Nachdem wir mit unserem flotten Reisebus zahlreiche Neuruppiner Sehenswürdigkeiten besucht haben, verlockt es uns auch das benachbarte Alt Ruppin mit seiner Sankt Nikolai Pfarrkirche anzuschauen. Wassersportler genießen es, an dieser angenehmen Stelle des Ruppiner Sees ihre diversen Disziplinen auszuüben.
Der kleine Erholungsort Alt Ruppin liegt sowohl einige Kilometer nördlich Neuruppins als auch am nördlichen Ende des Ruppiner Sees, der hier begeisterten Wassersportlern jeglicher Couleur gute Möglichkeiten zur Ausübung ihrer einzelnen Hobbys bietet. Das vom schmalen Wasserlauf Rhin durchzogene und urkundlich erstmals 1237 als ‚Olde Ruppyn’ erwähnte Alt Ruppin gehört damit zu den ältesten Städten Brandenburgs. Am Ende des langgestreckten, märkischen Sees lag auf dem heutigen Amtswerder der über einer wesentlich älteren slawischen Burg erbaute, wasserburgartige Feudalsitz der Grafen von Arnstein. Gebhard von Arnstein, der Bruder des ersten Neuruppiner Dominikanerpriors Wichmann, avancierte sowohl zum legendären Stammvater der Grafen von Lindow-Ruppin, als auch zum wohltätigen Stifter des Zisterzienserklosters Lindow.
Die an der Zufahrtsstraße zur Wasserburg der Herren von Ruppin gelegene und schnell prosperierende Marktsiedlung mit ihrer zentralen Sankt Nikolai-Kirche fand 1256 erstmals eine urkundliche Erwähnung. Generell fungierte Alt Ruppin als der politische Mittelpunkt des gräflichen Territoriums, von dem aus starke Stimuli auf Neuruppin ausgingen, das sich damit zum wirtschaftlichen Zentrum der Ruppiner Herrschaft entwickelte.
Nach dem Erlöschen der Lindower Grafen im Jahre 1524 erbten die brandenburgischen Kurfürsten aus dem Hause der Hohenzollern die Regentschaft über das gesamte gräfliche Herrschaftsgebiet. Es bildete fortan den Kreis, der damals als ‚Amt Ruppin’ bezeichnet wurde, wobei interessanterweise die städtischen Rechte an Alt Ruppin erst im 19. Jahrhundert verliehen worden waren. Alt Ruppin ist seit 1993 nur noch ein kleiner Ortsteil von Neuruppin im heutigen Landkreis Ostprignitz-Ruppin.
Der Heilige Nikolai – Patron zahlreicher mittelalterlicher Marktkirchen
Die Alt Ruppiner Pfarrkirche steht unter dem besonderen ‚Beistand’, dem Patrozinium, des Heiligen Nikolai. Sein Name ist eine Variante des altgriechischen Nikolaos, den wir im deutschen Nikolaus nennen. Der um das Jahr 270 in der antiken Stadt Patara, an der heutigen türkischen Mittelmeerküste geborene Nikolai, wurde später Bischof (Metropolit) von Myra, im heutigen Demre, das sich nunmehr in der Provinz Antalya befindet. In seiner Vita wird uns berichtet, dass Nikolai, indem er heimlich Münzen durch den Kamin in dort aufgehängte Socken warf, arme, junge Nachbarschaftstöchter aufgrund seiner pekuniären Gaben vor der drohenden Prostitution bewahren konnte. Aus diesem barmherzigen Grund gilt Nikolai sowohl als Freund der jungen Erwachsenen als auch der Kinder, die in Schwierigkeiten gekommen waren.
Außerdem ist der Heilige Nikolai der Patron der Pfandleiher, der Bankiers und der Händler, wodurch er sich als gütiger Schutzherr zahlloser Stadtkirchen eignet, die auf belebten Marktplatzen stehen, auf denen eifriger Handel getätigt und lukrative Geschäfte abgeschlossen werden. Als gutes Beispiel ist neben der Alt Ruppiner Sankt Nikolai-Stadtpfarrkirche an dieser Stelle die älteste, intakt gebliebene Nikolaikirche in der historischen Mitte Berlins zu nennen. Sie hatte ihren Namen ebenfalls vom Heiligen Bischof aus Myra erhalten. Gleichermaßen weist auch hier das Nikolai-Patrozinium darauf hin, dass die Berliner Kirche das stattliche Gotteshaus einer mittelalterlichen Kaufmannssiedlung am Molkenmark gewesen war. Ebenso diente eine weitere, in Berlin-Spandau gelegene Sankt Nikolai-Kirche als eine gut frequentierte Marktkirche. Sie war an der gleichen Stelle einer im 13. Jahrhundert urkundlich erwähnten Vorgängerkirche erbaut worden.
Sankt Nikolai Darstellungen in der bildenden Kunst
In der bildenden Kunst Westeuropas wurde Nikolai zunächst als barhäuptiger Greis abgebildet, der nicht nur in einen obligatorischen Bischofsmantel gehüllt ist, sondern der auch eine Mitra, die liturgische bischöfliche Kopfbedeckung, trägt. Seit dem 12. Jahrhundert gehört er in der russischen Kunst, die sich als Erbe der Byzantiner versteht, zu den am häufigsten auf Ikonen dargestellten Heiligen.
