Unser Reisebus bringt uns nach Rathenow im Havelland.
Während der Fahrt berichtet unser Autor von Norddeutschlands größtem Barockdenkmal, von den Bildhauern Andreas Schlüter und dessen Schüler Glume, vom Großen Kurfürsten sowie der Schlacht von Fehrbellin.
Zum Schluss steht die Frage im Raum, wie es mit dem Erhalt des Sandsteindenkmals weiter gehen könnte?
Das mehr als 800 Jahre alte Rathenow an der Havel ist nicht nur seit über 200 Jahren als Wiege der optischen Industrie bekannt, sondern es besitzt auch mit dem auf dem Schleusenplatz befindlichen Kurfürstendenkmal für den brandenburgischen Souverän, den weit bekannten Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm, das größte barocke Sandsteindenkmal Norddeutschlands aus dem 18. Jahrhundert. Das beeindruckende Monument wurde zur Erinnerung an die siegreiche Schlacht des Großen Kurfürsten bei dem im Ländchen Bellin gelegenen Fehrbellin gegen die Schweden errichtet. Es zeigt den auf einem Postament stehenden Friedrich Wilhelm in der Uniform eines römischen Imperators, dem vier besiegte Sklaven am Sockel des Denkmals huldigen.
Intermezzo – wie es zur Schlacht bei Fehrbellin kam
Der in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts vor allem in Norddeutschland tobende Dreißigjährige Krieg hatte auch verheerende Folgen auf das kleine Havelstädtchen Rathenow und deren damals circa 3.000 Bürgern. Angeblich sollen von den 3.000 Rathenowern nur etwa 40 Personen (!) das blutige Gemetzel jener Tage überlebt haben. Allerdings müssen wir Obacht geben, weil jegliche in historischen Quellen überlieferten Zahlenangaben in allen Epochen immer mehr oder weniger ungenau bemessen sein können. Nach der Mitte des 17. Jahrhunderts waren die meisten Kriegsschäden im lieblichen Havelland beseitigt worden, sodass nun mutmaßlich 1.141 Bürger in Rathenow lebten und arbeiteten. Mitten in der friedlichen Zeit des Wiederaufbaus besetzten aber im Jahre 1675 erneut schwedische Truppen unter dem vehementen Befehl des Feldmarschalls Carl Gustav Wrangel als treue Verbündete des französischen Monarchen Ludwig XIV., des Sonnenkönigs, im Streit mit dem Habsburger Kaiser Leopold I. die märkischen Städte Havelberg, Brandenburg und Rathenow. Friedrich Wilhelm eilte daraufhin mit seinem Kurfürstlichen Leibregiment und den brandenburgischen Kürassieren in die Gegend um die kleine Havelstadt, um sich den bislang unbesiegten Schweden tapfer entgegenzustellen. Am 15. Juni 1675 wurden in einem cleveren Überraschungsangriff die in Rathenow weilenden schwedischen Soldaten von den kurmärkischen Regimentern Friedrich Wilhelms verjagt. Drei Tage später, am 18. Juni, besiegelte die berühmte Schlacht bei Fehrbellin die demütigende Niederlage der schwedischen Dragoner und deren Trossknechte endgültig. Nach der Vertreibung der desavouierten Truppen des Feldmarschalls Wrangel ließ der brandenburgische Landesherr ein preußisches Infanterieregiment in Rathenow zurück. Der zukünftige Standort des barocken Kurfürstendenkmals auf dem Rathenower Schleusenplatz wurde einstmals von dem dort stationierten Militär zuvor als Exerzier- und Paradeplatz genutzt.
Barocke, im 18. Jahrhundert erbaute Bürgerhäuser und die Stadtschleuse mit ihrem im neogotischen Stil erbauten Schleusenwärterhäuschen unweit des imposanten Sandsteindenkmals begrenzen heute den Platz am Alten Hafen.
