Wo gibt es in Berlin einen Konzertsaal mit freundschaftlich-menschlicher Inspiration, traumhaft schwebendem Raumgefühl und einer phantastischen Akustik?
Wo gibt es eine der ungewöhnlichsten Musikinstitutionen in Berlin?
Durch einen Zufall kamen sie 1992 zusammen. Der weltbekannte Pianist und Dirigent Daniel Barenboim und der palästinensische Literaturwissenschaftler Edward W. Said lernten sich in einer Londoner Hotelhalle kennen. Sieben Jahre später, 1999 gründeten sie das weltweit einzigartige Projekt für Frieden und Verständigung, das West-Eastern Divan Orchestra. Die Freunde wollten unbedingt einen Dialog zwischen den Kulturen des Nahen Ostens in Gang zu bringen. Aber mit ungewöhnlichen Mitteln, denn der Klangkörper vereint junge Musiker aus gegnerischen, verfeindeten Staaten. Das Orchester, dessen Musiker aus Israel, Palästina und anderen arabischen Ländern stammen, gab sein erstes Konzert 1999 in Weimar – in dem Jahr, als Weimar Kulturhauptstadt Europas war – und ist seitdem in der ganzen Welt aufgetreten. In Berlin auch jährlich mit einem großen Sommerkonzert in der Waldbühne. Dies ist stets ausverkauft und ein Volksfest. Es lohnt sich, dafür rechtzeitig Karten zu besorgen. Die Stimmung mitten im Grunewald im Hochsommer bei Sonnenuntergang mit diesem Orchester ist einzigartig.
Freundschaft zwischen Menschen eröffnet neue Perspektiven
Doch zurück nach Berlin-Mitte. Barenboim und Said schrieben 2002 ein gemeinsames Buch Parallelen und Paradoxien, das ihre Gespräche über Musik und Gesellschaft dokumentiert. Der kanadisch-amerikanische Star Architekt Frank Gehry kam dazu und begeisterte sich sofort für den Gedanken des Divan-Orchestras. Nur dank der menschlichen und freundschaftlichen Verbindungen entstand schließlich der Pierre Boulez Saal. Der Saal hat seine eigene Persönlichkeit, so sagt Barenboim. Ganz bestimmt wurden viele Arbeitsstunden durch freundschaftliches Geben und Nehmen ermöglicht. Denn die Kosten explodierten wie bei jedem Neubau. Man wollte einen neuen Ort für Musik in der Welt und für Berlin schaffen. Neuen Ideen Platz geben. Gehry und der Komponist und Dirigent Pierre Boulez kannten sich bereits seit 1980 aus Los Angeles. Pierre Boulez war nicht allein Komponist und berühmter Dirigent, sondern ein wirklicher Visionär und Vordenker. Er holte Komponisten der Neuen Musik ins Repertoire der klassischen Orchester und tat viel für die Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich. Deshalb hat Barenboim den neuen Konzertsaal in Berlin nach ihm benannt und dies Boulez noch kurz vor dessen Tod erzählt. Beide Musiker hatten sich 1980 kennengelernt, als Barenboim die Uraufführung der Notations von Boulez mit dem Orchestre de Paris dirigierte. Ihre Verbindung blieb bestehen.
2012 wurde die Barenboim-Said-Akademie gegründet, die grenzüberschreitende Kommunikation in den Mittelpunkt stellte und junge Musiker aus dem Nahen Osten und Nordafrika zusammenbrachte und unterstützte.
Mit der Sanierung der Staatsoper Unter den Linden, deren künstlerischer Direktor Daniel Barenboim ist, konnte im ehemaligen Kulissen-Depot der Staatsoper ein neues Zuhause und ein Konzertsaal für die Barenboim-Said-Akademie im Pierre Boulez Saal gefunden werden.
Während das Äußere des Bauwerks erhalten bleiben musste, da es unter Denkmalschutz steht, wurde im Inneren durch den Frank Gehry und das Büro HG Merz GmbH ein völlig neuer und einzigartiger Raum geschaffen. Man kann sagen: Dieser Saal ist auch ein Loblied auf die Freundschaft!
Ein Ort für Musik und Gedankenaustausch
Im Herzen der Hauptstadt, da, wo Berlin am preußischsten ist – direkt neben der Humboldt-Universität, dem Auswärtigen Amt und dem Humboldt-Forum – konnten ab Herbst 2016 junge Musiker überwiegend aus dem Nahen Osten und den Ländern Nordafrikas ihr Studium an der Barenboim-Said-Akademie beginnen. Der Pierre Boulez Saal wurde im März 2017 mit einem Konzert des neugegründeten Boulez-Ensembles unter Leitung von Daniel Barenboim eröffnet. Seither steht er allen Besuchern offen. Jährlich finden hier 150 Veranstaltungen statt. Jeden Tag treffen hier Musik, Geschichte, Wissenschaft, Erfindergeist aufeinander. Dies zeigt sich – wenn nicht gerade eine Pandemie besteht – auch kulinarisch. Zu den Vorstellungen gibt es jeweils eine Bar mit köstlichen Kleinigkeiten der orientalischen Küche und Weinen aus aller Welt. Mittags wird ein preiswerter Mittagstisch angeboten. Wie gesagt: hoffentlich im nächsten Sommer wieder!
Der Pierre Boulez Saal fasst bis zu 682 Zuschauer und wird je nach Anlass, Konzert, Besetzung neu ausgerichtet. Die Hubpodien im Zentrum sind flexibel einsetzbar. Die Bühne ist in der Mitte, also eine ovale Arenabühne und von jedem Platz im Raum eröffnet sich ein anderes Klang- und Sichterlebnis. Perspektiven wechseln und stellen Vielfalt dar. Der Klang ist durch viele Feinheiten und die spezielle Holzvertäfelung einzigartig präsent und klar. Dem japanischen Akustiker Yasuhisa Toyota ist dies zu verdanken. Das Publikum sitzt nah an den Musikern, kann spüren, genau sehen und hören, was passiert. Ein Freund von mir sagte neulich nach einem gemeinsamen Konzertbesuch: Ich war sehr überrascht. Seltsam funktionell, halb Zirkus, halb Kampfarena mit gediegenen Wänden.
Der Pierre Boulez Saal ist barrierefrei zugänglich.