Dort, wo sich Fachwerk mit sozialistischer Architektur kreuzt, wo sich ein Fahrzeugmuseum und ein Waffenmuseum gegenüber stehen und wo der Wald in die Städte einbricht – da ist Thüringen. Willkommen im südthüringischen Suhl. Einen ganz besonderen Weihnachtsmarkt gibt es außerdem zu entdecken!
Im südthüringischen Suhl schneit es im Jahr schon einmal früher als andernorts. Das liegt an seiner Hanglage im Thüringer Wald. Und wenn sich dann die Regenschauer des Novembers im Dezember in den ersten Schneefall verwandeln, wartet die Bezirkshauptstadt mit über 35.000 Einwohnern mit einer besonderen Attraktion auf. Am Marktplatz am Alten Rathaus mit karminrotem Mauerwerk, schwarzem Schieferdach und weißen Fensterrahmungen begegnen wir einem übergroßen Adventskalender. Die vielen Fenster des im neobarocken Stil im Jahr 1910 errichteten Gebäudes sind dann mit Zahlen versehen, welche den 24 Tagen entsprechen, die bis zum Heiligen Abend ins Land ziehen. Und die sind hier im Thüringer Wald besonders schön. Denn wenn es schneit, verteilt sich das Weiß über den Hängen und Kuppen; dann glitzern die in Thüringen weit verbreiteten Fichten und laden zum Waldspaziergang ein. Und dann packen die Suhler ihre Chrisamel auf den Tisch und gehen auf den gleichnamigen Weihnachtsmarkt am alten Rathaus. Der Mundartausdruck Chrisamel leitet sich von Christsemmel her und bezeichnet schlicht einen Stollen. Der wird traditionell eben nicht nur im sächsischen Dresden hergestellt, sondern auch hier im Herzen von Südthüringen. Davon wollten wir uns überzeugen, haben einen Reisebus gemietet und beschlossen: das schauen wir uns live an – auf zum Chrisamelmart Suhl!
Vom Chrisamelmart Suhl zur Stadthalle der Freundschaft
Der Chrisamelmart Suhl liegt unweit des Congress Centrum Suhl (CCS). Ein ziemlich trostlos wirkendes kreisrundes Gebäude, das in der heutigen Form in den 90-er Jahren entstand. Dennoch ist es historisch sehr interessant: Heute beherbergt es Kongress- und Tagungsräume, diverse Gastronomien, die Touristeninformation von Suhl und ein Museum, auf welches später noch eingegangen werden soll. Uns interessiert zunächst aber die Vergangenheit des frei zugänglichen Gebäudes. Zwar wurde das CCS mit einem über 2000 Besuchern platzbietenden Saal im Jahr 1995 eingeweiht, doch schon 25 Jahre zuvor fasste das Gebäude über 5000 Personen. Es begann alles im Jahr 1970 – eine sozialistische Stadtumgestaltung wurde entschlossen vorangetrieben. Um ein soziales Zentrum für Veranstaltungen und Festivitäten zu haben, wurde die Stadthalle der Freundschaft errichtet. Sie war Teil eines ganzen Gebäudeensembles mit zahlreichen Plattenbauten. Noch heute stehen etliche von ihnen und prägen das Stadtbild von Suhl. Viele historische Gebäude, darunter Fachwerkhäuser und Stadthäuser, wurden abgerissen. Seit 1952 war man Bezirkshauptstadt und mit den neuen architektonischen Möglichkeiten der Serienproduktion von Gebäuden legte man in Suhl dann in den 70-ern richtig los; bis zu 26 Etagen baute man sich dem Himmel entgegen. Wie auch in vielen anderen Kleinstädten im Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Heute sind (auch in Suhl) solche Wohntürme teilweise oder ganz zurückgebaut oder zumindest oftmals entkernt, erweitert, umgenutzt. Die ungezügelte Kreativität der Immobilienwirtschaft kennt da offenbar keine Grenzen. Fast zum Millionengrab wurde das damals mit 26 Etagen höchste Gebäude der Stadt – ein Wohnhochhaus als Landmarke von Suhl. Seit der Wiedervereinigung versucht sich ein Hotel nach dem anderen mit Rück- und Umbauten an diesem Standort im Stadtzentrum von Suhl. Sie entdecken es bestimmt; heute hat es noch 16 Etagen.
