Was ist zwischen Wittenberg und Meißen zu entdecken?
Hier fließt die Elbe und hier liegt Torgau.
Wessen Wege kreuzten sich hier? Was bietet diese Stadt den Besuchern heute?
Wie man Wittenberg die Wiege der Reformation heißt, so nennt sich Torgau ihre Amme, denn in der einstigen Residenzstadt der ernestinischen Kurfürsten am südlichen Ufer der Elbe ist der Verbreitung der Reformation entscheidend der Weg geebnet worden. Hier trafen sich kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges erstmals auf deutschem Boden amerikanische und sowjetische Truppen.
Auf einem steilen Fels über der Elbe entstand an der Stelle des heutigen Torgau zur Sicherung des Elbübergangs eine Befestigung und bald eine Siedlung, die Mitte des 13. Jahrhunderts das Stadtrecht erhielt. Unter Kurfürst Friedrich dem Weisen wurde Torgau zu einem Brennpunkt der Reformation. 1526 schlossen hier die protestantischen Reichsführer den Torgauer Bund und 1530 schrieben Martin Luther, Philipp Melanchthon, Justus Jonas und Johannes Bugenhagen die Torgauer Artikel als Grundlage des Augsburger Religionsfriedens. Nach der Besetzung Torgaus durch Napoleons Truppen entwickelte sich Torgau zur Garnisons- und Beamtenstadt.
Ja und da war noch etwas. Mein Vater wurde hier 1913 geboren.
Weltgeschichte und Persönliches
Adolf-Henning Frucht schreibt in seine Erinnerungen:
Durch die norddeutsche Ebene mit ihrer bildsamen Oberfläche zieht in großer Tiefe ein Gestein, das vor langer Zeit in Gestalt einer glühend flüssigen Masse aus dem Inneren der Erde herauskam und als Porphyr großer Härte bei dem Städtchen Torgau an die Oberfläche tritt. Es bildet dort die Basis eines Renaissance Schlosses mit dem unverwechselbaren Namen Hartenfels, gibt der Altstadt einen eigentümlich bergig-verwinkelten Charakter, der tiefe Keller, dunkel Verliese ahnen lässt, aber auch den Bau stattlicher Türme und einer grandios einzigartigen Wendeltreppe ermöglicht. Das übrige Gelände ist flach mit weiträumigen Straßen.
Die wichtigste Folge der hier geologisch realisierten Vereinigung von Anpassungsfähigkeit und Härte ist jedoch eine Furt durch die Elbe, welche stets die Mächtigen, Krieger wie Handelsleute angezogen hat. Deshalb wurden hier Schlachten geschlagen und das Schloss und die napoleonische Festung gebaut. Auf Porphyr gründeten sich die beiden weitschwingenden stählernen Brücken, an denen sich Ende des Zweiten Weltkrieges sowjetische und amerikanische Truppen begegneten.
Soweit mein Vater. Sein Vater, mein Großvater, war Hauptmann des 4. Thüringischen Infanterie Regiments Nr. 72. Er fiel – so sagte man damals dazu, wenn jemand im Krieg erschossen wurde – gleich zu Beginn des 1. Weltkrieges am 26. August 1914. Da war mein Vater noch kein Jahr alt. Das alles zog vieles nach sich.
Jedenfalls wuchs mein Vater in Torgau mit Mutter und zwei Schwestern auf. Durch eine Lebensversicherung, die mein Großvater noch in den ersten Wochen des Krieges hellsichtig abgeschlossen hatte, wurde meine Großmutter Hausbesitzerin und seine verwitwete und verwaiste Familie hatte ein Häuschen am Grünen Glacis. Meine Großmama musste ihr Leben nun allein mit drei Kindern gestalten. Die Pension, die Witwenrente, war schmal und sie arbeitete als Klavierlehrerin. Annie Frucht hatte einen Abschluss am Konservatorium und war Musikbibliothekarin. Eine Musikbibliothek gab es in Torgau allerdings nicht. Mein Vater wuchs in Torgau auf, bis er ins Internat auf das Joachimsthalsche Gymnasium in Templin kam.
Soviel zur Familiengeschichte in Torgau. Wie wäre es, Sie würden sich einen Bus für Ihre Familie mieten und gemeinsam familiäre Spuren zu entdecken?
Das Haus meiner Großmama steht jedenfalls noch. Sie lebte hier von 1913 bis 1927.
Und ihr Haus zu suchen und zu finden, war für mich erfahrungsreicher als sämtliche Sehenswürdigkeiten in Torgau.
