Unser Reisebus bringt uns in die Brandenburger Altstadt, in der sich die Pfarrkirche Sankt Gotthardt befindet, die zu den drei Hauptkirchen der Havelstadt gehört.
Bevor wir uns der spätgotischen Architektur des Gotteshauses zuwenden, berichtet unser Autor von der Vita des Benediktinerabts Gotthardt, der gleichermaßen als Bischof Godehard von Hildesheim bekannt ist.
Nicht nur jedem Reisebus-Reisenden, der in das sonnige Italien fahren möchte, dürfte auch der Sankt Gotthardpass, der Passo del San Gottardo, wie ihn die Italiener nennen, ein beredter Begriff sein. Unsere südlichen Nachbarn, die Schweizer Eidgenossen, haben ihrem frequentiertesten Gebirgspass mit dem berühmten, für zahlreiche Rompilger erbauten Hospiz zu seiner Ehre den Namen Sankt Gotthardt gegeben. Vom Mittelalter bis zum Bau der Eisenbahn- und Autotunnel war der Gotthardtpass eine der wichtigen Nord-Süd-Routen über die malerischen Alpen nach Norditalien. Ebenso ist der heilige Godehard der Namenspatron für den weithin bekannten Gotthardttunnel.
Wer war Sankt Gotthardt – Godehard?
Gotthardt, beziehungsweise Gotthard, bedeutet, wie auch in der mittelniederdeutschen Schreibweise Godehard, stark in Gott. Der historische Gotthardt wurde aufgrund seiner auffallenden Begabung schon früh in der berühmten Klosterschule der Benediktiner in dem zum Bistum Passau gehörenden Niederaltaich erzogen. Später wechselte er in die ehemalige Reichsabtei Sankt Emmeram in Regensburg an der Donau. Infolge seiner vielfältigen Talente wurde der junge Gotthardt dem Bischof von Salzburg empfohlen, wo er weiter studierte. Im letzten Jahrzehnt des 10. Jahrhunderts schloss er sich dem Orden der Benediktiner, dem Ordo Sancti Benedicti, in Niederaltaich an, wurde dort anschließend zum Priester geweiht und avancierte bereits im Jahre 997 zum ehrwürdigen Abt des Klosters. Unter Gotthardts umsichtiger Führung entwickelte sich Niederaltaich schnell zu einer blühenden Benediktinerabtei.
Der aus dem sächsischen Adelsgeschlecht der Liudolfinger stammende Kaiser Heinrich II. übertrug dem klugen Abt Gotthardt zusätzlich die Leitung des reformbedürftigen Klosters in Hersfeld, dem heutigen Bad Hersfeld, von dem er aus weitere umliegende Klöster erneuerte. Das Kloster Sankt Emmeram in Regensburg, das Kloster Niederaltaich und das Kloster in Tegernsee wurden herausragende Reformzentren, weshalb wir auch von der Godehard-Reform sprechen.
Im Jahre 1022 wurde Gotthardt zum Bischof im damaligen Hochstift Hildesheim geweiht. Als authentischer Gottesdiener zeichnete er sich nicht nur durch seine Volksverbundenheit und sein fröhliches Wesen aus, sondern auch seine schlichte, asketische Lebensweise machten ihn allseits beliebt. Gotthardt förderte Schulen und die Buchkunst. Nach der Überlieferung zufolge soll er 30 Kirchen gebaut und die Rechte seines Bistums energisch verteidigt haben. Zudem, heißt es in seiner Vita, habe Gotthardt Verstorbene wieder zum Leben erweckt, damit sie ihre irdischen Sünden beichten konnten, um danach wieder sanft zu entschlafen. Gotthardt starb am 4. Mai 1038 im niedersächsischen Hildesheim.
