Im havelländischen Brandenburg wollen wir uns die romanische Basilika Sankt Nikolai anschauen, die bis heute viele Jahrhunderte unverändert überdauert hat.
Unser Autor beginnt mit der Vita des Heiligen Nikolaos, der als Schutzpatron zahlloser Kirchen in Berlin-Brandenburg fungiert und der sich für in Seenot geratene Fischer und Seefahrer einsetzt.
Zweifelsohne gehört Bischof Nikolaos, auch Nikolai von Myra nicht nur zu den populärsten Heiligen der orthodoxen Gemeinden, sondern auch zu den bevorzugten Klerikern der katholischen und der protestantischen Kirchen in Westeuropa. Folglich ist sein am 6. Dezember begangener Gedenktag mit unzähligen Riten verknüpft und wird im ganzen Christentum festlich begangen. Der Tradierung zufolge wurde der erst 19-jährige Nikolaos von seinem gleichnamigen Oheim und Bischof des antiken Myra zum Geistlichen geweiht. Daraufhin setzte sein allseits respektierter Onkel jenen zunächst als Abt in ein unweit seiner kleinasiatischen Heimatstadt Patara gelegenes Kloster ein. Nachdem Nikolaos Eltern an der schrecklichen Pest, dem schwarzen Tod, gestorben waren, erbte jener deren beachtliches Vermögen, das er an arme Bedürftige verteilte.
Sankt Nikolaos – Schutzpatron der Fischer und Seefahrer
Weil der heilige Nikolaos auch bedrängte Schiffbrüchige rettete, wurde er zum verlässlichen Schutzpatron der Fischer und Seefahrer. Nach einer Überlieferung soll er ein in schwere Seenot geratenes Schiff mit drei Pilgern an Bord vor dem grausamen Ertrinken bewahrt haben, die von der ionischen Metropole Ephesos mit dem weltbekannten Tempel der Artemis los gesegelt waren. Angeblich haben die seligen Wallfahrer gesalbtes Öl für eine christliche Kapelle mit sich geführt. In deren größter Not war der heilige Mann jenen zur rettenden Hilfe geeilt. Schnell hatte er den wütenden Orkan bezähmt und das gefährdete Schiff wieder sicher zurück in den sicheren Hafen gebracht. Folglich riefen in prekäre Seenot gekommene Matrosen und Reisende in ihrer risikoreichen Situation den heiligen Nikolaos um dessen gütigen Beistand an. Immer war ihnen ein mit übernatürlichen Gaben ausgestatteter Mann erschienen. Er übernahm das große, hölzerne Schiffs-Steuerrad, richtete die Segel neu aus und beruhigte den tobenden Sturm. Anschließend verschwand der geheimnisvolle Unbekannte auf ebenso mysteriöse Weise wieder, wie er zuvor gekommen war. Als die in der kleinen Kirche von Myra versammelten Fischer und Seeleute zum Dank für ihre Rettung beteten, erkannten sie nicht nur den heiligen Nikolaos, sondern sie dankten ihm auch. Aufgrund jener sich schnell verbreitenden Legende avancierte der klein-asiatische Bischof zum anerkannten Patron der Seefahrer.
Sankt Nikolai – Schutzpatron vieler Kirchen in Berlin-Brandenburg sowie der Fischer in Auxerre
Aufgrund seiner großen Popularität, seiner aufopferungsvollen Hilfsbereitschaft für in arge Bedrängnis geratene Fischer und Seefahrer wurden im ganzen mittelalterlichen Europa eine stattliche Reihe von Gotteshäusern unter das Patrozinium, die Schutzherrschaft, des heiligen Kirchenfürsten von Myra gestellt. Demzufolge vertrauten die christliche Gemeinde der romanischen Basilika in Brandenburg an der Havel sowie die gottgefälligen Gläubigen der jeweiligen Nikolaikirche in Berlins Mitte und in Berlin-Spandau auf den besonderen Schutz des Heiligen Mannes. Ebenso steht am alten Binnenhafen des Flusses Yonne in der zentralfranzösischen Stadt Auxerre eine überlebensgroße Statue von Saint Nicolas, des Patrons der dortigen Fischer. Neben dem beeindruckenden Standbild des Nicolas in Burgund ist ein hölzernes Schiff als dessen hervorgehobenes Attribut zu sehen.
Westlich der Brandenburger Altstadt lag das Dorf Luckenberg mit seiner romanischen Basilika
Die außergewöhnliche Entstehungsgeschichte des aus mehreren Siedlungskammern zusammen gewachsenen Brandenburgs hat mit dazu beigetragen, dass die mittelalterliche Havelstadt die meisten Kirchen in der gesamten Mark Brandenburg besaß. Noch heute sind die einzelnen Siedlungskammern der frühdeutschen Stadtwerdung in der Struktur Brandenburgs deutlich zu erkennen. Tatsächlich werden sowohl die Alt- und die Neustadt als auch die Dominsel von mehreren Havelarmen umflossen. Die einzelnen Stadtteile wiederum sind durch zahlreiche Brücken miteinander verbunden. Einen weiteren Siedlungskern bildete das westlich der Altstadt existierende und um 1170 gegründete Dorf Luckenberg. Wahrscheinlich hat es sich bei jener frühen Niederlassung um eine prosperierende Gemeinde gehandelt, die dem ersten Marktflecken Parduin gegenüber lag, aus dem sich später die Brandenburger Altstadt entwickelte. Allerdings war es den agilen Altstädtern bereits im Jahr 1249 möglich geworden, das konkurrierende Luckenberg einzugemeinden und dessen Einwohner zum Verlassen ihrer Häuser zu bewegen. Nichtsdestotrotz besitzt jede Medaille zwei verschiedene Seiten. Aufgrund der Tatsache, dass der bis dahin florierende Marktort Luckenberg außerhalb der Brandenburger Stadtmauern lag, konnte dessen romanische Basilika Sankt Nikolai mit ihrer gesamten architektonischen Struktur weitgehend gleich geblieben die vielen Jahrhunderte überdauern. Im Gegensatz zu unzähligen anderen märkischen Pfarrkirchen musste Sankt Nikolai keinem gotischen Neubau weichen.
