Nachdem wir am Ausgang des Archäologischen Parks in Freyenstein in unseren Reisebus eingestiegen sind, steuern wir das keine 60 Kilometer entfernt gelegene Neustadt an der Dosse im Ruppiner Land an. In der ‚Stadt der Pferde’ wollen wir uns das mittlerweile über 240 Jahre alte brandenburgische Haupt- und Landgestüt näher anschauen.
Kein geringerer als der berühmte märkische Historiograf Theodor Fontane überlieferte uns in seinen zeitlosen ‚Wanderungen durch die Mark Brandenburg’1, in seinem ersten Band: ‚Die Grafschaft Ruppin’, im Kapitel: ‚An Rhin und Dosse’ auch über die Geschichte des kleinen Ortes Neustadt an der Dosse, der seit dem Jahre 2000 den stolzen Namenszusatz ‚Stadt der Pferde’ trägt. Fontane schrieb, dass im Landbuch Kaiser Karls IV. die Burg, oder das Schloss Neustadt 1375 einem gewissen Lippold von Bredow gehörte. Später ging es an die Grafen von Ruppin über, die die winzige Siedlung zeitweise an die Herren von Rohr verpfändeten. Unser Buskompass-Autor berichtete uns bereits von Conrad von Rohr, dem stolzen Eigentümer des prächtigen Alten Renaissance-Schlosses in Freyenstein, und vom Bischof von Havelberg, Otto I. von Rohr, der im 15. Jahrhundert in der Alten Bischofsburg in Wittstock an der Dosse 26 Jahre lang residiert hat. Nach dem Erlöschen des Geschlechts der Grafen von Lindow-Ruppin gelangte Neustadt im 16. Jahrhundert in die zupackenden Hände des Brandenburger Kurfürsten Joachim I. ‚Nestor’. Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges (1648) war der Ort plötzlich in eine Epoche berühmter historischer Persönlichkeiten eingetreten. Dazu gehörten der in schwedischen Diensten stehende Feldmarschall Hans Christoph Graf von Königsmarck und Prinz Friedrich von Hessen-Homburg. Aus der Zeit des Grafen von Königsmarck gibt es „wenig zu berichten“2, wie Fontane seinen enttäuschten Lesern lapidar mitteilen muss. Offenbar hatte der berühmte Feldmarschall seine Neustätter Güter niemals persönlich in näheren Augenschein genommen. Er dürfte sich vielmehr damit begnügt haben, seine neuen Besitzungen durch seinen vertrauten Regimentsquartiermeister, Liborius Eck, mustergültig verwalten zu lassen. Im Jahre 1662 war Neustadt an der Dosse vom Grafen von Königsmarck an den tatkräftigen Prinzen von Homburg veräußert worden, von dem jetzt berichtet werden soll.
Prinz Friedrich von Hessen-Homburg erwirkt das Stadtrecht für Neustadt an der Dosse
Nachdem der Prinz von Homburg – „der vor allem nicht der ist, als der er uns in dem Heinrich von Kleistschen Schauspiel entgegentritt“3 – den Marktflecken Neustadt erworben hatte, musste er bedauernd zur Kenntnis nehmen, dass jener Ort lediglich aus 7 Bauernhöfen, einer einzelnen Windmühle und einer kleinen Schmiede bestand. Der dynamische Prinz ging ad hoc an die Arbeit, um die bescheidene Siedlung energisch auszubauen und sie zu verschönern. Hand in Hand mit seinem von Königsmarck übernommenen Quartiermeister Liborius Eck – den der Prinz nicht nur zu seinem treuen Adlatus machte, sondern dem er auch sein freundschaftliches Wohlwollen schenkte – war es den beiden in nur kurzer Zeit gelungen, zahlreiche Kolonisten und tüchtige Handwerker an der Dosse anzusiedeln.
Zunächst kamen jene aus Süddeutschland und aus Holland, später gelangten vor allem französisch sprechende Protestanten, Calvinisten, die wir als Hugenotten bezeichnen, in das Ruppiner Land.
Die stürmische Tatkraft des ungleichen Duos wurde schnell belohnt. Lediglich zwei Jahre später wies der prosperierende Ort nicht nur 47 stattliche Bürgerhäuser auf, sondern er besaß nun auch eine schnell wachsende Vorstadt, in der sich mindestens 25 weitere Familien4 angesiedelt hatten. Darüber hinaus ließ Prinz Friedrich die von zahllosen Flussarmen der Dosse durchzogenen Sumpfgebiete rund um Neustadt trockenlegen und in fruchtbares Weideland umwandeln. Bald darauf konnte er die auf den Wiesen weidenden Pferde profitabel an die kurfürstliche Kavallerie, beispielsweise an das furchtlose Kürassierregiment der Gardes du Corps, verkaufen.
