Nachdem wir uns das von dem Architekten Kurt Berndt erbaute Französische Palais angesehen und im benachbarten Café Einstein regeneriert haben, betrachten wir ein weiteres von dem umtriebigen Berliner Bauunternehmer errichtetes Bürogebäude am Linden-Boulevard.
Im eindrucksvollen Zollernhof aus der Wilhelminischen Epoche hat das Zweite Deutsche Fernsehen sein technisch hochmodernes Hauptstadtstudio eingerichtet.
In einer zeitgenössischen Berliner Publikation vom Beginn des 20. Jahrhunderts lesen wir, dass es nur von großem Vorteil sein kann, am quirligen Linden-Boulevard in bester Verkehrs- und Geschäftslage ein repräsentatives Geschäftshaus sowohl für große Firmen, Gesellschaften und Klubs als auch für Vertreter, Rechtsanwälte und andere Einzelpersonen zu haben. Da sich jene lobpreisende Publikation an viele unterschiedliche Mieter richtete, wählten die beiden populären Architekten des wilhelminischen Geschäftshauses Zollernhof eine neutrale und zweckmäßige Bauform für das imposante Gebäude aus.
Die Architekten Berndt und Paul errichteten das Bureauhaus Zollernhof am Linden-Boulevard
Das Unter den Linden 36-38 gelegene und heute unter Denkmalschutz stehende Bureauhaus Zollernhof wurde im Jahr 1910-11 von dem umtriebigen Berliner Bauunternehmer und Architekten Kurt Berndt im Gesamtentwurf errichtet, der zugleich der versierte Konstrukteur der Hackeschen Höfe und des Französischen Palais am benachbarten Linden-Boulevard 40 war. Für die einzelne Gestaltung der neo-klassizistischen Fassade, des gediegenen Vestibüls und des breiten Haupttreppenhauses zeichnete indessen der routinierte Architekt Bruno Paul verantwortlich.
Architektur des Zollernhofs am Linden-Boulevard
Der Zollernhof ist ein fünfstöckiger Stahlskelettbau mit zwei rückwärtigen, sich bis zur Mittelstraße hin erstreckenden Seitenflügeln. Die mittels Natursteinplatten verkleidete blockartige Fassade fasst jeweils ein großes Schaufenster im Erdgeschoss und je ein kleineres Fensterpaar in den drei Obergeschossen durch senkrecht angeordnete Rahmung zusammen. Darüber befindet sich die 5. Etage, das sogenannte Attikageschoss. An der Mitte der Attika wurden fünf Plastiken angebracht, zu denen der geflügelte Götterbote Merkur, der Patron der Kaufleute, der Reisenden und des Warenverkehrs, aber auch der Diebe gehört. Generell symbolisierten die beeindruckenden antiken Götterfiguren auf dem Hauptgesims und der Bauschmuck über der Erdgeschosszone die blühende Wirtschaft im Wilhelminischen Kaiserreich. Zudem zeigte das Gebäude die Tugenden eines voll entwickelten Kontorhauses – funktional, flexibel und repräsentativ in seinem Inneren, Stabilität, Ebenmäßigkeit und ein schlichtes Dekor nach außen. Insgesamt weist das zurückhaltende Dekor auf den einfachen und klar gegliederten Zopfstil hin. Unter dem architektonischen Terminus Zopfstil verstehen wir die kurze Übergangsphase vom Rokoko zum Frühklassizismus, der von den damals wieder entdeckten antiken Idealen gekennzeichnet war. Zusammen mit den aufwendig gestalteten benachbarten Geschäftshäusern bildete der kolossale Zollernhof das letzte in großer Vollständigkeit erhaltene Quartier kaiserzeitlicher Geschäftshäuser in der mondänen Prachtstraße Unter den Linden.
Der Zollernhof nach dem Zweiten Weltkrieg zu Zeiten der DDR
Wenngleich der imponierende Zollernhof im zweiten Weltkrieg einige schwerere Beschädigungen erlitt, konnte das erhaltenswerte Geschäftsgebäude sofort in den späten 1940er Jahren wiederaufgebaut werden. Allerdings wurde im Verlauf der zügig durchgeführten Rekonstruktionsarbeiten das einstmals von dem bekannten Innenarchitekten Henry Gross für mehrere Hundert Gäste eingerichtete Restaurant Zollernhof mit seinem prächtigen Interieur nicht wieder hergestellt. Ebenso sind die von Bruno Paul entworfenen öffentlichen Bereiche des Gebäudes wie das große Vestibül und das ausladende Treppenhaus durch vielfältige Innenumbauten stark verändert worden.
Zwischen den Jahren von 1949 bis 1990 befanden sich im wieder eröffneten Zollernhof der Sitz des Zentralrats der Freien Deutschen Jugend, die FDJ-Bezirksleitung Berlin und das Komitee für Touristik, Sport, Camping und Wandern der DDR sowie ein Ausrüstungsgeschäft für Pionier- und FDJ-Uniformen.
Das ZDF Hauptstadtstudio lässt sich im Berliner Zollernhof nieder
Von dem Jahr 1997 bis 1999 ließ das Zweite Deutsche Fernsehen, das ZDF, den zentral gelegenen Zollernhof zum zeitgemäßen Hauptstadtstudio mit angeschlossenen Produktionsräumen und diversen Büros tiefgreifend umbauen und sanieren. Nach dem älteren Sendezentrum im rheinland-pfälzischen Stadtteil Mainz-Lerchenberg ist das neue Hauptstadtstudio im Zollernhof das zweitgrößte Studio des Zweiten Deutschen Fernsehens, das am 03. Februar 2000 von Berlin aus auf Sendung ging. Im wöchentlichen Wechsel mit der ARD wird aus dem Hauptstadtstudio im Zollernhof das ZDF Morgenmagazin gesendet. Darüber hinaus werden im Berliner Studio die Sendeformate Aspekte, Berlin direkt, Frontal 21 und Maybrit Illner live produziert. Nur zu jenen Anlässen ist es einigen ausgewählten Gästen möglich, einmal das geschäftige Innere des umgebauten Zollernhofs näher zu besichtigen. Bedauerlicherweise sind nach dem größeren Umbau zum Studiogebäude des Zweiten Deutschen Fernsehens lediglich die imposante Fassade mit ihren charakteristischen Plastiken auf der Attika und einige kleine Teile des Vorderhauses aus der Wilhelminischen Epoche vom Anfang des 20. Jahrhunderts am beeindruckenden Zollernhof erhalten geblieben. Jedenfalls die Kinder dürften sich freuen, dass die beliebten Maskottchen vom ZDF, die farbenfrohen Mainzelmännchen, jetzt auch im hauptstädtischen Spree-Athen ihre lustigen Streiche verüben.
Hinweis
ZDF-Hauptstadtstudio im Zollernhof, Unter den Linden 36-38, 10117 Berlin-Mitte
Telefon: 030 2 09 90
Anfahrt: Buslinien 100, 147, 300, N5 & N6, Haltestelle: Unter den Linden
U-Bahnlinien: U5 & U6
Lesenswert
Hoffmann, H.W. & F. Bolk: Zollernhof. ZDF Hauptstadtstudio & VEBA Unter den Linden. Berlin 2000