Es gibt Orte, von denen hat man schon oft gehört, dagewesen ist man aber noch nicht. Also höchste Zeit, dies einmal nachzuholen. Die Häuser des Bauhauses in Dessau, die zum UNESCO Weltkulturerbe zählen, gehören unbedingt dazu.
Zu meinem letzten Geburtstag bekam ich von meiner Freundin seit Kindertagen einen Gutschein für einen gemeinsamen Besuch des Bauhauses und der Meisterhäuser in Dessau geschenkt. Dazu eine Einladung zum Essen im Kornhaus am Elbedamm. Ich freute mich sehr auf diesen Ausflug und das großzügige Geschenk. Ist meine Freundin doch Architektin und kennt sich aus. Ich wiederum hatte im Leben immer wieder vom Bauhaus gehört. Auch in Stuttgart, wo ich lange zu Hause war, gibt es Bauhaus-Bauten, die Weissenhofsiedlung, aber am Ursprung dieser Künstlerkolonie war ich noch nie gewesen. Wir planten also diesen Ausflug im Oktober und ich muss sagen, diese Tagesreise war sehr interessant und hat eine Lücke in meinem Architektur- und Kunstverständnis geschlossen.
Wie alles anfing
Doch der Reihe nach. Das Bauhaus wurde 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründet. Er führte eine Reihe herausragender Künstler, Architekten und Gestalter zusammen mit dem Ziel, eine neue Verbindung von Handwerk, Kunst und Technik zu finden, einen neuen modernen Lebensstil zu gestalten. Dazu wollte er eine neue Art von Hochschule aufbauen, mit neuen Unterrichtsmethoden und disziplinübergreifendem Arbeiten und Forschen. Nach dem Ende des 1. Weltkrieges suchte man nach Befreiung und Neuanfang. Nach der überbordenden Architektur und verschnörkelten Inneneinrichtungen des 19. Jahrhunderts, dem Wildwuchs und dem Elend der Städte, den katastrophalen Erfahrungen des Krieges brauchte man etwas radikal anderes. Vom Elend der Mietskasernen, der schmutzigen Hinterhöfe und der Metropolen als Orten der Krankheit und des Chaos suchte man befreites Wohnen mit Licht, Luft und Sonne. Neue Vorstellungen von Klarheit, Sauberkeit, Hygiene und Struktur brachen sich Bahn. Eine neue Ordnung der Dinge des Alltags sollte das soziale Leben einfacher machen. Die Wohnungen bekamen alle praktische Küchen und ein Badezimmer. Räume und Ausstattungen wurden mit glatten, sauberen und harten Oberflächen aus künstlichem, industriell gefertigtem Material überzogen. Elektrische Beleuchtung brachte alles Verborgene und allen Schmutz ans Licht.
Im Jahr 1925 siedelte das Bauhaus aus politischen Gründen von Weimar nach Dessau um. Die Junkers-Werke, eine bekannte Flugzeugfabrik, bot die notwendige finanzielle Grundlage.
Hier gelang es den Bauhäuslern, ihre Ideen von Architektur, Möbeln oder Alltagsgegenständen in die Form und in die Tat umzusetzen. Ihr Ansatz, die gesamte Lebenswelt des Menschen auch mit Tanz, Musik und Kunst zusammenzuführen, beinhaltete auch eine neue Pädagogik und ein neues Grundverständnis von Körperlichkeit und Gemeinschaftssinn. Als einmaliger Ort der Avantgarde entstanden das heute weltweit berühmte Schulgebäude mit den Werkstätten, Kantine und Ateliergebäude sowie das Ensemble der Meisterhäuser. Hier lebten Ilse und Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe, Anni und Josef Albers, Lucia Moholy und László Moholy-Nagy, Oskar Schlemmer, Paul Klee, Wassily Kandinsky, Lyonel Feininger und viele andere Bauhäusler in einer Künstlergemeinschaft.
Das Bauhaus war eine Idee. Eine Revolution. Ein Scheitern und ein Erfolg. Das Bauhaus war eine Schule. Das Bauhaus war Weimar in Dessau, Berlin und die ganze Welt. Das Bauhaus war rot, blau und gelb. Das Bauhaus war vieles – nur nicht langweilig.
Doch nochmal der Reihe nach.
Das Bauhaus Gebäude und die Meisterhäuser
Das Bauhausgebäude ist DIE Ikone der Moderne. Walter Gropius‘ großer Wurf wirkt auch heute fast hundert Jahre nach der Entstehung zeitlos aktuell. An dem Schulgebäude von 1926 zeigen sich architektonisch die Leitgedanken des Bauhauses: Klarheit, Transparenz, Uneinheitlichkeit, Dynamik, Präsentationswille, Innovationswille, Gemeinschaftssinn, Multiperspektivität und Schönheit. Der Plan des Entwurfs war, alle notwendigen Funktionen einer Schule, Werkstätten, Unterrichtsräume, Präsentationsräume, soziale Treffpunkte, eine Bühne und mehr in einem Haus unterzubringen. Auch die Heterogenität des Bauhauses spiegelt sich im Dessauer Schulgebäude wieder. Es ist für den Betrachter unmöglich, das Haus von einem Standpunkt aus zu erfassen. Er muss es umkreisen und dabei sieht der Bau immer wieder anders aus.
Die kleine Siedlung der Bauhaus Meisterhäuser spiegelt neun Jahrzehnte deutscher Architektur und Zeitgeschichte wieder. Moderne, Veränderungen durch Kriegszerstörungen, Wiederentdeckung der Moderne, minutiöse Denkmalpflege und Aufnahme in die UNESCO Weltkulturerbeliste. Hier in Dessau kann man die Häuser von Gropius, Moholy-Nagy, Feininger, Muche, Schlemmer, Kandinsky und Klee besichtigen. Das ist hier einzigartig, dass Besucher die Häuser betreten können. Die Besichtigung der Häuser bieten einen lebendigen Eindruck der großzügigen Bauweise der frühen Moderne. Viel Licht und Platz geben die Häuser ihren Bewohnern. Zum Beispiel sind die Sanitär- und Wirtschafträume nach funktionalen und hygienischen Gesichtspunkten angelegt. Die Spülküche ist von der Arbeitsküche getrennt, die Toilette vom Bad, das Schlafzimmer hat meist drei Türen und einen Balkon.
Überlegen Sie doch einmal, wem Sie vielleicht einen Besuch in Dessau schenken können. Vielleicht mieten Sie sich auch zusammen einen Bus? Mein Tag in Dessau war jedenfalls ganz wunderbar. Einige Leerstellen und Lücken in meinem Verständnis für Architektur haben sich geschlossen.
In der Mitte unserer Tour waren wir im Kornhaus Mittagessen. Die Küche ist sehr gut und man sollte besser reservieren. Der Name der Ausflugsgaststätte stammt vom vormaligen Getreidespeicher an diesem Ort, der bereits im 19. Jahrhundert abgerissen wurde. Das Kornhaus ist ideal mit Blick auf die Elbe gelegen.
Ein bewusstes Erleben der Landschaft ist Bauen als Schicksalsbestimmung. Als Gestalter erfüllen wir das Geschick der Landschaft. (Hannes Meyer, 1929)