kann dessen großer Saal für ausgelassene Hochzeiten angemietet werden. Interessanterweise dienen sowohl das markante Schloss als auch der am erholsamen Schlänitzsee gelegene Lenné’sche Landschaftspark mitunter als aktionsreiche Filmkulisse. Drei Produktionen, die vollständig im oder teilweise am Schloss gedreht wurden, sollen exemplarisch genannt sein:
2005: Löwenzahn – der Film
2007: Das Wilde Leben (der Uschi Obermaier)
2008: SOKO Wismar
Mögen dem brandenburgischen Schloss Marquardt noch viele interessante Jahre bevorstehen und mögen es noch viele Gäste besuchen.
Hinweis
Schloss Marquardt ∙ Hauptstraße 14 ∙ 14476 Potsdam OT Marquardt
Lesenswert
Fischer, Angelika & Bernd Erhard Fischer: Marquardt. Ein Schloß im Norden von Potsdam. Berlin 1992