Das Fahrzeugmuseum in Suhl
Im CSS befindet sich (wir hatten es schon angedeutet) ein schönes Museum. Wer im sächsischen Motorradmuseum Zschopau seine Freude hatte oder auch im Oldtimermuseum in Leipzig, der wird auch in Suhl auf seine Kosten kommen: hereinspaziert ins Fahrzeugmuseum Suhl. Die Stadt hat eine lange Tradition im Fahrzeug- und Fahrradbau. Im späten 19. Jahrhundert wurden hier erste nicht motorisierte Zweiräder des Unternehmens Simson & Co gebaut. Bei dem Namen klingeln die Ohren, wenn man sich etwas für den Rennsport interessiert. Die späteren Simson Motorräder waren bei Wettkämpfen und Meisterschaften stets überragend. Auch Maschinen im privaten Bereich waren beliebt. Über all das können Sie sich auf weit über 1000 Quadratmeter informieren; dutzende Exponate und natürlich Motorräder sind zu bestaunen. In den 80-er Jahren waren jährlich fast 200.000 Simson produziert worden, dennoch wickelte die Treuhand nach der Wiedervereinigung das Unternehmen kurzerhand ab. Das erinnert an ein noch weitaus düstereres Kapitel in der deutschen Geschichte. Der ursprüngliche Namensgeber des Betriebs war die jüdische Familie Simson; diese war 1933 von den Nationalsozialisten enteignet worden. Danach startete man mit der Kriegswaffen- und Fahrzeugproduktion; das erste Motorrad in Suhl wurde dann 1936 hergestellt. Wegen der Gleichzeitigkeit der Motorrad- und Waffenproduktion ist es historisch angemessen, sich auch mit einem zweiten Museum in Suhl zu befassen. Es liegt zwischen dem Congress Centrum Suhl und dem Chrisamelmart auf halber Strecke.
Das Waffenmuseum in Suhl
Das zweite Museum, welches wir bei Interesse besuchen können, ist das Waffenmuseum Suhl. Es präsentiert sich als Europas einziges Spezialmuseum für Handfeuerwaffen. Gezeigt werden Sport- und Jagdwaffen, aber auch militärische Waffen. Spannend ist nicht nur das schon von außen ansehnliche Gebäude: Es handelte sich ursprünglich um ein Lagerhaus für Malz und stammt aus dem 17. Jahrhundert. Zu der Zeit wurden schon gut 200 Jahre lang Feuerwaffen im südthüringischen Suhl hergestellt. Als Stadt des Eisenerzes und der Bergleute war das Rohmaterial sozusagen umgehend verfügbar. Es entwickelten sich rasch Zünfte und hunderte Menschen arbeiten in der Folgezeit im Bereich der Waffenherstellung. Büchsenschmied war ein sehr angesehener Beruf damals, der hohe Fertigkeit und Präzisionsarbeit voraussetzte. Alte und moderne Waffen werden im Museum präsentiert. Gut 500 sind es, die ausgestellt werden. Das erscheint zunächst viel, doch muss man sich klar machen, dass Suhl schon im 18. Jahrhundert 25.000 Gewehre an die preußische Armee verkaufte; man war ein Schwergewicht der Waffenproduktion in Europa. Auch im vergangenen Jahrhundert war die Waffenproduktion in Suhl immer noch unglaublich hoch. Im Ersten Weltkrieg arbeiteten zwischen 10.000 und 15.000 Menschen in der Rüstungsproduktion. Und um gleich noch einmal auf ein düsteres Kapitel der deutschen Geschichte einzugehen: 10.000 Zwangsarbeiter machten die Arbeit während des Zweiten Weltkriegs in den kriegswichtigen Suhler Unternehmen erst möglich. Ein schweres Thema, auch wenn es sich beim Thema Waffen durchaus nicht ausschließlich um Krieg dreht. Jagdwaffen spielten hier in der Region eine große Rolle. Das liegt auf der Hand, da wir uns im Thüringer Wald befinden, wo immer schon gejagt wurde. Wahrscheinlich auch schon vor 2.500 Jahren, als sich die Kelten hier niederließen, wie Funde aus jener Zeit belegen. Damals wurde den Tieren natürlich noch nicht mit Feuerwaffen nachgestellt und der Kampf zwischen Mensch und Tier gestaltete sich mehr auf Augenhöhe. Der dritte große Bereich im Waffenmuseum in Suhl umfasst die Sportwaffen. Schließlich ist Suhl mit seinem Schießsportzentrum Olympiastützpunkt. Auf Landes- und Bundesebene wird hier trainiert; internationale Wettbewerbe und Meisterschaften wurden in Suhl ausgerichtet. Wem das alles dennoch zu martialisch erscheint, dem sei zumindest die Umgebung des Waffenmuseums empfohlen. Die besondere Architektur des ehemaligen Malzlagers ist ebenso ansehnlich wie der Kontrast zu den das Waffenmuseum umgebenden DDR-Wohntürmen. Auch der gegenüberliegende kleine Herrenteich ist ein Innehalten wert. Die Stadt mit Tradition bietet eben viele Überraschungen.
