Plötzensee? Da ist das Strandbad Plötzensee und die berühmte Gedenkstätte. Aber es gibt auch viele Spazierwege zu Laubenkolonien und alten Friedhöfen. Das kann abwechslungsreicher sein als bekannte Parkwege.
Als mein ältester Bruder in den sechziger Jahren seine Zukünftige kennenlernte, gehörte es zum Programm, dass das junge Paar am Wochenende zusammen mit der Mutter der Braut zum Friedhof am Plötzensee fuhr. Dort waren ihre Großeltern begraben. Man besuchte die Verstorbenen, wie andere Leute heute ins Café gehen oder essen. Später hörte ich von meinem Bruder, dass die Gräber nicht mehr da seien. Aufgelöst. Der ganze Friedhof sei weg. Man kann das beklagen.
Es ist allerdings eine Tatsache, dass 1089 Hektar Stadtfläche in Berlin Friedhöfe sind. Von 224 Friedhöfen in Berlin wird derzeit auf 186 weiter beerdigt. Und der Trend geht nach draußen, nach außerhalb der Stadt. Zu Baumgräbern und Friedwäldern. Es ist aber tatsächlich so, dass gerade alte Friedhöfe Zeitzeugen sind und von anderen Epochen berichten. Wo gibt es sonst in der Großstadt Freiflächen und Naturreservate? Hier wachsen seltene Pflanzen und Tiere haben ihren Lebensraum. Es gibt vielfältige Vogelstimmen zu hören, Refugien für Fledermäuse und Wildbienenhabitate.
Friedhöfe sind Orte, an denen Menschen aus anderen Epochen gedacht werden. Selbst Grabsteine zeugen von der Zeit, in der sie gemeißelt wurden. In ihrer Gestaltung und der Schriftart kann man erkennen, welcher Zeitgeist dahinter steckt. So kann man sehen, was außer den Worten erzählt wird.
Die Berliner Begräbnisplätze abseits des Stadtzentrums liegen oft in landschaftlich interessanter Umgebung, am Wasser, an Kanälen und Seen, zwischen Laubenkolonien. Man gelangt so in Gegenden, die noch nicht voll bebaut sind und sich äußerlich jedenfalls der Normierung entzogen haben. Wobei die Friedhofsordnungen und Vereinssatzungen der Laubenkolonien natürlich auch Normierungen sind. Sie fallen nur nicht so auf.
Die Straße, die am ehemaligen Friedhof entlang führt, heißt Dohnagestell. Das ist der Name eines weitverzweigten, auch preußischen Adelsgeschlechts. Die Dohnas hatten hier ein Jagdrevier gepachtet. Heinrich Graf zu Dohna-Schlobitten wurde 1944 wegen Widerstand gegen das Hitler-Regime hingerichtet. Noch heute gibt es Nachkommen aus der Familie, die jetzt in bürgerlichen Berufen arbeiten.
Grabsteine sind Zeitzeugen und Haltepunkte der Erinnerung
Ich kenne junge Paare, die, wenn sie ein Kind erwarten, gern über Friedhöfe spazieren. Nicht nur, weil es da ruhig und still ist, sondern auch, um nach Namen Ausschau zu halten. Ich bin der Meinung, dass eine Grabstelle für die Ewigkeit sein sollte. Wofür besorgt man sich einen Grabstein, wenn das Ganze nur fünfzehn Jahre Nutzungsrecht vorhält. Umsonst ist der Tod und der kostet das Leben, heißt es doch.
Die ägyptischen Pyramiden stehen seit viereinhalb tausend Jahren und gäbe es sie nicht, könnte nichts und niemand uns aus dieser Zeit berichten.
Der städtische Friedhof am östlichen Ufer des Plötzensees entstand 1888 und wurde im Laufe der Jahre einer der größten landeseignen Friedhöfe der Stadt bei einer Größe von 162.845 Quadratmetern. 1970 wurde er geschlossen. Die Nutzungsdauer – Nutzungsdauer? Was für ein Wort? Ein Toter nutzt meiner Meinung nach gar nichts mehr. Er liegt da, ist tot und zerfällt. Von Nutzen und Benutzen kann man da nicht sprechen. Aber die Verwaltungssprache will es anders. Die Nutzungsdauer einiger Gräber erlosch 1995. Danach begann man das Gelände umzuwandeln. Heute ist hier ein Park und Hundeauslaufgebiet.
Der Evangelische Friedhof St. Johannes und Heiland-Kirche wurde um 1865 angelegt, ist also noch älter und die letzte Beerdigung fand 2002 statt. Er umfasst eine Fläche von 100 000 Quadratmetern. Riesige Flächen des Gedenkens und der Erinnerung, die einfach aufgegeben werden.