Unser gelber Stadtbus der Linie 100 hält am Lustgarten. Bevor wir uns Schinkels Altes Museum anschauen, wollen wir in jenem Garten verweilen. Unser Buskompass-Autor schildert nicht nur die Historie des ersten Nutz- und späteren Lustgartens anhand amüsanter Anekdoten, sondern er berichtet uns auch von einem gravitätischen Weltwunder der Biedermeierzeit.
In einem von Johann Wolfgang von Goethe angelegten privaten Lexikon, in dem er häufig verwendete Wörter auflistete, taucht auch der Terminus „Lustgarten“ auf. Der Weimarer Geheimrat beschrieb darunter einen „Vergnügen gewährenden Aufenthaltsort – meist als draußen gelegene Stätte geselliger Begegnung.“ Als Goethe im Jahre 1778 Berlin besuchte, hatte er offenbar auf ein diesbezügliches Vergnügen verzichtet. In seinem informativen Tagebuch fehlt jeder Hinweis darauf, dass es ihn einmal zum malerischen Lustgarten hingezogen hätte.
Die Lage des immer gut besuchten Lustgartens ist zentral gelegen. Er erstreckt sich in der Form eines rechteckigen Gevierts circa in der Mitte der Museumsinsel. Begrenzt wird der geometrische Garten von Baumeister Schinkels Altem Museum, dem Berliner Dom und dem Spree-Kanal mit dem am gegenübergelegenen Flussufer befindlichen Zeughaus. Allerdings liegt der architektonische Bezugspunkt des Lustgartens jenseits des belebten Linden-Boulevards am Nordflügel des Berliner Stadtschlosses.
Kurfürst Johann Georg baute die ersten „Tartufeln“ in seinem Küchengarten an
Im Jahre 1573 hatte der regierende Kurfürst Johann Georg parallel zum weiteren Ausbau des Stadtschlosses der Hohenzollern auf der nördlich befindlichen Freifläche zunächst den morastigen Sumpf eines Spreearms trockenlegen und anschließend einen erforderlichen Nutz- und Kräutergarten anlegen lassen. Außerdem beauftragte der brandenburgische Regent seinen Hofgärtner Corbinianus damit, aus der „Küchen Notturft„ verschiedene Kräuter auszusäen und diverse Obstbäume anzupflanzen. Überdies wurden Tomaten als Zierpflanzen gesetzt. Schließlich ließ Johann Georg in seinem neuen Küchengarten erstmals in Berlin und Preußen die ersten „Tartufeln“, unsere Kartoffeln, anbauen. Allerdings war es im 16. Jahrhundert noch keinem preußischen Untertanen erlaubt, jenen kurfürstlichen Nutz- und Gewürzgarten zu durchqueren. Der eigentliche Lustgarten existierte damals noch nicht.
Erst über 70 Jahre später, gegen Ende des verehrenden Dreißigjährigen Krieges, 1618-48, wurde der einstige Kräutergarten Johann Georgs gemeinsam von den beiden Gartenmeistern Hanf und Elßholtz in einen hübschen Lustgarten mit einer ersten Orangerie nach holländischem Vorbild umgestaltet.
Der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm kultivierte den Lustgarten
Am Ende des 17. Jahrhunderts beschrieb der durchreisende französische Arzt Charles Patin die Gartenszenerie mit folgenden Worten: „Ich hatte alle Fatiguen, [Müdigkeiten], vergessen, als ich Berlin zu sehen bekam. […] Der Lustgarten dient zur Erholung des Großen Kurfürsten […].“ „Er ist von Orangerien, Jasmin und allen Arten Blumen angefüllt […].“
Bald darauf wurde der mondäne Lustgarten kunstvoll mit einer künstlichen Grotte, sprudelnden Fontänen, allegorischen Figuren und Volieren geschmückt.