Zurück zur Natur und zurück zum Chrisamelmart Suhl
Wer sich noch ein wenig nach dem Glanz des alten Suhl sehnt (also nach dem Suhl vor der baulichen Neustrukturierung während der DDR-Zeit und den 90-er Jahren), dem sei ein Spaziergang im südwestlich gelegenen Stadtteil Heinrichs empfohlen. In dem schon 1111 erwähnten ehemaligen souveränen Ort gibt es ein historisches Rathaus, die Kirche St. Ulrich und einige Villen und Fachwerkhäuser zu entdecken. Da fühlt man sich dem einfachen Leben und dem Thüringer Wald gleich ein ganzes Stück näher. Ohnehin scheint dieser von allen Ecken und Enden aus in die Stadt hinein drängen zu wollen. Auch der Thüringer Wald wäre viele Geschichten wert, ist doch die Forst- und Holzwirtschaft die viertgrößte Wirtschaftsbranche in Thüringen. Über 150.000 Arbeitsplätze hängen von ihr ab. Und auch ganz ohne aufgesetzte ökonomische Brille können wir uns an einem Wald mit einem großen Reichtum an Baum- und Tierarten erfreuen. Wir sind dankbar für Wandermöglichkeiten, Tierparks und Naturerlebnisse. Und wenn der Glühwein vom Chrisamelmart Suhl inzwischen schon wirkt, dann können wir dem Thüringer Wald gleich noch Geschichten von Hexen, Druiden, Zwergen und anderen Märchengestalten hinzudichten. Unsere Gruppe im Reisebus können wir jedenfalls wunderbar damit unterhalten.
Hinweise
Wenn Sie von der A73 aus (Dreieck Suhl) nach Suhl hineinfahren, dann kommen Sie gleich an der Meininger Straße entlang, an der an einzelnen Abschnitten noch historische Fachwerkbauten stehen.
Vom Reisebus lassen Sie sich am besten am Marktplatz rauswerfen. Ein Parkplatz ist hier nicht so leicht zu finden. Am entspanntesten geht es noch im Bereich östlich der Innenstadt.
Das Rathaus in Suhl und den Chrisamelmart finden Sie schlicht unter der Adresse: Marktplatz 98527 Suhl.
Das Fahrzeugmuseum Suhl liegt an der Friedrich-König-Straße 7 – Telefonnummer: 03681-705004 oder E-Mail: info@fahrzeug-museum-suhl.de. Die Öffnungszeiten sind täglich von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr. Der Eintritt beträgt 9 €, ermäßigt 7 €.
Das Waffenmuseum Suhl befindet sich an der Friedrich-König-Straße 19 – Telefonnummer: 03681-742218 oder E-Mail: info@waffenmuseum.eu. Das Waffenmuseum hat täglich von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 6 €, ermäßigt 4 €. Als Gruppe können Sie für insgesamt 10 € einem 20-minütigen Einführungsvortrag bekommen; dafür melden Sie sich bitte im Vorfeld an. Eine einstündige Gruppenführung kostet 25 €.
Gastronomisch gibt es Einkehrmöglichkeiten im CCS-Gebäude. Das hat dann zumindest historische Bedeutung.
Sehenswert
Der Film Sushi in Suhl ist eine gastronomische Liebeserklärung an die japanische Küche und beruht auf einer wahren Begebenheit. In Suhl hat zur DDR-Zeit der Koch Rolf Anschütz seit 1966 gut 15 Jahre lang das einzige japanische Restaurant im ganzen Land betrieben.