Zur Landesgartenschau bis Oktober
Aber vielleicht haben Sie Lust, zur Landesgartenschau zu fahren, die derzeit in Torgau ist. Noch bis 9. Oktober 2022 erstreckt sie sich über das Glacis. Schon in der Renaissance war Torgau für seine kunstvoll gestalteten Gärten berühmt und als grüne Stadt bekannt. Daraus wurde die 9. Sächsische Landesgartenschau 2022 mit dem Motto Natur, Mensch, Geschichte. Besonders für Bus-Reisegruppen zu empfehlen. Gruppen ab 20 Personen zahlen 16 Euro Eintritt pro Person, Busfahrer und Reiseleiter haben freien Eintritt und die Busparkplätze sind kostenfrei!
Wäre das nicht eine Überlegung für einen Ausflug wert?
Wem das zuviel Natur ist, dem empfehle ich den Besuch des Schlosses Hartenfels, der Schlosskirche und der Marienkirche. Mit einem Kombi-Ticket erfährt man manches zur Geschichte Mitteldeutschlands und wer den Aufstieg auf den Schlossturm schafft, hat einen weiten Blick übers Land und Elbe.
Die Schlosskirche – beispielhaft seit 1544
Die Torgauer Schlosskirche gilt als erster protestantischer Kirchenbau weltweit und wurde von Martin Luther persönlich am 5. Oktober 1544 in einem feierlichen Gottesdienst eingeweiht. Der Chor sang unter Leitung des bekannten Komponisten Johann Walter eine eigens für diesen Tag komponierte 7-stimmige Motette. Ungewöhnlich ist der Standort der Orgel über dem Altar. Der Kirchenmusik kam im neuen protestantischen Gottesdienst eine wichtige Rolle zu – über den Gesang konnten alle wichtigen Glaubensinhalte leicht zu den Menschen transportiert werden. Torgau wurde ebenfalls zur Wiege der protestantischen Kirchenmusik. Nicht zuletzt durch Johann Walter, der mit Luther zusammen das erste deutschsprachige Gesangbuch herausbrachte und hier die erste bürgerliche Stadtkantorei gründete.
Die klare, geradlinige Ausstattung des Inneren des Kirchenraumes zeigt, dass hier allein Gott und seinem Wort gedient werden soll. An der Kanzel finden sich drei biblische Szenen, die der Illustration der reformatorischen Grundsätze dienen. Sola scriptura – allein der Schrift – zeigt den 12-jährigen Jesus im Tempel, wie er mit Schriftgelehrten diskutiert. Sola gratia – allein aus Gnade – zeigt Jesus und die Ehebrecherin, deren Bestrafung gefordert wird. Jesus hingegen bringt die Männer zur Erkenntnis, dass keiner ohne Sünde ist und wir alle aus der Gnade Gottes leben. Sola fide – allein der Glaube – zeigt das dritte Bild, auf dem Jesus die Händler aus dem Tempel treibt. Heil sei nicht käuflich, allein der wahre Glaube helfe weiter.
Die Schlosskirche wird heute weiter als eine der beiden Evangelischen Gemeindekirchen in Torgau benutzt.
Die andere, die wichtigste Kirche Torgaus ist die das Stadtpanorama dominierende Marienkirche aus dem 12. bis 16. Jahrhundert. Die spätgotische Hallenkirche enthält als wertvollen Schatz das Gemälde von Lukas Cranach dem Älteren Die vierzehn Nothelfer. Auch das Grab von Luthers Ehefrau Katharina, geborene von Bora, ist hier zu finden. Sie verunglückte hier 1552 auf der Flucht vor der Pest mit einer Kutsche und erlag ihren Verletzungen.
Ein dunkles Kapitel der DDR
Wer geschichtlich näher an die Gegenwart kommen möchte, der findet in der Anlage des ehemaligen Jugendwerkhofes Torgau Zeugnisse der Geschichte. Von 1964 bis 11. November 1989 befand sich hier der einzige geschlossene Jugendwerkhof der DDR. Wie auch immer auffällig gewordene Jugendliche wurden hier zum Zweck der Disziplinierung eingewiesen und eingesperrt. Ein schwarzes Kapitel der DDR-Geschichte, an das sich mancher ungern erinnert, sollte nicht vergessen, sondern in Augenschein genommen werden.
Ich finde, die Stadt mit nur 20.000 Einwohnern hat auf dichtem Raum einiges zu erzählen.