Kennen Sie das größte in Deutschland lebende Raubtier? Und kennen Sie das häufigste Meeressäugetier vor den heimischen Küsten? Wir besuchen Kegelrobben und Seehunde in Friedrichskoog an der Nordsee. Hier mündet die Elbe ins offene Meer und kleine Heuler erleben große Abenteuer!
Unsere Reise mit dem Bus führt uns heute zur Seehundstation Friedrichskoog. Das 2.500 Einwohner große ehemalige Hafenstädtchen liegt an der Elbmündung 100 Kilometer nordwestlich von Hamburg. Dass man hier nicht mehr mit Fischkuttern ein- und ausfahren kann, liegt an den herausfordernden geografischen und maritimen Gegebenheiten, die den Ort prägen. Das Süßwasser der Elbe trifft hier auf Salzwasser der Nordsee und die Flussströmung im Zusammenspiel mit den Gezeiten des Meeres sorgten hier schon immer für drohende Versandung. Die Elbe kann von Zeit zu Zeit ausgebaggert werden, aber für Friedrichskoog wurde das irgendwann unrentabel. Dabei war man schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts zunächst Fracht- und Industriehafen gewesen und hatte sich später zum zweitgrößten Fischereihafen an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste entwickelt. In den siebziger Jahren begann nun der Abstieg des zunehmend subventionierten Hafens bis zu seiner völligen Stilllegung und Abriegelung im Jahr 2015. Jetzt gibt es ein Hafenbecken ohne Schiffe und ohne Zugang zum Meer; das klingt jetzt nicht unbedingt so, als würden wir Ihnen einen Besuch in Friedrichskoog nahelegen. Aber das tun wir dennoch mit Nachdruck: Der Grund dafür ist die Seehundstation Friedrichskoog. Dabei handelt es sich um die einzige legitimierte Auffangstation für verlassene, verletzte oder erkrankte Robben in Schleswig-Holstein. Dazu zählen auch die Seehunde. Genaugenommen gehören sie wie die Kegelrobben zur Familie der Hundsrobben, die wiederum zusammen mit den Ohrenrobben und Walrössern eine gemeinsame Gruppe bilden. Wie Delfine und Wale gehören sie zu den Meeressäugetieren. Bevor wir Sie hier aber mit biologischem Fachwissen überrumpeln, stürzen wir uns einfach hinein in die Becken der Seehundstation Friedrichskoog. Also in die Becken natürlich nicht, aber an die Becken. Denn hier leben einzelne Kegelrobben und Seehunde dauerhaft in Gemeinschaft und jedes Jahr werden viele bis zu sechs Wochen alte sogenannte Heuler bis zu ihrer Wiederauswilderung aufgenommen.
Die Kegelrobben in der Seehundstation Friedrichskoog
In der Seehundstation Friedrichskoog gibt es zwei Kegelrobben, die aus dem litauischen Meeresmuseum Kleipeda stammen. Sie konnten nicht ausgewildert werden und leben nun dauerhaft an der Nordseeküste. Das Weibchen war ein Findling in freier Natur und das Männchen wurde bereits in Gefangenschaft geboren. Kegelrobben können bis zu 40 Jahre alt werden. Nun leben die beiden zusammen mit den Seehunden in einem 800 qm großen naturnahen Becken in Friedrichskoog. An die ganz jungen Seehunde sollte man eine ausgewachsene Kegelrobbe mit ihren Reißzähnen allerdings nicht heranlassen. In freier Wildbahn kann neben Fischen und Krebstieren auch schon mal ein achtlos schwimmender Vogel oder eben ein junger Seehund mit auf dem Speiseplan stehen. Selbst Schweinswale wurden von Kegelrobben schon angegriffen. Die wuchtigen Männchen bringen bis zu 350 Kilogramm auf die Waage. Dass sich die Tiere dennoch halbwegs elegant und schnell auch vorwärts robbend bewegen können, lässt sich in der Seehundstation Friedrichskoog beobachten. Aber natürlich ist das kein Vergleich mit ihrer Begabung beim Schwimmen und Tauchen. Das größte in Deutschland lebende Raubtier lässt sich auch gut hinter den dicken Spezialglasscheiben entdecken. Das Wasserbassin ist so angelegt, dass die Tiere auch unter Wasser beobachtet werden können.