Seine Gebeine wurden in den dortigen Mariendom überführt, in deren Krypta sie in die ruhmreiche Grabstätte, den Godehardschrein, gebettet wurden, zu der Jahrhunderte lang zahlreiche Pilger wallfahrten. Im Jahre 1131 wurde Gotthardt durch Papst Innozenz II. als erster Bayer heiliggesprochen. In seiner unerschöpflichen Herzensgüte und in seiner praktischen Weisheit müssen wir die Ursache dafür suchen, warum der heilige Gotthard – der keine besonders auffallenden Taten vollbrachte, keine besonders hervorragende Stelle in der katholischen Kirche bekleidete und auch kein bekennender Märtyrer war – dennoch weit über die Grenzen von Bayern und Sachsen hinaus mit Lobpreisungen verehrt wurde. An seinem Namensfest preisen die Mailänder seine Tugenden und in der Kathedrale San Lorenzo zu Genua sind die Kapelle und die Bruderschaft Sankt Gotthardt die älteste der ligurischen Stadt. Ebenso haben die Ungarn, die Polen und die Tschechen zahllose Denkmale und Statuen zu Ehren des heiligen Gotthardt errichtet. Außerdem ist er der gütige Patron von Gotha, in deren Wappen der Heilige abgebildet ist, weil er noch als Abt des Klosters Hersfeld für den thüringischen Ort eine Stadtmauer errichten ließ. Ebenso entstand in Hildesheim zu dessen Wertschätzung die romanische Sankt-Godehards-Basilika.
Eine romanische Feldsteinbasilika wird in Brandenburg erbaut – ihr Namenspatron ist der heilige Gotthardt, Bischof von Hildesheim
Nur wenige Jahre nach der Heiligsprechung Gotthardts wurde ab der Mitte des 12. Jahrhunderts mit dem Bau einer monumentalen romanischen Feldsteinbasilika inmitten der Siedlung Parduin, der späteren Altstadt begonnen, in der sich auch deutsche Kaufleute bei der slawischen Brandenburg niedergelassen hatten. Die Wahl des heiligen Gotthardt als Patron der neuen Feldsteinbasilika durch den Magdeburger Erzbischof war ein klares kirchenpolitisches Signal. Demzufolge sollte sich das wiederbegründete Bistum ebenfalls dem Geist der Godehard-Reformbewegung verpflichtet wissen.
Mit Gewinn erfahren wir, dass die romanische Feldsteinbasilika nicht nur als die älteste Kirche im gesamten Havelland um Brandenburg gilt, sondern dass sie auch älter als die Mark Brandenburg selbst ist. Als Kleriker für das neue Gotteshaus hatte der letzte slawische und zum Christentum konvertierte Hevellerfürst Pribislav-Heinrich eine Gemeinschaft von neun Chorherren aus dem unweit von Magdeburg gelegenen Prämonstratenserstift Leitzkau nach Brandenburg berufen. Demzufolge fungierte bis zum Anfang der 60er Jahre des 12. Jahrhunderts die romanische Gotthardtkirche zum einen als neuer Sitz der Prämonstratenserchorherren und zum anderen gleichzeitig als Brandenburger Bischofskirche. Erst im Jahre 1265 zogen der Bischof und die Chorherren auf die Dominsel um, auf der inzwischen mit dem Bau der imposanten Kathedrale Sankt Peter und Paul und eines Klosters begonnen worden war. Erst danach diente die romanische Sankt Gotthardtbasilika als altstädtische Pfarrkirche. Ihre damals nicht mehr vollendete Doppelturmfassade, ihr vorgotisches Stufenportal und der Ansatz einer ebenfalls nicht ausgeführten Vorhalle zeigen den hohen Anspruch der genuinen, durch Pribislav-Heinrich erfolgten Kirchengründung.
Baumeister Henrik Reinstorp erbaut in der Mitte des 15. Jahrhunderts eine spätgotische Hallenkirche unter Verwendung des alten romanischen Westbaus
Nachdem bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts die romanische Vorgängerkirche bis auf ihren älteren Westbau abgerissen worden war, begann der erfahrene Baumeister Henrik Reinstorp an der gleichen Stelle die größere spätgotische Sankt Gotthardtkirche mit ihrem gewaltigen Hallenumgangschor und einem einzelnen Mittelturm zu errichten. Weil der Westbau der spätmittelalterlichen Sankt Gotthardtkirche noch aus den erhalten gebliebenen Rudimenten der romanischen Vorgängerbasilika besteht, gehört er nicht nur zu dem ältesten Teil des Gotteshauses, sondern auch zu den antiquiertesten Kirchenbauten östlich der Elbe überhaupt. Wir können noch jetzt den romanischen Westteil an den zu seinem Bau verwendeten und hauptsächlich aus Granit bestehenden Feldsteinen, seinem vorgotischen Stufenportal und an seinem darüber gelegenen großen Rundfenster erkennen.
