Nachdem wir das wiedererbaute Berliner Schloss mit dem Humboldt Forum besuchten, schauen wir den am Schlossplatz gelegenen Neuen Marstall an.
Unser Autor berichtet von der Errichtung des Gebäudes, von verschwundenen Wandbrunnen und von der Musikhochschule Hanns Eisler.
Der an der Wende zum 20. Jahrhundert im Stil des Neobarocks erbaute Neue, früher Königliche Marstall befindet sich am Schlossplatz 7, vis-à-vis vom Berliner Schloss, am Ufer der Spree und an der Rathausbrücke. Einstmals waren im Marstall mehrere hundert Pferde sowie Kaleschen und Schlitten des königlichen Hofs untergebracht. Der Neue Marstall wurde durch den von Kaiser Friedrich III. zum Hofarchitekten ernannten Ernst von Ihne unter Einbeziehung des Alten Marstallgebäudes und einer dem Schlossplatz zugewandten Häuserzeile an der Breiten Straße erbaut. Ernst von Ihne ist in Berlin kein Unbekannter. Er entwarf ebenfalls die Pläne für das Friedrich-Wilhelm-Museum, das heutige Bode-Museum, und die Staatsbibliothek Unter den Linden, auf die unser Autor in einem gesonderten Artikel eingehen wird.
Hofarchitekt Ernst von Ihne orientierte sich am klassischen Barock des 18. Jahrhunderts
Hofarchitekt von Ihne wurde im Vorfeld der Errichtung des Neuen Marstalls durch die im klassischen Barock entstandenen Bauten des Berliner Zeughauses und des Potsdamer Stadtschlosses durch den Hugenotten Jean de Bodt aus der Zeit um 1700 inspiriert. Folglich wurden die viergeschossigen sandsteinverkleideten Fassaden am Neuen Marstall in den strengen Formen des Neobarock ausgeführt. Die beiden unteren Geschosse an der dem Schlossplatz zugewandten Hauptfassade sind durch grobes raues Mauerwerk „rustiziert“. Hingegen wurden die beiden oberen Etagen durch 4×2 Kolossalsäulenpaare, sogenannte Kolossalpilaster, am Mittelrisalit zusammengefügt. Das Nomen Risalit stammt von dem italienischen Verb „saltare“ für springen. Es bedeutet demnach im Bereich der Architektur einen „vorspringenden“ Gebäudeteil.
Auf dem Dach über dem vierten Geschoss war ursprünglich ein dreieckiger Giebel mit einem Relieffeld angebracht, der aber nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr aufgebaut wurde. Ebenso sind der von dem ehemals bekannten Bildhauer und Maler Otto Lessing angefertigte Fassadenschmuck und die plastischen Figurengruppen heute leider nicht mehr erhalten.
Figuren der griechischen Mythologie schmückten zwei Wandbrunnen an der Hauptfassade
Zudem sind die einstmals in den beiden Seiten- beziehungsweise Eckrisaliten stehenden Wandbrunnen nicht mehr existent. Alte schwarz-weiß Aufnahmen verdeutlichen uns, dass der an der Ecke zur Breiten Straße befindliche rechte Wandbrunnen einem großen Heroen der griechischen Mythologie „Perseus“ und dessen Gemahlin, der schönen „Andromeda“, gewidmet war. Hingegen verkörperten einst die allegorischen Figuren des titanischen „Feuerbringers“ „Prometheus und die Okeaniden“ den plastischen Schmuck des linken an der Spreeseite stehenden Brunnens.
An die Stelle der beiden früheren Wandbrunnen ließ die damalige Regierung der DDR im Jahr 1988 zwei von dem Bildhauer und Medailleur Gerhard Rommel angefertigte Bronze-Reliefs anbringen. Sie dienen der Erinnerung an die Sozialisten Karl Marx und Karl Liebknecht.
Die Spreeseite des Neuen Marstalls
Die langgestreckte Spreeseite des Neuen Marstalls wurde ebenfalls mit einem vorspringenden Mittelrisalit erbaut. Glücklicherweise blieben an der Wasserfront der abschließende dreieckige Giebel mit seinem markanten Relieffeld und die seitlichen von Otto Lessing ausgeführten Rossebändigergruppen auf der das Gebäude bekrönenden Attika bis heute erhalten. Sie sind von der Spree aus gut zu sehen.
Der Neue Marstall nach den beiden Weltkriegen
Nach dem Ende des verlorenen Ersten Weltkriegs, am 11. November 1918, war im Neuen Marstall das Hauptquartier der Volksmarinedivision während der blutigen Novemberrevolution von 1918/19 untergebracht. An die verlustreichen Kämpfe der Volksmarinedivision erinnert noch immer eine kleine Gedenktafel, die am Eingangsflügel des Neuen Marstalls angebracht worden ist. Bereits zwei Jahre später, um 1920, wurden die ehemaligen königlichen Ställe zu großen Büchermagazinen für die in der Breiten Straße gelegene Stadtbibliothek Berlin umfunktioniert.
Mannigfache Zerstörungen erlitt der Neue Marstall im Verlauf des Zweiten Weltkriegs. Deshalb verwundert es nicht, dass nach dem letzten Krieg die Entscheidung fiel, den gesamten Gebäudekomplex in nur vereinfachter Form und ohne den plastischen Schmuck wieder aufzubauen, aber in Richtung der Breiten Straße hin zu verlängern. Wenngleich der Neue Marstall im Vergleich zu seiner ursprünglich konzipierten Bauform heutzutage ein wenig schlicht wirkt, ist seine Gesamterscheinung dennoch kolossal.
Der Neue Marstall als Ort der musikalischen Bildung
Bis zum Jahr 1989 besaß die Akademie der Künste der DDR einige eigene Ausstellungsräume im Neuen Marstall. Nach der Wiedervereinigung zogen die renommierte Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ mit der schicken Cafeteria „Neuer Marstall“, die seit dem Jahr 2005 als rechtsfähige Stiftung existierende Zentral- und Landesbibliothek Berlin sowie der bereits 1865 gegründete Verein für die Geschichte Berlins e.V. in die altehrwürdigen Räume des Neuen Marstalls ein. Aufgrund der bis zu 300 Sitzplätze fassenden drei Konzertsälen, darunter der „Krönungskutschensaal“, und den zahllosen Proberäumen mit ihrer hervorragenden Akustik bietet die international bekannte Hochschule für Musik ihren in- und ausländischen Studenten, auch mit der extra gegründeten Jazz-Fakultät, hervorragende Studienmöglichkeiten.
Hinweis
Adresse: Neuer Marstall, Schloßplatz 7, 10178 Berlin-Mitte
Anfahrt: Buslinien 100, 300 & N5. Haltestelle: Lustgarten. Entfernung zu Fuß 300 Meter
Cafeteria „Neuer Marstall“. Öffnungszeiten: Mo-Fr 8-14 Uhr, Sa-So geschlossen
Lesenswert
Sander, Oliver: Ernst von Ihne und seine Berliner Bauten, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz, Band 35, Berlin 1999