Der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. wandelte den Lustgarten in einen Exerzierplatz um
In der royalen Reihenfolge hieß der übernächste preußische Monarch Friedrich Wilhelm I., der uns noch heute unter seinem legendären Namen „Soldatenkönig“ geläufig ist. Botanische Ambitionen hatte Friedrich Wilhelm keine entwickelt. Gleich zu Beginn seiner strengen Regierungszeit musste er das finanzielle Chaos seines verschwenderischen Vaters Friedrich I. ordnen. Weil Friedrich Wilhelm zu sparen hatte, strich er mit einem königlichen Federstrich kurzerhand sämtliche pekuniären Ausgaben für den Unterhalt des reizvollen Lustgartens. Überdies ließ er dessen Rasen abtragen und die gesamte Bepflanzung bis auf den letzten Blumenkübel in den Charlottenburger Schlossgarten umsetzen. Niemanden dürfte es überraschen, dass der pedantische Souverän den gepflegten Lustgarten anschließend mit märkischem Sand aufschütten ließ, so dass ein probater Parade- und Exerzierplatz für Friedrich Wilhelms geliebte Grenadiergarde, die Langen Kerls, entstand.
Friedrich der Große arrangierte aufwendige Amüsements im Lustgarten
Der musisch begabte Sohn des knauserigen Soldatenkönigs, Friedrich der Große, arrangierte hingegen illustre Amüsements in dem jenseits des Linden-Boulevards gelegenen Garten. Am 25. August 1750 veranstaltete König Friedrich ein dekoratives Fest zu Ehren seiner älteren Lieblingsschwester, der ins fränkische Bayreuth verheirateten Markgräfin Wilhelmine. Ein Berliner Chronist berichtete uns von dem warmen Sommerabend: „Es war ein Karussellreiten bei Nacht, während der ganze Platz, durch ein unzähliges Lampenmeer illuminiert war.“ Peu à peu waren die mehr als 30000 Lampions und Fackeln angezündet worden. „Nachher große Tafel und Ball en masque„, fuhr der mitteilsame Historiograf weiter aus. Am Ende des 18. Jahrhunderts hat Friedrichs Neffe, Friedrich Wilhelm II., den königlichen Lustgarten erneut begrünen lassen.
Lenné gestaltete den Lustgarten gärtnerisch neu, Schinkel erbaute das Alte Museum
Im frühen 19. Jahrhundert gestaltete Peter Joseph Lenné den Lustgarten gärtnerisch neu, indem er an dessen Rändern doppelte Reihen mit jungen Linden anpflanzen ließ. Nach der feierlichen Eröffnung des von Karl Friedrich Schinkel gebauten Königlichen Museums, des Alten Museums, eines Hauptwerks des deutschen Klassizismus, kam in den Jahren 1830/31 die große rote Granitschale im Garten hinzu.
Die „Größte Suppenschüssel Berlins“ steht im Lustgarten
Was für eine rote Schale, fragt sich der wissbegierige Leser? Gemeint ist die beeindruckendste Sehenswürdigkeit im noblen Lustgarten, die im Jahre 1831 erstmals aufgestellte Granitschale, an der sich zahllose Berliner gerne treffen. Sie galt nicht nur als ein spektakuläres Weltwunder in der Biedermeierzeit, sondern sie war auch eine der markanten Hauptattraktionen in der preußischen Residenz des frühen 20. Jahrhunderts. Noch heute ist sie die größte aus einem einzelnen Stein gefertigte Schale der Welt.
Die in ihrer Form an antike Granitbecken erinnernde und einen beachtlichen Durchmesser von 6,91 Meter messende Berliner Schale steht an den unteren Stufen, die zum Alten Museum hinaufführen. Sie wurde in der Werkstatt des versierten Steinmetzes Christian Gottlieb Cantian aus einem 75 Tonnen (!) schweren Grantfindling, dem sogenannten „Großen Markgrafenstein“, angefertigt, der während der letzten Eiszeit in die südlich von Berlin gelegenen Rauenschen Berge bei Fürstenwalde an der Spree gelangte. Nicht nur die fachkundige Bearbeitung des aus Schweden stammenden Findlings, sondern auch sein mühseliger Transport auf einem simplen Lastkahn auf der Spree bis hinunter nach Berlin im Jahre 1828 galt als die größte Leistung des routinierten Steinmetzes Cantian. Zur festlichen Einweihung wurde ein gemütliches Festfrühstück veranstaltet, bei dem rund 40 Personen ausgelassen in der Schale beisammen saßen. Wer die schlagfertigen Hauptstädter kennt, den verwundert es nicht, dass nur wenige Wochen vergingen, bis der ausgeschlafene Berliner Volksmund das gute Stück aufgrund seiner kolossalen Größe mit dem liebevollen Spitznamen: „Größte Suppenschüssel Berlins“ bezeichnete.