Der älteste Enkel des Großen Kurfürsten erteilte den Auftrag zur Errichtung des Denkmals
Der älteste Enkel des Großen Kurfürsten aus dem Hause Hohenzollern war der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. Er wird uns als ein Mann von echtem Schrot und Korn, als ein auf alles Praktische, auf das Sparen und Plusmachen fokussierter Herrscher charakterisiert, dessen größte Freude seine in Wusterhausen, später in Potsdam kasernierten über sechs Fuss, 188 cm, Langen Kerls vom Großen Leibbataillon Grenadier waren. Andererseits ließ dieser schnörkellose preußische Souverän vier Jahre vor seinem Tode, 1740, ein opulent gestaltetes Denkmal zur Erinnerung an seinen legendären Großvater Friedrich Wilhelm errichten. Das auf dem Rathenower Schleusenplatz befindliche, mit detaillierten Reliefs und honorablen Inschriften versehene Kurfürstendenkmal wurde in der ausladenden Manier des Barocks gestaltet. Das Monument ist ein Werk des talentierten Schlüter Schülers, des damals populären Bildhauers Johann Georg Glume, der dafür einen Entwurf seines in der nordfranzösischen Grafschaft Artois geborenen Zeitgenossen Bartholomé Damart verwandt hat. Barockbildhauer Glume ist aufmerksamen Lesern des Buskompass-Magazins bereits geläufig, weil jener auch das Grabmal für Georg Dietloff von Arnim-Boitzenburg in der uckermärkischen Kirche Sankt Marien auf dem Berge geschaffen hat. Mit der Signatur Joh. Ge. Glume fecit 1736, Johann Georg Glume hat es [das Denkmal] 1736 gemacht, verewigte sich der routinierte Skulpteur persönlich als Schöpfer des Rathenower Kurfürstendenkmals.
Friedrich Wilhelm der Große steht hier auf Seinem Sieges-Platze
Das von einem flachen Gitter eingezäunte Denkmal stellt den mit einem Lorbeerkranz geschmückten Kurfürsten dar, der in der imperialen Pose eines römischen Imperators vor uns steht. Mit seiner rechten Hand präsentiert Friedrich Wilhelm den Feldherrnstab, seine linke ist in der Höhe des Schwertes in die Hüfte gestemmt. Der über dem antiken Harnisch geworfene Kurmantel und der mit Federn geschmückte Helm weisen Friedrich Wilhelm als einen schwerwiegenden Feldherren fürstlicher Provenienz aus.
Unter dem Kurhut befindet sich das vergoldete Monogramm FWC, Friedrich Wilhelm Churfürst, um das er das Band des ihm verliehenen englischen Hosenbandordens, Order of the Garter, gelegt hat. Die Hauptinschrift weist folgenden Wortlaut auf: FRIEDRICH WILHELM der Große, […], steht hier auf Seinem Sieges-Platze. In dem Auchenblicke, da sie [die Feinde] Ihn sahen, wurden sie geschreckt, getroffen und geschlagen. Sein Heldenbild zeigt dieser Stein, Seinen Geist sucht in Seinem Ihm ähnlichen Enkel. Wenngleich sich dessen ältester männlicher Enkel, König Friedrich Wilhelm I., als generöser Stifter des imponierenden Kurfürstendenkmals nicht namentlich zu erkennen gab, verdeutlicht die lobpreisende Dedikation am Denkmal jedoch, dass jener seinem legendären Großvater nacheiferte, dem er sich wesensverwandt fühlte.
Vier Inschriften des Kurfürstendenkmals geben beredte Auskunft
Neben den vier figurenreichen Reliefs schmücken ebenso viele Inschriften den Sockel des grandiosen Monuments, die von den ruhmreichen Siegen des Großen Kurfürsten künden. Die vier Inschriften berichten von der brutalen Gewalt der Schweden und davon, dass der tapfere Friedrich Wilhelm sie unter seine Füße getreten hat. Ebenfalls wird darauf hingewiesen, dass der preußische Souverän seine von König Ludwig XIV., le Roi-Soleil, aus dem mehrheitlich katholischen Frankreich verjagten Glaubensgenossen, die calvinistischen Hugenotten, in seine märkischen Städte führte. Er vermehrte seine Länder mit neuen Provinzen und diese mit neuen Unterthanen. An einer anderen Stelle der noch heute gut lesbaren Honneurs erfahren wir, dass der brandenburgische Kurfürst die Ehre seiner Ahnen und ein Vorbild Seiner Nachfolger ist. Zudem erinnert das augenfällige Denkmal an die Vertreibung der Schweden durch kurbrandenburgische Soldaten aus Rathenow im Jahre 1675 drei Tage vor der Schlacht bei Fehrbellin. Zum ersten Mal war es dem talentierten Brandenburger Kurfürsten gelungen, einen fulminanten Sieg über die angesehenste Militärmacht jener Zeit, die Schweden, zu erringen. Erstmalig in seiner leidgeprüften Geschichte konnte Brandenburg-Preußen als ein autonom handelnder Akteur im gnadenlosen Konkurrenzkampf der europäischen Staaten bestehen, indem es sich gegen die stärkste Militärmaschinerie jener Tage selbstständig behauptet hatte. Damit war der zukünftige Weg zur Entwicklung des brandenburg-preußischen Staats als eine neue, fünfte Macht im Konzert der bisherigen vier europäischen Großmächte – Frankreich, England, Österreich und Russland – frei.
