Das Unter den Linden neben dem Bebelplatz gelegene Alte Palais ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln einfach zu erreichen. Am Bebelplatz befindet sich eine Haltestelle der Buslinie 100, an der wir aussteigen, um das im klassizistischen Stil erbaute Gebäude anzuschauen. Weil es von der Humboldt-Universität genutzt wird, geben wir uns mit seinem äußeren Anblick zufrieden.
Das sich in exquisiter Lage am Linden-Boulevard 9, an der Ecke des früheren Opern- und heutigen Bebelplatzes befindliche Alte Palais ist untrennbar mit dem preußischen Prinzen und späteren ersten Deutschen Kaiser Wilhelm I. verbunden. Seit 1829 war es für 59 Jahre im Besitz des Prinzen Wilhelm, des zweiten Sohnes der märchenhaften Königin Luise von Preußen.
Carl Ferdinand Langhans erbaut Prinz Wilhelm ein Stadtpalais – das Alte Palais
Prinz Wilhelm hatte für sich, nach den Plänen von Carl Ferdinand Langhans dem Jüngeren, an der Stelle eines bereits seit dem 17. Jahrhundert existierenden Palais der Markgrafen von Schwedt, ein Stadtpalais im strengen klassischen Stil erbauen lassen. Langhans fügte an das auch als Kaiser-Wilhelm-Palais bezeichnete Gebäude ausgedehnte rückwärtige Trakte bis hin zur Behrenstrasse an.
Architektur des Alten Palais
Das Alte Palais ist ein zweigeschossiger Bau, der an der Ecke zum Bebelplatz im rechten Winkel an die barocke Alte Bibliothek angrenzt, die die Berliner aufgrund ihrer geschwungenen Bauform augenzwinkernd als „Kommode“ bezeichnen. Die in nüchternen klassizistischen Formen erbaute Fassade des Alten Palais hat 13 Fenster, die sowohl mit Dreiecksgiebeln versehen sind, als auch von Halbsäulen, sogenannten Pilastern, eingerahmt werden. Über den Fenstern des Hauptgeschosses der zweiten Etage besitzt das Stadtpalais Wilhelms I. noch ein weiteres Halbgeschoss, das in der Fachsprache der Architekten als Mezzanin bezeichnet wird. Das Mezzaningeschoss ist mit allegorischen, aus hellen Terrakotta gefertigten Statuen, Putten und Wappenschildern geschmückt. Auf dem Dach des Palais befindet sich an der jeweiligen zum Linden-Boulevard zugewandten Eckseite des Gebäudes ein preußischer Adler, der seine weiten Schwingen in den Berliner Himmel ausbreitet. Zudem ist in der Mitte der Hauptfassade direkt über der Auffahrtsrampe ein offener Balkon, der von vier dorischen Säulen getragen wird. Das gusseiserne Geländer der Rampe weist mehrarmige Kandelaber auf.
Die begrünte Pergola am Alten Palais
Vor dem auf den Bebelplatz hin ausgerichteten und im Erdgeschoss des Alten Palais liegenden Arbeitszimmer Wilhelms I. befand sich eine berankte Pergola, die während des Zweiten Weltkriegs durch alliierte Brandbomben zerstört worden war. Erst im ersten Jahrzehnt des neuen Millenniums wurde sie unter der sachkundigen Aufsicht der Stiftung Denkmalschutz rekonstruiert. Anhand der Auswertung von historischen Bildern und Bauplänen sowie der noch im Erdboden vorhandenen Fundamente des Originalbauwerks konnte deren Bausubstanz weitgehend wieder benutzt werden.
Glücklicherweise war es den geschulten Handwerkern der Denkmalpflege somit möglich, die Pergola nach dem historischen Reglement zu restaurieren, so dass sich deren Besucher heute erneut an ihrem im Sommer begrünten Anblick erfreuen können.
Das Alte Palais als Wohn- und Amtssitz Wilhelms I.
König Wilhelm I., der 1871 im legendären Spiegelsaal, Galerie des Glaces, von Versailles zum Deutschen Kaiser gekrönt worden war, lebte und regierte 59 Jahre in den langen Wintermonaten im Alten Palais, das er zu seinem Wohn- und Amtssitz ausgewählt hatte. Es verwundert uns somit nicht, dass es sich in jenen Jahrzehnten auch zu einem bedeutenden Forum des politischen Lebens entwickelt hat. Wilhelm zur Seite stand seine musische Gemahlin Augusta, eine geborene Prinzessin von Sachsen-Weimar-Eisenach, die in den prachtvollen Festsälen namhafte Künstler und Akademiemitglieder in wechselnden Gesellschaften bei Soireen um sich versammelte.
