Im neuen Jahr besucht unser Autor die älteste Spreebrücke Berlins, die ein wenig versteckt an der Friedrichsgracht im Stadtbezirk Mitte liegt.
Nicht nur die historische Entwicklung der letzten Alt-Berliner Zugbrücke, sondern auch die Sagen, die sich um den Namen der Jungfernbrücke ranken, werden vorgestellt.
Die Jungfernbrücke wird auch Spreegassenbrücke genannt. Eine erste Brücke über den Kupfergraben, dem alten Schleusengraben, wurde unter dem Kurfürsten Friedrich III. gegenüber der damaligen Spreegasse, der heutigen Friedrichsgracht, bereits im 17. Jahrhundert von Holländern erbaut. Sie ist die einzige der 9 baugleichen hölzernen Zugbrücken, die sich bis heute im Berliner Stadtbild erhalten hat. Ihre Aufgabe bestand darin, dem Leipziger Tor über die ehemalige Alte Leipziger Straße in Friedrichswerder den Zugang nach Cölln zu gewährleisten.
1798 wurde die erste Jungfernbrücke ersetzt
Die erste Jungfernbrücke wurde nach einem Entwurf des preußischen Oberhofbaurats Friedrich Becherer im Jahr 1798 ersetzt. Ihre unterschiedlich breiten seitlichen Bögen sind aus rotem Sandstein errichtet worden. Die technische Holz- und Eisenkonstruktion der für die Schifffahrt als Klappbrücke ausgebildete mittlere Durchfahrt ist unverändert erhalten geblieben. Ihr Mittelteil wurde weiterhin über Ketten und Räder angehoben, um Schiffen die Durchfahrt zu ermöglichen. Die im Wilhelminischen Berlin zu Schule gehenden Kinder, die auf ihrem Schulweg die Jungfernbrücke passieren mussten, konnten guten Gewissens auch einmal zu spät zum Unterricht erscheinen. Gegen ihre gewitzte Ausrede: „Die Brücke war jerade uffjezogen!” konnte kein Lehrer etwas einwenden. Heute ist die Jungfernbrücke beinahe zu einem antiquierten Museumsstück geworden. Sie ist ein letztes Relikt des gemütlichen alten Berlins, das die kriegerischen Zerstörungen glücklich überstanden hat.
Wie kam die Jungfernbrücke zu ihrem Namen?
Bereits im Jahr 1690 ist der Name Jungfernbrücke erstmals belegt. Der Volksmund hat einige Legenden um diesen Namen gewoben. Eine spricht von einem Hochzeitsbrauch, in dem die Braut vor der Heirat über die Brücke gehen muss. Sollten die Bohlen dabei knarren, wäre es mit ihrer Jungfräulichkeit nicht weit her.
Eine andere Sage berichtet uns von einem blinden Mann, der in der Nähe der Jungfernbrücke gewohnt hat. Weil er schon alt war und nur noch wenig Schlaf brauchte, saß er manchmal des Nachts am offenen Fenster, um in die stille Gracht zu lauschen. Hin und wieder geschah es, dass der Blinde streitende Stimmen vernahm. Diesmal bedrängte ein Mann mit einer tiefen Stimme ein junges Mädchen, das sich weinend wehrte. Dabei rief sie aus: „Ich kann nicht eure Frau werden! Habt doch Erbarmen mit mir! Ihr wisst doch, dass mein Vater mich einem anderen versprochen hat.“
„Dann gebt jenem euer Wort zurück, Jungfer!“, forderte der tiefe Bass des Unbekannten, in erregtem Tonfall.
„Aber ich liebe ihn”, antwortete das Mädchen verzweifelt.
„So fahr’ denn zur Hölle!”, kam es zurück.
Der blinde Alte am Fenster hörte ein keuchendes Ringen und einen unterdrückten Aufschrei. Anschließend erfolgte ein lauter Aufschlag auf das Wasser und gleich darauf entfernten sich eilende Schritte. Bei der Morgendämmerung wurde an der Brücke die Ertrunkene aus der Spree gezogen. Bald darauf konnte ein junger, der Tat verdächtiger Mann verhaftet werden. Wenigstens wurde er für den Mörder gehalten, weil der wahre Täter den Verlobten der Toten angezeigt hatte. Als der Blinde von der Geschichte hörte, ließ er sich vor das Gericht führen. An der tiefen rauen Stimme erkannte er den Mann wieder, der das junge Mädchen in das kalte Spreewasser gestoßen hatte. Seither wird die Brücke nur noch Jungfernbrücke genannt.
