In diesem Sommer gab es heftige Diskussionen um die Romane von Karl May. Die Karl-May-Spiele am Bad Segeberger Kalkberg, einer der schönsten Freilichtbühnen Europas, sind nichtsdestotrotz ein voller Erfolg. Worum geht es?
Seit meiner Jugend wollte ich gern nach Bad Segeberg zu den Karl-May-Spielen. Von Ost-Berlin aus war es natürlich nicht möglich, direkt in den Wilden Westen zu kommen. In den folgenden Jahren hatte ich meinen Wunsch dann irgendwie vergessen. Letzten Sommer war ich an der Ostsee bei Kiel in den Sommerferien und angeregt durch die zum Teil sehr emotionalen Diskussionen wollte ich mir das Spektakel endlich selbst anschauen.
Wo liegt Bad Segeberg?
Mit dem Zug fuhr ich von Kiel nach Bad Segeberg. Schon in der Bahn saßen Leute, die ein ähnliches Ziel hatten, das sah ich ihnen an. Sie fuhren in Gruppen zusammen, hatten gute Laune und sprachen von Aufführungen der vergangenen Jahre. Die Spiele sind ein Ereignis des Sommers, allerdings ist die Verbindung mit der Bahn von Kiel aus nicht günstig. Es dauert und man muss umsteigen. Von der Rückfahrt zu später Stunde ganz zu schweigen. Besser, man mietet sich gleich mit anderen zusammen einen Bus. Angekommen muss man ein ganzes Stück bis zur Spielstätte am Kalkberg laufen.
Diese ist allerdings eine Sensation. Mitten im flachen Schleswig-Holstein ist eine 91 Meter hohe Felsenlandschaft nicht aus Kalk, sondern aus Gips zu entdecken. Zusammen mit der Kalkbergarena mutet die Gegend abenteuerlich an. Man kann in Deutschlands nördlichsten Höhlen sogar Fledermaustouren buchen. Das Erlebniszentrum Noctalis lädt zum Besuch ein. Fledermäuse sind faszinierend, sie fliegen mit den Händen, sehen mit den Ohren und laufen an der Decke. Wir sind mitten in der Natur. Doch zurück zu Karl May.
Eine Show mit allen Mitteln der Kunst
Bereits der Eingangsbereich ist spektakulär. Eine große Wild-West Stadt, ein Indian village, sind aufgebaut. Saloons, Tipis und Zelte sind überall zu finden. Sand knirscht unter den Füßen und in der Luft liegt der Geruch von Lagerfeuer. Es lässt die Besucher in den Wilden Westen um 1880 eintauchen. Gut, historisch reflektiert erscheint das Spektakel nicht unbedingt. Hier geht es um Spaß, andere Wahrnehmung und Fantasie. Alles hat zudem etwas vom Charme der sechziger bis achtziger Jahre.
Das Publikum liebt es jedenfalls. Pro Vorstellung kommen 7000 Zuschauer hier her und das bei zwei Aufführungen täglich. Für die Schauspieler, Stunt-Leute und Techniker ein strammes Pensum. Familien, Freundeskreise und wieder Familien sind im Publikum. Familien in den Ferien oder im Alltag. Manche Zuschauer kommen jährlich zu den Spielen. Mutter, schon älter, mit Tochter, schon älter. Leute eben. Im Eingangsbereich kann man sich ein Papierband und eine farbige Feder in rot, blau oder grün geben lassen und an den Kopf stecken. So spielen alle ein bisschen mit.
Natürlich ist es richtig, unser mitteleuropäisches Verständnis, unsere tradierten Vorstellungen – auch Klischees – über das Leben der amerikanischen Ureinwohner genauer zu untersuchen, zu reflektieren und auf die Höhe der Zeit zu bringen. Den indigenen Völkern Amerikas ist Grausamkeit, Terror und großes Unrecht widerfahren. Heute Recht zu schaffen, ist ein notwendiges und auch vordringliches Anliegen. Die Romane von Karl May stammen allerdings aus einer anderen Zeit, nach meiner Auffassung sind sie schlicht Märchen. Vielen Lesern sind durch das Lesen in ihrer Jugend Welten geöffnet worden. Auch Leidenschaft und Liebe zu andere Kulturen und Toleranz. In der aktuellen Inszenierung Der Ölprinz werden Ideale wie Freundschaft, Toleranz für Andersdenkende, Vergebung herausgestellt und mit emotionaler Wirkung inszeniert. Die Mustangs galoppieren sozusagen für den Frieden. Das ist eine positive Botschaft.
Gegeben wurde 2022, wie gesagt, Der Ölprinz nach der Erzählung von Karl May. Geboten wird tolles Show-Biz. Schöne Pferde, beeindruckende Reiterszenen, herausragende Stunt-Nummern, eine Greifvogel-Show ist inkludiert. Und natürlich Winnetou und Old Shatterhand, dargestellt von einigen Stars wie Sascha Hehn, Katy Karrenbauer und Jogi Kaiser. Manche Schauspieler spielen hier seit vielen Jahren und sind beim Publikum entsprechend beliebt. Jedes Wiedersehen wird hymnisch gefeiert. Besonders am Schluss beim Applaus.
Ich habe einen Kollegen, der Schauspieler ist und am Theater meist die großen Rollen spielt. Den Romeo, den Ferdinand, Franz Moor. Einen Sommer lang spielte er bei den Karl-May-Spielen. Er erzählte mir, welchen Spaß und welche Freude es ihm machte, dabei zu sein.
In der kommenden Saison folgt Winnetou I – Blutsbrüder vom 24. Juni bis 3. September. Der Vorverkauf hat bereits begonnen.