Architektur der romanischen Basilika Sankt Nikolai
Sankt Nikolai ist eine beeindruckende Backsteinbasilika, die nicht allein durch ihre imposante Größe und ihre architektonische Bauform das Auge des Betrachters besticht, sondern die auch die ambitionierten Pläne und die finanzielle Stärke des namenlosen Kirchen- und Luckenberger Siedlungsgründers exzellent betont. Die querschifflose Basilika mit ihrer dominanten Hauptapsis, den beiden Nebenapsiden und dem lang gestreckten Rechteckchor wurde um das Jahr 1170 begonnen. Nördlich am Chor befindet sich ein kleiner tonnengewölbter Sakristeianbau. Fertiggestellt wurde zunächst nur der östliche Bauabschnitt der mächtigen Backsteinbasilika.
Die später ausgeführte Westmauer über dem breiten Mittelschiff ist turmartig überhöht und wird mit einem weit gespannten Satteldach abgeschlossen. Der gesamte, partiell durch kreisförmige Fenster gegliederte Baukörper ist mit romanischen Friesen geschmückt. Insgesamt deutet die filigrane Backsteingliederung auf italienische Pendants hin. Aufgrund ihrer klaren, aus Rund- und Kreuzbögen zusammengesetzten Bauform ist die havelländische Basilika ein weiterer charakteristischer Exponent der romanischen Backsteinarchitektur in der Mark Brandenburg. Nach einer längeren Bauunterbrechung wurde das imponierende Heiligtum letztendlich in mehreren Bauabschnitten am Beginn des 13. Jahrhunderts als kolossale Pfeilerbasilika vollendet.
Sankt Nikolai dient im 15. Jahrhundert dem benachbarten Gertraudenspital als Gotteshaus
In der Mitte des 15. Jahrhunderts diente die romanische Pfarrkirche Sankt Nikolai dem unweit entfernt gelegenen Gertraudenspital als würdiges Gotteshaus. Aus diesem Grund war sie in jener Epoche des ausklingenden Spätmittelalters noch einmal aufwändig rekonstruiert worden. Nachdem das ehrwürdige Spital in das ehemalige Johanniskloster umgezogen war, fungierte Sankt Nikolai lediglich noch als einfache Friedhofskapelle. Allerdings waren in dem betrachtenswerten Gotteshaus unzählige Erbbegräbnisse und kostbare Epitaphe vermögender Altstädter Bürger mit einbezogen worden. Gleichermaßen wurde der stille Nikolaifriedhof bis zum Ende des 19. Jahrhunderts sowohl kontinuierlich weiter belegt als auch mehrmals erweitert, bis er in den 1950er Jahren eine tiefgreifende Umgestaltung zu dem heute am Rand der Brandenburger Altstadt befindlichen Puschkinpark durchlief.
Mehrere Sanierungen der Pfarrkirche Sankt Nikolai im 20. Jahrhundert
Im Zuge der im Jahr 1901 erfolgten ersten Sanierung hatten sich die altstädtische Gemeindeleitung und das federführende Landesdenkmalamt dazu entschlossen, die mittelalterlichen Krypten aus der Pfarrkirche Sankt Nikolai zu entfernen. Nachdem ein verheerender Bombentreffer in den letzten Kriegstagen des Jahres 1945 sowohl den machtvollen Westturm als auch das Kirchendach zerstört hatten, mussten beide rekonstruiert werden. Seitdem die Pfarrkirche Sankt Nikolai im Jahr 1992 wieder an ihre ursprünglich katholische Gemeinde übertragen worden war, erfolgte eine lang andauernde Rekonstruktion des romanischen Gotteshauses. Heute dient die wieder ansehenswerte Basilika nicht nur als ein Ort für das kontemplative Gebet und das würdevolle Gedenken für die Opfer von willkürlicher Gewalt, sondern es werden auch regelmäßige Gottesdienste und Andachten in Sankt Nikolai zu Brandenburg abgehalten.
Hinweis
Sankt Nikolaikirche ∙ Nikolaiplatz ∙ 14770 Brandenburg an der Havel, Altstadt
Kontakt: 0 33 81 – 2 80 93
Öffnungszeiten
Vom 01. Mai bis 01. Oktober ∙ Freitag: 15-17 Uhr ∙ Samstag + Sonntag: 15-17 Uhr
Vom 01. Oktober bis 01. Mai ∙ Samstag + Sonntag: 14-16 Uhr
Lesenswert
Drescher, Horst; u.a.: Die Bau- und Kunstdenkmale, hg. vom Institut für Denkmalpflege. Berlin 1978