Mit diesen ersten Erfolgen gab sich der ehrgeizige Prinz jedoch noch nicht zufrieden. Er hatte die feste Absicht, Handel und Gewerbe im größeren Stil zu fördern, wofür er aus der kleinen Marksiedlung ein größeres Landstädtchen machen musste. Zudem gelang es Prinz Friedrich für sein ambitioniertes Vorhaben von dem brandenburgischen Landesherrn, dem Großen Kurfürsten, zunächst wohlmeinendes Verständnis und anschließend sogar breite Unterstützung zu finden. Aufgrund von Homburgs immensem Einfluss am Hofe Friedrich Wilhelms wurde dem Antrag des Prinzen stattgeben, mit dem der Kurfürst jenem am 24. August 1664 das Privileg erteilte, wodurch Neustadt an der Dosse das begehrte Stadtrecht zugesprochen bekam. Nicht nur das seit dem Jahre 1695 in Neustadt existierende königliche Hofgut, sondern sicherlich auch die Nähe zum Berliner Regierungssitz haben die kluge Standortwahl für ein erstes Maultiergestüt in der kleinen Stadt an der Dosse mit beeinflusst. Bevor aber dort das renommierte preußische Haupt- und Landgestüt errichtet wurde, werden noch einmal fast 100 Jahre vergehen.
Die Gründung des preußischen Haupt- und Landgestüts in Neustadt an der Dosse – 1788
Das couragierte Vorhaben, ein Haupt- und Landgestüt im Ruppiner Land nordwestlich von Berlin anzulegen, geht auf einen alten Traum des preußischen Monarchen Friedrich Wilhelm II. (1786-97) zurück, seine eigenen Vollblüter zu züchten. Bislang hatten der königliche Hof in Berlin, beziehungsweise in Potsdam, adlige Kavallerieoffiziere in der preußischen Armee und gut betuchte Bourgeois ihren enormen Bedarf an edlen Rössern zumeist aus Holstein und Polen gedeckt. Es verwundert uns deshalb keineswegs, dass die jungen Pferde, die nach einem langen Transportweg bei den entfernt stationierten Kürassier-Regimentern oder am königlichen Hofe in Berlin eintrafen, oftmals schon krank und restlos erschöpft waren. Aus diesem plausiblen Grund war der ungeliebte Neffe des ‚Alten Fritz, des legendären Preußenkönigs Friedrich II., darauf bedacht, sich von ausländischen Pferdeimporten weitgehend unabhängig zu machen. Dementsprechend ließ Friedrich Wilhelm II. 1788 im märkischen Neustadt nach seinen eigenen Worten zwei Gestütsanlagen ‚zum Besten des Landes’ errichten. Das zukünftige Hauptgestüt wurde nach dem neuen Regenten, ‚Friedrich Wilhelm’, benannt.
Nach der Vorstellung des jungen Souveräns sollten dort die zukünftigen Stammväter der gesamten Landespferdezucht herangezogen und später als vitale Zuchthengste in allen 12 Preußischen Provinzen (1815) verteilt werden. Friedrich Wilhelm II. hatte, um seine Pläne in die Tat umzusetzen, nur wenige Wochen nach dem Tode des großen Königs, des ‚Alten Fritz’, seinen erprobten Reisestallmeister Reichsgraf Carl Heinrich August von Lindenau in das neu ins Leben gerufene Amt des Obermarstalldepartements eingesetzt. Lindenau verwirklichte nicht nur die einzelnen Wünsche seines guten Königs mit großem Engagement, sondern unter der architektonischen Oberaufsicht des Reichgrafen waren auch die facettenreichen Gestütsgebäude in Neustadt erbaut worden. Graf Lindenau brachte, um seinem königlichen Auftrageber gerecht zu werden, gleich den gefeierten Baumeister Ephraim Wolfgang Glasewaldt aus Sachsen höchstpersönlich mit, weil jener im prunkliebenden Kurfürstentum Friedrich Augusts III. an der Elbe bereits erfolgreich mehrere barocke Parkanlagen gestaltet hatte.