Die Architektur der Alt Ruppiner Pfarrkirche Sankt Nikolai
Es fällt uns bereits beim ersten Blick auf, dass die Alt Ruppiner Sankt Nikolai-Kirche kein einheitliches Bauwerk bildet. Der rechteckige, mit einem großen Satteldach gedeckte Backsteinbau, ein Saalbau, setzt sich aus zwei unterschiedlichen Abschnitten zusammen. Die Ostseite mit ihrer gestaffelten Dreifenstergruppe und dem frühgotischen Portal stammt noch aus dem 13. Jahrhundert. Hingegen wird der westliche, zunächst in Fachwerktechnik erbaute und später in gotischer Backsteinbauweise ersetzte Teil der Kirche mittels eines großen, breiten Turms begrenzt, der erst in die Jahre 1598/1603 datiert. Letztendlich erhielt der massive Kirchturm sowohl mit seinem Giebel als auch mit seinen drei Turmspitzen im späten 19. Jahrhundert seine heutige Gestalt. In seinem Glockenstuhl hängen noch immer zwei wohlklingende mittelalterliche Kirchenglocken.
Auf der Südseite befindet sich die einstöckige, heute mit einem Sanitärtrakt ausgestattete Vorhalle. An der Nordseite der Kirche liegt die Sakristei, in der liturgische Gewänder und Geräte, wie Leuchter, Kerzen und Kelche aufbewahrt werden. Dazu gehört ein vergoldeter Kelch mit Patene, eine flache runde Schale, die bei der Feier des Abendmahls, der Eucharistie, benutzt wird. Ferner stammen zwei bronzene Standleuchter vermutlich aus dem 16. Jahrhundert.
Nach der offensichtlich gewordenen Baufälligkeit der Kirche wurde zu Beginn des 17. Jahrhunderts beschlossen, das gesamte Gotteshaus in robuster Backsteinbauweise zu erneuern. Deutlich sehen wir, dass die mittelalterlichen Architekten ihr Handwerk verstanden haben.
Aufgrund der geschickten, weiteren Verwendung diverser Feldsteine wird beim aufmerksamen Betrachter der Eindruck einer aufgelockerten Kirchenfassade erweckt. Im Zuge dessen waren nicht nur das ursprüngliche Rundbogengewölbe beseitigt, sondern auch eine gerade Holzbalkendecke mit mehreren Stuckmedaillons im Kircheninnenraum eingezogen worden.
Das Inventar der Sankt Nikolai-Kirche
Der mit Maria und Johannes versehene Kanzelaltar ist ein Werk der Barockkunst. Links und rechts des Altars sind zwei Grabdenkmale, zwei Epitaphien, aus Sandstein in die Kirchenwand eingefügt worden. Der linke Epitaph erinnert an den als kniende Figur dargestellten, 22jährigen Joachim Bernd von Zerwest († 1592), den viel zu früh verstorbenen Sohn des Erneuerers der Kirche. Das zweite mit szenischem und figürlichen Schmuck ausgeführte Grabmal für Johann Christian Winckler samt dessen verstorbenen Ehefrauen stammt aus dem 18. Jahrhundert.
Gegenüber des Altars erhebt sich auf der hufeisenförmigen Empore eine reich verzierte Rokoko-Orgel. Sie stammt aus der Neuruppiner Werkstatt des Gottlieb Johann Scholtze. Die Vorderansicht des großen Tasteninstruments, der sogenannte Orgelprospekt, erstrahlt nach einer mehrjährigen Restaurierungszeit seit 2007 wieder in ihrem ursprünglichen Glanz.
Zum weiteren Interieur der Nikolai-Kirche gehören die in Eisenguss angefertigte neogotische Taufe aus dem 19. Jahrhundert. Als ebenso gelungen kann eine geschnitzte Figur des ‚Bruders des Herren’, des Jakobus des Gerechten, einer primären Persönlichkeit in der Jerusalemer Urgemeinde angesehen werden.
Völlig zu Recht ist der noch heute geschätzte Pfarrer Traugott Kuhnt in der Alt Ruppiner Kirchengemeinde unvergessen geblieben. Als Kuhnt 1978 seine schwierigen Amtsgeschäfte angetreten hatte, verwendete er alle seine ihm zur Verfügung stehenden Kräfte, um eine vollständige Sanierung der baufällig gewordenen Kirche durchführen zu können. Letztendlich wurden seine langen Mühen belohnt, indem in Kuhnts beherzter Amtszeit aus der dem bisherigen Niedergang preisgegebenen Pfarrkirche erneut ein ansehnliches Gotteshaus entstand. Viele Alt Ruppiner Bürger freut es, das seit damals wieder zahllose Brautpaare den Wunsch verspüren, in ihrer alterwürdigen Sankt Nikolai-Kirche getraut zu werden.
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Literatur
Vgl. Dehio, Georg: Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler, Brandenburg. München/Berlin 2012, S. 16f