Was die Familie Blanchet mit der Klatsch- und Jungfernbrücke zu tun hat
Freundlicher als jene makabre Überlieferung ist hingegen die dritte Anekdote. In der Spreegasse am alten Schleusengraben befand sich vis-à-vis der Jungfernbrücke einst die Herberge Französischer Hof. In dem Gasthof logierten zahlreiche aufgrund ihres calvinistischen Glaubens aus ihrer Heimat vertriebene Hugenotten, zu denen auch eine Familie Blanchet gehörte. Die fleißigen Blanchets mit ihrem halben Dutzend Töchtern beschäftigten sich in einer kleinen Remise unweit der Brücke mit dem Nähen feiner Wäsche, mit dem Reparieren von Spitzen und von seidenen Strümpfen. Deshalb verwundert es nicht, dass die routinierten Demoiselles in puncto ihrer Tätig- und Geschicklichkeit den besten Ruf in ganz Berlin genossen. Hatten unsere Urgroßeltern nun den Wunsch, eine feine Arbeit machen zu lassen, die sie einfachen Wäscherinnen nicht anvertrauen mochten, hieß es: „Wir wollen zu den welschen Jungfern an der Spreegassenbrücke gehen.“ Ebenso erschall der Ruf, wenn der Stadtklatsch irgendeine Neuigkeit verbreitet hatte, von der Jedermann noch mehr erfahren wollte: „Lasst uns zu den Jungfern an der Brücke gehen.“ Aus diesem Grund wurde auch der Spottname „Klatschbrücke“ geläufig. Folglich geschah es, dass zu einer Zeit, in der Berlin noch eine kleine überschaubare Stadt war, einige mund- und handfertige Jungfern den offiziellen Namen einer Brücke umtaufen konnten.
Die Jungfernbrücke in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts
In den späten 1930er Jahren wurde nicht nur das Flussbett der Spree vertieft, sondern auch die nahe gelegene Mühlendammschleuse erneuert. Im Zuge dieser Arbeiten erhielt auch die Jungfernbrücke ein neues Fundament. Weiterhin wurde ihr Kettenzug stillgelegt, so dass der Klappmechanismus seine Funktion verlor. Darüber hinaus wurden die aufklappbaren Seitenteile mittels einer durchgehenden Brückenfläche aus Stahlträgern mit einem Holzbohlenbelag ersetzt.
Die an die Jungfernbrücke bislang heranführenden Rampen wichen modernen Treppen, sodass sie jetzt nur noch von Fußgängern benutzt werden konnte.
Mehrmalige Renovierungsarbeiten an der Jungfernbrücke nach dem II. Weltkrieg
Mehrfache gründliche Renovierungsarbeiten in den Jahren nach dem II. Weltkrieg konnten den Erhalt des historischen Berliner Bauwerks sichern. Die vorerst letzten Instandsetzungen erfolgten am Ende des 20. Jahrhunderts in Zusammenarbeit mit dem Berliner Landesamt für Denkmalpflege. Im Verlaufe dessen wurden sämtliche Brückenteile abgetragen und auf ihren Zustand geprüft. Nach einer Überarbeitung oder der Herstellung möglichst historisch getreuer Kopien wurden alle Teile wieder in die Brücke eingesetzt.
Die schönen Formen der kleinen Jungfernbrücke inspirierten immer wieder Maler zu der Darstellung dieses Motivs. Auch wenn sie ein wenig versteckt im Bezirk Mitte liegt, ist die Alt-Berliner Jungfernbrücke bei zahllosen Touristen ein beliebtes Besichtigungsziel.
Hinweis
10117 Berlin-Mitte, Jungfernbrücke über dem Kupfergraben
Anfahrt:
U-Bahn U5, Station: Museumsinsel, 800 Meter weiter über den Schlossplatz in die Friedrichsgracht
Buslinien 100 & 300, Haltestelle: U-Bahnhof Museumsinsel
Lesenswert
Back, Claus: Drei Fräulein an der Jungfernbrücke. 1970
Thiemann, Eckhard; Dieter Deszyk & Horstpeter Metzing: Berlin und seine Brücken. Berlin 2003