Andreas Schlüters Berliner Reiterstandbild für den Großen Kurfürsten stand Pate
Die figürliche Konzeption des auf dem Rathenower Schleusenplatz stehenden Kurfürstendenkmals erinnert uns an das populäre Reiterstandbild des Großen Kurfürsten, das der geniale Bildhauer und Architekt des Berliner Zeughauses, Andreas Schlüter, geschaffen hat. Meister Schlüters Reiterstandbild stand ursprünglich auf der Langen Brücke, der heutigen Rathausbrücke, in Sichtweite des preußischen Stadtschlosses am Ufer der Spree. Heute schmückt es den Cour d’honneur, den Ehrenhof des Schlosses Charlottenburg. Eine beeindruckende Kopie des Reitermonuments von Andreas Schlüter befindet sich in der Großen Kuppelhalle des auf der Berliner Museumsinsel stehenden Bode-Museums.
Beiden Kurfürstendenkmälern, sowohl dem Charlottenburger als auch dem Rathenower, sind die vier angeketteten Sklaven am Sockel der jeweiligen Monumente gemeinsam. Sie symbolisieren die Brandenburger Siege über ihre Feinde. Flehentlich kehren die düpierten Vasallen ihre schmerzerfüllten und trauernden Gesichter in die Richtung auf ihren übermächtigen Bezwinger.
Auf der zweiten darüber liegenden Ebene berichten uns am Rathenower Ehrenmal vier von Fahnen, Rüstungen und Wappenkartuschen flankierte Reliefs von den militärischen Siegen des Großen Kurfürsten im Jahr 1675. Geschildert werden en détail das Massaker in Rathenow, die Schlacht bei Fehrbellin, die Eroberung der Festung Stralsund und die Bataille bei Warschau.
In allen vier historischen Situationen eilt der rettende Große Kurfürst zur Hilfe. Friedrich Wilhelm tritt entweder als unerschrockener Reiter mitten im dichten Schlachtengetümmel auf oder er ist bei der souveränen Entgegennahme der Schlüssel einer eroberten Stadt zur Stelle.
Das Rathenower Sandsteindenkmal bleibt leider ein permanenter Pflegefall
Bedauerlicherweise ist das von Bildhauer Glume aus weichem Sandstein angefertigte und deshalb für schädliche Umwelteinflüsse wie giftige Autoabgase, Schnee und Frost anfällige Kurfürstendenkmal heute ein permanenter Pflegefall. Es ist nun bereits über 20 Jahren her, dass das bedeutendste norddeutsche Barockmonument zum letzten Mal von den unerwünschten Ablagerungen befreit und aufwendig restauriert wurde. Leider weisen sachkundige Inspektion darauf hin, dass die Rathenower Honoratioren dringend Geld in die Hand nehmen sollten, um die neuen denkmalpflegerischen Aufgaben am eindrucksvollen Kurfürstendenkmal dringend in Angriff zu nehmen. Nicht nur die meisten Einwohner Rathenows, sondern auch die angereisten Touristen wünschen sich, dass dieses bedeutungsvolle Barockdenkmal Norddeutschlands noch lange Zeit für die zukünftige Nachwelt in seinem ursprünglichen Glanz erhalten bleiben möge.
Nach der interessanten Besichtigung des gloriosen Kurfürstendenkmals und des neogotischen Schleusenwärterhäuschens können wir in der am Alten Hafen gelegenen Gaststätte Kurfürsteneck am Schleusenplatz 2 ein wohlverdientes Menü und einige Getränke zu uns nehmen.
Hinweis
Standort: Kurfürstendenkmal, Schleusenplatz, . Ganztägig & barrierefrei erreichbar
Gaststätte Kurfürsteneck, Schleusenplatz 2, 14712 Rathenow. Sonntag & Montag geschlossen
Lesenswert
Beuys, Barbara: Der große Kurfürst. Der Mann, der Preußen schuf. Reinbek bei Hamburg 1979