Theodor Fontane wusste ebenfalls von dem skandinavischen Granitfindling zu berichten
In seinem noch heute lesenswerten Reiseband „Spreeland“ in seinen legendären „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ hat unser märkischer Chronist Theodor Fontane die Geschichte des skandinavischen Findlings, des „Markgrafensteins“, für die Nachwelt aufgeschrieben, die er von einem gesprächigen Brandenburger Zeitgenossen zuvor erfuhr: „Um die zwanziger Jahre rum wurde [der Stein] in drei Stücke gesprengt, gerad so wie Sie ’ne Birn‘ in drei Stücke schneiden: links ’ne Backe un rechts ’ne Backe, und in der Mitte das Mittelstück. Un aus’s Mittelstück haben sie ja nu die große Schale gemach.“
Zwei „Berliner Großstadtpflanzen“ parlierten miteinander
Die kürzeste Epistel, in der der populäre Lustgarten feuilletonistisch beschrieben wurde, war eine kleine Plauderei zwischen zwei jungen Frauenzimmern. Die beiden Mamsells, die der Autor warmherzig „Berliner Großstadtpflanzen“ nannte, trafen und erkundigten sich bei der jeweils anderen, wohin jene zu gehen gedenke:
„Wo’n hin, Else?“
„Rangdewuh!“ [Rendezvous]
„Wo’n?“
„Bei die Schale in Lustgarten.“
„Ick ans Knie!“
Was war nur mit dem „Knie“ gemeint? Damit wurde das Aufeinandertreffen der Charlottenburger Chaussee, der heutigen Straße des 17. Juni, und der Hardenbergstraße bezeichnet, deren beide Richtungen auf der Höhe des jetzigen Ernst-Reuter-Platzes eine Abbiegung, ein Knie, bildeten.
Der Lustgarten nach dem Ersten Weltkrieg
Am Beginn des 20. Jahrhunderts begannen bewegte Zeiten im ansprechenden Lustgarten, der sich allmählich in einen gern frequentierten Treffpunkt für gesellschaftliche Großkundgebungen verwandelte. In der Zeit der instabilen Weimarer Republik bestimmten politische Versammlungen, spontane Menschenaufläufe und geplante Aufmärsche die Szenerie am bedeutenden Linden-Boulevard. Im damaligen Lustgarten wurde jede politische Richtung irgendwann ideologisch bekämpft.
Der Lustgarten nach dem Zweiten Weltkrieg
Nach dem Zweiten Weltkrieg avancierte der altehrwürdige Lustgarten zu einem Teil des neu entstandenen Marx-Engels-Platzes und diente erneut als ein Ort für Kundgebungen und Aufmärsche eines neuen Regimes. Heute gehört er zu den traditionsreichen Plätzen der Stadt Berlin. Die von Meister Cantian geschaffene Granitschale steht endlich wieder an ihrem angestammten Platz vor Karl Friedrich Schinkels Altem Museum. Nach der letzten Restrukturierung in den 1990er Jahren ist der schillernde Lustgarten mit seiner sprudelnden Fontäne eine beliebte Grün- und Gartenanlage geworden, auf dessen üppigem Rasen passionierte Sonnenanbeter ein forsches Sonnenbad einnehmen. Außerdem laden die satten Grünflächen zum Ausruhen und zum längeren Verweilen nach einem erlebnisreichen Besuch der interessanten Museumsinsel und/oder des benachbarten Berliner Doms ein. Darüber hinaus ist der farbenfrohe Lustgarten auch ein beliebter Ausgangspunkt für eine längere Stadtbesichtigung bei einer Dampfer- oder einer Stadtrundfahrt. Die Halte- beziehungsweise die Anlegestellen für die in- und ausländischen Gäste liegen direkt am Berliner Lustgarten.
Hinweis
Lustgarten, Unter den Linden 1, 10178 Berlin-Mitte
Anfahrt: Bus-Linien: 100, 300 & N5, Haltestelle: Lustgarten
Der Lustgarten und die Granitschale sind barrierefrei.
Lesenswert
Knoblich, Heinz: Im Lustgarten mit Heinz Knobloch. Ein preußischer Garten im Herzen Berlins. Berlin 2001