Der alte Kaiser verfolgt vom „historischen Eckfenster“ aus den Großen Wachaufzug
Außerdem entwickelte sich das Alte Palais in der Epoche der Gründerzeit zu einem stadtbekannten Berliner Publikumsmagneten. Jeden Tag zur Mittagszeit erschien Wilhelm pünktlich am sogenannten „historischen Eckfenster“ seines im Erdgeschoss befindlichen Arbeitszimmers, um den Großen Wachaufzug des traditionsreichen Garde-Grenadier-Regiments Nr. 1 an der unweit entfernt gelegenen Neuen Wache mit zu verfolgen. Interessanterweise wurde dieses kontinuierlich auftretende Geschehnis auch in vielen Reiseführern erwähnt, so dass es zahllose Schaulustige anlockte. Es ist überliefert, dass Wilhelm sogar eine wichtige Unterredung unterbrochen hat, um seiner gewohnten Beobachtung des militärischen Ehrenrituals nachkommen zu können. Dabei soll er zu seinen anwesenden Besuchern gesagt haben: „Meine Herren, die Wache kommt, da muss ich ans Fenster! Die Leute warten auf meinen Gruß – so steht’s im Baedeker!“ Jedes Mal, wenn der populäre Kaiser am Eckfenster erschien, brandete unten auf dem damaligen Opern-, dem heutigen Bebelplatz, frenetischer Jubel auf. Die freudige Atmosphäre, die dabei herrschte, dürfte in etwa der vergleichbar sein, wenn sich der Heilige Vater am Sonntagmittag zum traditionellen Angelus-Gebet am Fenster seiner päpstlichen Gemächer im Apostolischen Palast der jubelnden Menschenmenge auf dem weiten Petersplatz zeigt. Sogar der im märkischen Neuruppin geborene Romancier und Historiograf Theodor Fontane stand im zwanghaften Bann jener kaiserlichen Augenkontakte, wobei er fabulierte:
„Am Fenster steht er, grüßt uns freundlich mild,
Und jeden triffts’s, als träf‘ ihn Heil und Segen.“
Nach dem Tod Wilhelms I. wird das Alte Palais ein Museum
Nach kurzer Krankheit verstarb Wilhelm I., der für viele öffentlich anteilnehmende Berliner Bürger das alte Preußen repräsentierte, am 9. März 1888 in seinem hochgeschätzten Alten Palais.
Nach seinem Tod wurde beschlossen, das „historische Eckfenster“ für immer mit schwarzem Stoff zu verhängen. Nachdem auch Kaiserin Augusta gestorben war, entschied die neue Regierung, dass die von Wilhelm I. genutzten Zimmer in eine würdige Gedenkstätte umgewandelt und dem breiten Publikum zugänglich gemacht werden sollen. Im Laufe der kommenden Jahre setzte sich anstelle des Namens Kaiser-Wilhelm-Palais allmählich die Bezeichnung Altes Palais durch.
Zerstörung und Wiederaufbau des Alten Palais
Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs erlitt das Alte Palais infolge eines alliierten Bombardements eine weitgehende Zerstörung, so dass dessen kostbare Innenräume vollständig ausbrannten. Glücklicherweise blieben jedoch große Teile der äußeren Wände samt dessen charakteristischem Fassadenschmuck erhalten. Infolgedessen konnte Architekt Fritz Meinhardt das Palais zusammen mit der benachbarten Alten Bibliothek am Bebelplatz in der Mitte der 1960er Jahre wieder aufbauen. Sachkundig sanierte Meinhardt die klassizistische Fassade in der original getreuen Bauform des 19. Jahrhunderts. Allerdings veränderte er sowohl den Grundriss als auch einige der Raumhöhen des bis auf die tragenden Wände entkernten Gebäudes. Hingegen wurden die ursprünglich bis zur Behrenstraße reichenden rückwärtigen Trakte des Alten Palais nicht wieder aufgebaut. Das durch die renommierte Stiftung Denkmalschutz Berlin sanierte Palais wird heute von der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität als Institutsgebäude genutzt. Zum gelungenen Abschluss können wir konstatieren, dass die noble Schlichtheit seiner streng klassizistischen Fassade das Alte Palais zu einem der beeindruckendsten Palaisbauten der Schinkelzeit macht, an dem sich nicht nur die Berliner, sondern auch deren Gäste immer wieder erfreuen können.
Hinweis
Am benachbarten Bebelplatz und in dessen Nähe halten die Busse der BVG 100, 200, N2, N6, TXL & 147. Das Alte Palais ist für den Publikumsverkehr geschlossen.
Lesenswert
Engel, Helmut: Das Haus des Deutschen Kaisers – Das „Alte Palais“ Unter den Linden. Berlin 2004