Die von dem versierten Baumeister Reinstorp konzipierte dreischiffige Hallenkirche weist ein imponierendes 17 Meter hohes Mittelschiff auf, dessen weites Kreuzgewölbe von 16 mächtigen Säulen, sogenannten Rundpfeilern, getragen wird. Da das verwendete Baumaterial hauptsächlich aus roten Backsteinziegeln besteht, ist die neue Sankt Gotthardtkirche eine typische Vertreterin der für ganz Norddeutschland vorherrschenden Backsteingotik. Diese Tatsache wird auch dadurch nicht gemindert, dass bei dem Abriss der romanischen Basilika frei gewordene Feldsteine teilweise mit in die robuste Sankt Gotthardtkirche verbaut worden sind.
Der einheitliche spätgotische Innenraum der Kirche wird von den mit einer spiralförmig ansteigenden Musterung versehenen 16 Rundpfeilern getragen. Zu der ursprünglichen Konzeption gehören die fünf flachen Kranzkapellen am Chor, der nördliche Kapellenanbau, der zweigeschossige südliche Annex sowie die Sakristei. Mit dem Anbau der westlichen Kapelle an der Südseite wurde der Bau des Gotteshauses im Jahre 1475 vollendet. Bemerkenswerterweise ist das gewaltige, noch in der Bauzeit der spätmittelalterlichen Kirche konstruierte Dachwerk bis heute vollständig erhalten geblieben.
Der barocke Kirchturm von Sankt Gotthardt aus dem späten 18. Jahrhundert
Der gegen Ende des 18. Jahrhunderts erbaute Turm erhielt dem damaligen Zeitgeschmack entsprechend seine im wesentlichen noch heutige barocke Form. Er besteht aus einem viereckigen Turmteil, einem achteckigen, oktogonalen, Aufsatz mit einer Kuppelhaube, einer kunstvollen Laterne und wird von einem Kreuz auf seiner Spitze bekrönt. Leider wurden seine barocken oberen Teile im Jahre 1945 zerstört. Nach dem Ende des Kriegs erhielt der Turm zunächst einen provisorischen Abschluss. Erst in den 1960er Jahren konnte anstelle jenes vorübergehenden Provisoriums eine neue Turmspitze gesetzt werden. Wenngleich deren Neubau einfacher und bescheidener ausfiel, so hat er dennoch seinen ursprünglich barocken Schwung nicht gänzlich verloren. Im Inneren des Turms befindet sich die sogenannte Türmerstube.
Sie ist ebenso wie der 56 Meter hohe stattliche Kirchturm für schwindelfreie Besucher begehbar, die von dort oben aus die Stadt an der Havel besichtigen können. In der letzten Dekade des 20. Jahrhunderts wurden die oberen Teile des Turms neu verputzt, in deren Folge die Laterne und die Haube eine Kupferbedeckung erhielten. Obwohl von den vier vorhandenen Bronzeglocken in der Regel nur drei zugleich geläutet werden, erzeugen sie einen wohltönenden und über die Brandenburger Altstadt weithin schallenden Klang.
Hinweis
Sankt Gotthardtkirche ∙ Gotthardtkirchplatz ∙ 14770 Brandenburg an der Havel ∙
Telefon: 0 33 81 / 52 20 62
Öffnungszeiten: Mo-Sa: 11:30-15:30 Uhr ∙ So nach dem Gottesdienst, ab 11:30-15:30 Uhr. Die Sankt Gotthardtkirche ist Teil der Europäischen Route der Backsteingotik.
Anfahrt und Parken
Auf dem Gotthardtkirchplatz gibt es keine Parkmöglichkeiten. Die nächste öffentliche Parkgelegenheit befindet sich in cirka 250 Meter Entfernung auf dem Parkplatz Mühlentorstraße / Ecke Ziegelstraße.
Regeneration
Hofcafé Naumann ∙ Bäckerstraße 33-35 ∙ 14770 Brandenburg an der Havel
Öffnungszeiten: Mo-Fr: 09:00-18:00 Uhr ∙ Sa: 10:00-13:00 Uhr ∙ So: geschlossen
Lesenswert
Gahlbeck, Christian; Wolfgang Schößler & Joachim Müller: Brandenburg / Havel, Prämonstratenserstift St. Gotthardt, in: Winfried Schich, u.a. Hrsg. Brandenburgisches Klosterbuch, Handbuch der Klöster, Stifte und Kommenden bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, Band 1. Berlin 2007