Die Seehunde in der Seehundstation Friedrichskoog
Wenn wir ganz ehrlich sind, kommen die meisten der vielen Besucher wegen der Heuler. Aber was sind das nun eigentlich genau? Es sind ganz junge Seehunde mit einem traurigen Schicksal – sie wurden zu Waisen, weil die Seehundmütter nicht zum Säugen zurückgekehrt sind. Die jungen Seehunde heulen dann, rufen also nach der Seehundkuh, so heißt der weibliche Seehund. Die Ursachen dafür können vielfältig sein. In der gut vier- bis sechswöchigen Säugungszeit sind die jungen Seehunde noch besonders schutzbedürftig, auch wenn sie schon wenige Stunden nach ihrer Geburt auf einer Sandbank oder am Strand ihrem Muttertier ins Wasser folgen können. Die ausgedehnten Nahrungstouren, also die Jagd nach Fisch, macht sie allerdings zunächst alleine. Kommt beispielsweise ein starker Sturm dazwischen, kann es sein, dass sich Jungtier und Mutter nicht wiederfinden. Oder die Seehundkuh empfindet zu viele Störungen in der Nähe des ruhenden Seehundjungen. Das kann vorkommen, wenn Menschen und Hunde nicht genug Abstand halten. Kommt es sogar zu körperlichen Berührungen durch Menschen, werden die Tiere nicht mehr angenommen und enden als Heuler. Ziel muss es also sein, solche Schicksale zu vermeiden. Aber ist es nun einmal so weit gekommen, dann geht es in die Seehundstation Friedrichskoog. Dort werden die Tiere aufgepäppelt, bekommen reichlich zerschredderten Fisch eingeflößt und später vor Publikum auch viele tote Fische ins Becken geschmissen. Der Jagdinstinkt ist angeboren und bricht dann voll durch, wenn es nach einiger Zeit wieder zurück in die freie Natur und ins Meer geht. Dann beginnt das wahre Leben des Seehundes! Anders als Kegelrobben gebären Seehunde nicht in den Wintermonaten November, Dezember und Januar, sondern von etwa Mitte Mai bis etwa Mitte Juli. Und auch wenn sie meist nur ein Junges zur Welt bringen, bleiben die Seehunde die häufigste Meeressäugerart an deutschen Küsten.
Die Seehundstation Friedrichskoog liegt am ehemaligen Hafen
Wenn Sie dennoch auch einen kleinen Spaziergang am ehemaligen Hafen von Friedrichskoog machen möchten, dann empfehlen wir Ihnen, sich den Wal anzuschauen. Der Wal ist ein geschlossener Indoorspielplatz auf der Suche nach einem neuen Pächter. Aber von außen ist die Architektur dem gigantischen Meeressäugetier nachempfunden. Interessanter ist da allerdings noch die sogenannte Trischenbake. Sie war ein 22 Meter hohes Seezeichen, das von 1950 an 45 Jahre lang in der Nordsee in der Nähe der Insel Trischen positioniert war. Trischen ist die Haus- und Hofinsel von Friedrichskoog und gehört auch rechtlich mit zur Gemeinde. Die Trischenbake stand für lange Zeit in der Seehundstation Friedrichskoog und wurde dort zum Aussichtsturm umgestaltet. Als dort das Gelände groß umgebaut wurde, war kein Platz mehr für das ehemalige Wahrzeichen. Nun soll die zweifach ausgemusterte, eiserne Konstruktion dem ausgemusterten Hafen neues Leben einhauchen. Es ist nicht ganz gewiss, ob das so funktioniert.
Der Trischendamm ragt hinaus ins offene Meer
Eine spektakuläre Sehenswürdigkeit hat Friedrichskoog jenseits der Seehundstation doch noch zu bieten. Am äußersten westlichsten Punkt der einst abgelegenen Gemeinde lässt es sich auf dem Trischendamm hinaus ins offene Meer wandern. Auf seiner Südseite schon deutlich von Anlandungen und Salzwiesen geprägt, ist er auf seiner Nordseite noch frei und wir blicken auf das offene Meer. Je weiter wir diesen aus 16.000 Tonnen Gestein errichteten Weg entlanglaufen, desto mulmiger wird das Gefühl. Es ist aber ein angenehmes Schauern verbunden mit den in uns aufsteigenden Fragen: Kommt vielleicht plötzlich eine Sturmflut, ziehen Nebel auf, finden wir zurück, wohin führt dieser einsame Weg? Das Gute ist allerdings, es gibt keine Abzweigungen. Woher wir auch gekommen sind, drehen wir um, finden wir dorthin zurück. Aber soweit ist es noch nicht. Wir laufen den asphaltierten, aber nicht an allen Stellen barrierefrei zurücklegbaren Weg auf eine größer werdende Landmarke am Horizont zu. Es ist, ein wenig unerwartet in dieser kargen Umgebung inmitten des Schleswig-Holsteinischen Naturschutzparks Wattenmeer, tatsächlich eine Bohrinsel, die in der Ferne auf dem Meer auftaucht. Es handelt sich um das mit Abstand größte deutsche Abbaugebiet für Erdöl in Deutschland; noch bis in die fünfziger Jahre des 21. Jahrhunderts hinein gibt es gültige Förderlizenzen und jährlich werden hier auf der Bohrinsel Mittelplate über eine Million Tonnen Öl gewonnen, bei abnehmender Tendenz allerdings. Trotzdem handelt es sich um ein absolutes Unikat im rohstoffarmen Deutschland. Seit Mitte der 80-er Jahre sprudeln das Öl und die Einnahmen. Das ist nicht unbedingt das, womit die schleswig-holsteinische Region Dithmarschen Werbung macht, um den Wattenmeer-Tourismus anzukurbeln. Um das umliegende sensible Ökosystem zu schützen, gibt es inzwischen eine feste Pipeline, über die das aus 2 bis 3 Kilometer Tiefe Öl-Wasser-Sand-Gemisch an Land gepumpt wird. Außerdem wird aller Müll von der Bohrinsel mitgenommen und nichts ins Meer verklappt.
