In diesem Sommer waren nach zwei Jahren Corona-Pause endlich wieder Freilichttheater Aufführungen möglich. So auch in Kiel auf dem Rathausplatz. Entsprechend beliebt war die Inszenierung. Die Vorstellungen waren ausverkauft.
Sich draußen mit Freunden treffen. Und dabei unverhofft andere Leute sehen, die man kennt, aber eben lange nicht gesehen hat. An warmen, langen Sommerabenden mit einem Glas Rosé in der Hand der Musik lauschen. Klingt gut, oder? Eigentlich hatte man fast vergessen, wie das ist, in den Jahren 2020 und 2021. Würde der unkontrollierte Aufenthalt in einer Menschenmenge je wieder möglich sein? Ich hoffte es. Anders mochte ich mir die Welt nicht vorstellen. Ich bekam recht. In diesem Sommer fanden überall wieder Freilichtaufführungen statt.
Endlich wieder Freilicht
Der Kieler Rathaus Platz hat etwas Besonderes: einen Campanile, einen Turm wie auf dem Markusplatz in Venedig. Der Kieler wurde ziemlich exakt dem von Venedig nachgebaut, 1907 bis 1911 und er ist 7 Meter höher. Dies allein ist einen Besuch auf dem schönen Platz mitten in Kiel wert.
Die diesjährige Premiere des Sommertheaters Kiel mit der Oper Carmen von George Bizet auf dem Kieler Rathausplatz wurde zudem von Videokameras an elf weitere Standorte in der Stadt übertragen, sodass rund 18 000 Zuschauer per Livestream auf verschiedenen Straßen und Plätzen der Hansestadt dabei sein konnten. Eine Oper eroberte die Stadt, so kann man sagen.
Vor der Kulisse des Rathausplatzes entstand per Bühnenaufbau und Bild eine Stierkampfarena. In lauen Sommernächten konnte man sich durch Bizets mitreißende Musik der Illusion hingeben, mittendrin in Spanien zu sein und eine spannende Story zu erleben. Diese Geschichte von Carmen und Liebe und Eifersucht ist nach 150 Jahren noch aktuell. Sie ist zeitlos. Dafür sorgte auch die Regie des Kieler Generalintendanten Daniel Karasek.
Carmen, eine zeitlose Geschichte
In Kiel konnte ich an diesem Abend große Oper erleben. Die Sänger agierten sehr spielfreudig und bewundernswert, geradezu akrobatisch. Ebenso die Tanzszenen, auch der Kinder- und Jugendchor, der Chor und Extra-Chor, das Ballett – hervorragend. Wie losgelassen, endlich wieder spielen zu können nach der endlosen Corona-Zeit. Zeitlich war die Inszenierung zwischen dem Spanien der Franco-Zeit und heute angesiedelt. Es gab Schuluniformen aus den dreißiger Jahren, Spanienkämpfer sowie Autos und Handys von heute zu sehen. Dass der erzählerische Bogen über verschiedene Zeitepochen gespannt wurde, ist kein Widerspruch in sich. Ist die Liebesgeschichte von Carmen und Don José doch zeitlos. Liebe und das Bedürfnis nach Freiheit und Unabhängigkeit, Eifersucht, Gewalt- und Machtfragen sind Menschheitsthemen.
Carmen, Arbeiterin in einer Zigarettenfabrik, hat ihre eigenen Vorstellungen von Liebe. Sie verliebt sich in den Brigadier Don José und gibt sich ihm hin. José gibt daraufhin sein bisheriges Leben auf und schließt sich den Bohemiens rund um Carmen an. Doch Carmens Freiheitsdrang lässt sich mit seiner Eifersucht nicht vereinen. Sie wendet sich jemandem anderen zu. Da siegt bei Don José die männliche Eitelkeit.
Eine unabhängige Frau, die ihren eigenen Weg sucht, konsequent geht und dafür gewaltvoll bestraft, ermordet wird. Das ist leider immer noch ein aktuelles Thema. Dabei werden in dieser Inszenierung alle Figuren gefühlvoll dargestellt. Niemand ist nur böse oder nur gut. Und dennoch siegt am Ende die Macht des Stärkeren.
Und wie war es?
Als musik- und hörgewohnter Mensch bin ich bei Freilichtaufführungen von Musiktheatern eigentlich eher skeptisch. Der Klang des Orchesters und die Stimmen der Sänger verhallen meist in der Weite der zauberhaften Landschaft der Freilichtorte. Hier in Kiel war das nicht der Fall. Der Klang des Orchesters war exzellent ausgesteuert. Das Orchester war allerdings auch in einem Zelt untergebracht. Wind und Wetter können ihm nichts anhaben.
Die Sänger waren ausnahmslos hervorragend. Der Baske Andeka Gorrotxategi, Don José, sang mit sehr warmer und phrasierter Stimme. Auch schauspielerisch war er sehr anrührend in seinem Zwiespalt zwischen Liebe und Zorn zu sehen. Die Sängerin der Carmen, Anastasia Boldyreva, sang perfekt und agierte sehr körperlich. Auch die kleineren Rollen waren hervorragend besetzt.
Im August 2023 gibt es wieder ein Sommertheater-Märchen. Fahren Sie hin!