Noch heute, nach über 240 Jahren, ist dem namhaften Haupt- und Landgestüt nordwestlich von Berlin anzusehen, dass es auf dem kargen Reißbrett entworfen worden war. Hellwachen Besuchern fällt es sofort auf, dass sämtliche Ställe, Wirtschaftshöfe, Wohn- und Kavalierhäuser – summa summarum 88 Gebäude (!) – wenngleich sparsam und nüchtern, dafür aber würdevoll und regelmäßig in zwei großen Rechtecken angeordnet liegen.
Außerdem wurden die einheitlichen Fassaden der diversen Gebäude nicht nur symmetrisch und wie mit dem Lineal gezogen erbaut, sondern sie werden auch deutlich in ihrer abgestuften Rangordnung zum einen als exzellente Repräsentations- und zum anderen als reine Zweckbauten voneinander unterschieden.
Das barocke Landstallmeisterhaus des Hauptgestüts
Das mit seinen niedrigen Seitenflügeln schlossförmig angelegte Hauptgebäude, das sogenannte Landstallmeisterhaus, ließ Architekt Glasewaldt in schlichten Bauformen errichten. Allerdings verleiht der Wohlklang der Proportionen dem zentral gelegenen Gebäude seinen Adel. Überdies bildet, ganz nach den Vorstellungen des Barocks, das zweigeschossige, mit einem rotem Mansardendach und mit einem weithin sichtbaren Uhrturm versehene Landstallmeisterhaus den dominierenden Mittelpunkt des Hauptgestüts, auf das alle Straßen und Wege hin zulaufen. Zudem ist es das majestätische Zentrum der großzügigen axial disponierten Anlage mit ihren vielen Pferdeställen, Wirtschaftsgebäuden und Reitbahnen. Baumeister Glasewaldt stand mit dem Ruppiner Land ein riesiges Areal zur gestalterischen Verfügung, so dass er geradezu in ideal typischer Weise eine mustergültige Gutswirtschaft nach den stringenten Leitideen der damals vorherrschenden Architekturtheorie, der sogenannten preußischen Landbauschule5, aufbauen konnte. Die in der weiten, flachen, märkischen Landschaft errichteten Hofanlagen sind in sich geschlossen und durch eine kilometerlange, mit mächtigen Kastanien und schlanken Pyramidenpappeln bepflanzte Allee miteinander verbunden.
Mit großer Sicherheit konstatieren wir, dass die zwischen den beiden Gestüten verlaufende schnurgerade Allee ein über ihren reinen Zweck hinausragendes und erhabenes Konstrukt bildet. Im 18. Jahrhundert war die elegante Baumallee zunächst dreispurig angelegt worden. In deren Mitte verlief, sowohl für die gedeckten Kutschen als auch für die zwei- oder vierspännigen Kaleschen – den noblen französischen calèches – ein befestigter Sandweg. An den parallel verlaufenden Außenseiten der Allee liegen die mit Gras eingesäten und mit prächtigen Winterlinden gesäumten Reitwege.
Gut besuchte Hengstparaden
Zu den gut besuchten Hengstparaden, bei denen die versierten Jockeys die hohe Schule der Reit- und Fahrkunst präsentieren, bevölkern jedes Jahr im herbstlichen Monat September neben den trainierten Pferden auch Tausende Menschen das brandenburgische Gestüt an der Dosse, das in eine Stiftung umgewandelt wurde. Gleichwohl kann sich auch in der übrigen Zeit des Jahres das populäre Haupt- und Landgestüt im schönen Ruppiner Land nicht über steigende Besucherzahlen beklagen. Immer häufiger finden mit in komfortablen Reisebussen aus weit entfernen Regionen angereiste Touristen ihren Weg in das komplett erhaltene märkische Hauptgestüt. Ein geflügeltes Wort sagt, dass ‚die Geschichte Ironie liebt.’ Paradoxerweise hatte König Friedrich Wilhelm II., auf den die geniale Idee des preußischen Landgestüts zurückgeht, seine eigene Pferdedomäne jedoch niemals persönlich gesehen.
Link
www.neustaedter-gestuete.de/
Literatur
1&4Vgl. Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg, Bd. 1, Die Grafschaft Ruppin. Neustadt an der Dosse. Hg. von Christfried Coler, Berlin 1960. S. 219ff. Zu den Zahlenangaben, S. 223
2+3Zit. Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg, a.a.O. S. 221 & S. 222
5Vgl. Büttner; Horst, u.a.: Kunstdenkmäler von Berlin und Potsdam, Bildband IV, hg. vom Institut für Denkmalpflege, Berlin 1987. S. 110, Nr. 229, Text zum Hauptgestüt und zum Landstallmeisterhaus + schwarz-weiß Bildtafel 229