Vom Leben auf Trischen
Der Umweltschutz kommt der 12 Kilometer weiter in der Nordsee liegenden winzigen bumerangförmigen Insel Trischen zu Gute. Diese ist namensgebend für den Damm, der (so die ursprüngliche Planung) tatsächlich einmal bis auf die Insel führen sollte. Aber das Meer und seine Kräfte sind mächtig; daran können und dürfen auch mal Deichgrafen und Politiker scheitern. Ein einzigartiges Vogelschutzgebiet in der Kernzone des Nationalparks ist die Insel Trischen jedenfalls. Diese darf von niemand betreten werden, außer von einem Vogelwart von Frühling bis Herbst, der dann dauerhaft hier lebt. Das Süßwasser der Elbmündung vermischt sich vor der nahen Küste mit dem Salzwasser des offenen Meeres. Dieser Zwischenraum ist attraktiv für viele Tiere und Pflanzen. So wurden schon zahlreiche Populationen von Fluss-Seeschwalben und Brandseeschwalben gesichtet und gezählt. Kolonien wachsen, verlagern sich auf andere Inseln und Küstenstreifen und verschwinden wieder. Für über ein Dutzend Zugvogelarten ist Trischen im Frühjahr und Herbst der wichtigste Anflugpunkt, also Rastplatz. Das alles hat der Vogelwart fest im Blick. Er beobachtet, vermisst, sammelt Daten und lebt für eine Saison ein Leben, was früher die Leuchtturmwärter für sich beanspruchen durften: Einsamkeit und Natur. Und vielleicht sichtet er auch Kegelrobben und Seehunde, die sich zu unterschiedlichen Jahreszeiten vor der Küste herumschlagen – so wie ihre Freunde in der Seehundstation Friedrichskoog. Vielleicht schwimmt schon bald der nächste aufgepäppelte Heuler an Trischen vorbei hinaus ins offene Meer.
Hinweise
Die Adresse der Seehundstation in Friedrichskoog lautet: An der Seeschleuse 4 in 25718 Friedrichskoog.
Kontakt zur Seehundstation Friedrichskoog: info@seehundstation-friedrichskoog.de oder 04854-1372.
Eintritt: 11,80 € / ermäßigt 10,80 € / allerdings besteht für Gruppen ab 12 Personen (bei rechtzeitiger Kontaktaufnahme) die Möglichkeit, Preise für die Gruppe oder sogar Führungen anzubieten – das erfolgt in persönlicher Abstimmung (siehe Kontaktinfos).
Öffnungszeiten: April bis Oktober 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr, November bis März 10.00 Uhr bis 16.00 Uhr.
Anfahrt und Parken mit dem Reisebus: Vor dem Eingangsbereich gibt es einen Haltebereich für Reisebusse um ein Ein- und Aussteigen zu ermöglichen. Ein Parkplatz befindet sich dann am ehemaligen Hafen (P2). Vom Parkplatz sind es dann etwa 10 Minuten bis zum Eingang der Seehundstation Friedrichskoog.
Der Bezahlparkplatz für die kleine Wanderung hinaus aufs Meer über den Trischendamm liegt an der Koogstraße 142 in 25718 Friedrichskoog. Dort liegt auch das Deichrestaurant Zur Spitze – hier können Sie auch als Reisebusgruppe reservieren und es gibt einen kostenlosen Busstellplatz. Kontakt: zurspitze@gmail.com und über die Rufnummer 04854-1262.
Lesenswert
Biologische Bücher und Sachbücher zum Thema Robben sind nicht leicht zu finden. Meistens wenden sie sich nur an Kinder, sind veraltet oder nicht informativ beziehungsweise nicht auf dem neusten Stand. Wir verweisen ausnahmsweise mal auf die Steckbriefe und Informationen zu Robben von Tierschutzorganisationen wie dem NABU oder dem WWF – da findet sich einiges im Internet. Tolle Aufnahmen gibt es dann gleich mit dazu!