Der Berliner Bus der Linie 100 bringt uns an die Spree. Hier wollen wir uns die an der legendären Adresse Unter den Linden 1 befindliche Alte Kommandantur anschauen. Der einstige Vorgängerbau des neben der Schlossbrücke Karl Friedrich Schinkels gelegenen Kommandantenhauses war das erste Steingebäude am Linden-Boulevard. Herausgearbeitet werden soll die Rekonstruktion der Alten Kommandantur durch deren neuen Eigentümer, die Bertelsmann AG.
Nach den verheerenden Verwüstungen des im Jahre 1648 beendeten Dreißigjährigen Krieges entstand in der Mitte Berlins der Stadtteil Friedrichswerder, der nach Friedrich Wilhelm, dem renommierten Großen Kurfürsten, benannt wurde. In dem neuen Stadtquartier leitete der holländische Architekt, Ingenieur und Festungsbaumeister des Großen Kurfürsten Johann Gregor Memhardt federführend die Bauarbeiten. Kurfürst Friedrich Wilhelm war ein großzügiger Regent. Als Dank für seine „treu fleißigen Dienste womit er Uns aufwertig gewesen“, hatte der Souverän seinem versierten Baumeister ein unbebautes Stück Land an der heutigen Schlossbrücke geschenkt, auf dem Memhardt sich ein zweigeschossiges Stadtpalais errichtete. Somit hatte der Vorgängerbau der Alten Kommandantur das „Licht der Welt“ erblickt. Dieses kleine Stadtpalais war nicht nur das erste steinerne Gebäude auf dem Friedrichswerder überhaupt, sondern Meister Memhardt war auch dessen erster stolzer Eigentümer.
Berlins Kommandant bekommt ein „Geschäftslocal“ und bezieht seinen Wohnsitz
Im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts war an der Stelle von Memhardts Palais ein neues repräsentatives Haus erbaut worden, das dem Kommandanten der Berliner Garnison als „Geschäftslocal“ und als Wohnsitz diente. Für seine schöne Dienstwohnung musste jener 300 preußische Taler per annum an Miete berappen. Zum Vergleich können wir die Lebenshaltungskosten einer fünfköpfigen Handwerkerfamilie heranziehen, die sich auf cirka 250 Taler belief.
Der kaiserliche Kriegskommissar und Autor Stendhal wohnte in der Alten Kommandantur
Nachdem Kaiser Napoleon I., nach der Niederlage der Preußischen Armee in der verlustreichen Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt im Jahre 1806, mit seinen französischen Soldaten durch das Brandenburger Tor in Berlin einmarschiert war, bezog auch der berühmte Schriftsteller Marie-Henri Beyle, bekannt als Stendhal, die Alte Kommandantur. Stendhal bewohnte nicht nur in seiner offiziellen Funktion als kaiserlicher Kriegskommissar das Kommandantenhaus, sondern auch als Autor des bekannten Romans „Rot und Schwarz“, „Le Rouge et le Noir“, wird er später literarischen Ruhm erlangen.
Das Schicksal der Alten Kommandantur nach dem Zweiten Weltkrieg
Alliierte Bombardements und verlustreiche Berliner Häuserkämpfe waren die Ursache für die weitgehende Zerstörung der Alten Kommandantur gegen Ende des Zweiten Weltkriegs. Nachdem das ausgebrannte Kommandantenhaus im Jahre 1950 abgerissen worden war, wurde das ursprüngliche Grundstück für Jahrzehnte unbebaut gelassen.
Erst im Jahre 1999 veräußerte der Berliner Senat die vakante Parzelle an die Bertelsmann AG und die Bertelsmann Stiftung unter der Bedingung, die historische Fassade des 19. Jahrhunderts detailgetreu zu rekonstruieren.
Die Rekonstruktion der Alten Kommandantur glich einem kriminalistischen Puzzle
Den Löwenanteil an den aufwendigen Rekonstruktionsarbeiten hatten die routinierten Handwerker der Stiftung Denkmalpflege zu leisten. Ihre mühevollen Arbeiten ähnelten einem kriminalistischen Puzzlespiel. Unter Zuhilfenahme historischer Fotos aus dem Preußischen Bildarchiv konnte eine gute Vorstellung des alten Kommandantenhauses aus der Zeit der 1870er Jahre gewonnen werden. Außerdem lieferten chemische Analysen von archäologischen Fragmenten den schlagkräftigen Beweis, dass die Alte Kommandantur ursprünglich aus schlesischem Sandstein erbaut worden war. Da der Bauherr den Ehrgeiz besaß, bei der Rekonstruktion dem authentischen Gebäude möglichst nah zu kommen, ließ er ebenfalls schlesischen Sandstein verwenden. Darüber hinaus wurde der Sandstein aus demselben Steinbruch gewonnen, aus dem bereits das Originalmaterial im 19. Jahrhundert angeliefert worden war.
Wir können uns gut vorstellen, dass für die fachkundige Bearbeitung des in sieben verschiedenen Größen verwendeten Mauerwerks nur mit großer Mühe versierte Handwerker gefunden wurden, die diese Kunst noch heute beherrschen.
Acht Terrakotta-Adler sitzen auf dem Dach der Alten Kommandantur
Das Eingangsportal wird jeweils von zwei Säulen flankiert, die einen Balkon tragen. Die helle Backsteinfassade im Erdgeschoss ist mit Rundbogenfenstern versehen. Die erste Etage weist rechteckige Fensteröffnungen auf. Weil das Erdgeschoss primär der Arbeit und der Repräsentation diente, war es außen reicher geschmückt. Hingegen logierte der Kommandant in den Wohnräumen der ersten Etage, die eher „preußisch sparsam“ konzipiert worden sind. Der inzwischen verstorbene Dresdner Bildhauer Karl-Günter Möpert fertigte die acht jeweils 500 Kilo schweren und mit einer Spannweite von 1,50 Meter versehenen Terrakotta-Adler an, die auf dem Dach der Alten Kommandantur erneut ihren angestammten Platz eingenommen haben.
Die Bertelsmann AG eröffnete ihre Hauptstadt-Repräsentanz in der Alten Kommandantur
Die als Hauptstadt-Repräsentanz des internationalen Medienkonzerns Bertelsmann wieder errichtete Alte Kommandantur wurde im Jahre 2003 erfolgreich vollendet. Aufgrund der original getreuen Rekonstruktion der klassizistischen Fassade des altehrwürdigen Kommandantenhauses war es möglich geworden, dass ein unverwechselbares Gebäude in der historischen Stadtmitte Berlins seinen genuinen Sitz zurückerobert hat. Folglich ist im gelungenen Zusammenspiel mit dem benachbarten Kronprinzenpalais, mit dem gegenüber gelegenen Zeughaus und mit der beeindruckenden Schlossbrücke am östlichen Teil des traditionsreichen Linden-Boulevards erneut ein harmonisches städtebauliches Ensemble entstanden.
Feierlich wurde am 6. November 2003 die neue Firmenvertretung der Gütersloher Bertelsmann AG am pulsierenden Prachtboulevard Unter den Linden 1 eröffnet.
Hinweis
Bertelsmann SE & Co. KgaA – Alte Kommandantur
Unter den Linden 1, 10117 Berlin-Mitte
Telefon: +49 (0) 30 520099-0
Die Alte Kommandantur ist für das Publikum geschlossen.
Lesenswert
Hoffmann-Axthelm, Dieter: Das Haus an der Hundebrücke. Geschichte des Berliner Kommandantenhauses und seiner Umgebung. Berlin 2008