Drei Kirchen auf einen Schlag. Wir erleben, wie die romanische Architektur Brandenburgs von der Eiszeit und seiner Lage im Urstromtal profitiert hat. Der Reisebus bringt uns an die Grenze zu Sachsen-Anhalt. Außerdem verraten wir Ihnen, was es mit Sitzplatzreservierungen in Gotteshäusern auf sich hat.
Die Familie Stübing aus Bücknitz steht nach einer Woche anstrengender Feldarbeit gemeinsam auf. Es ist an einem heiligen Sonntag nach der Reformation, die mit dem Thesenanschlag von Martin Luther (1483-1546) in Wittenberg begonnen hatte. Die Kleinste holt noch die Frühstückseier aus dem Stall, die zwei älteren Jungs haben sich schon unter den wachsamen Augen der Mutter feingemacht für den Kirchgang. Vater Stübing ist energisch und unruhig; er kann es nicht leiden, wenn man nicht als Erster aus dem Ort in der kleinen Dorfkirche erscheint. Schließlich gilt es doch einen guten Eindruck zu machen – vor Gott und vor den Nachbarn. Endlich geht es los, auch wenn die kleine Hedwig noch etwas verschlafen und verträumt wirkt. Doch es reicht noch zu, die Wege sind kurz im kleinen Bücknitz. Am Schulhaus vorbei geht es rasch zur Kirche. Ein Blick fällt auf das Familiengrab der Familie Stübing, schon lange ist man hier in der Gegend verwurzelt. Sehr lange. Und davon erzählt eben auch die romanische Feldsteinkirche aus dem 13. Jahrhundert. Eine von drei Kirchen, die wir heute mit dem Reisebus am Rande von Brandenburg besuchen. Wir treten ein und finden zu unserer Verwunderung Schriftzüge von Familiennamen auf den Kirchenbänken der innen sehr schlichten Kirche. Und ja, dort steht tatsächlich auch der Name Stübing zwischen zahlreichen anderen Namen in weißer Schrift auf dunklem Holz. Genaugenommen ist es nicht der Familienname, der früher auf Kirchenbänke geschrieben wurde (heute würde man von Sitzplatzreservierung sprechen), sondern der Name des Hofes und Landgutes der derzeit dort Lebenden. Familien und Namen konnten wechseln, aber man stand immer fest in der Tradition der Anfänge eines Ortes.
Die Dorfkirche von Bücknitz
Der barocke Kirchturm der Dorfkirche von Bücknitz stammt aus den Anfängen des 18. Jahrhunderts. Aber die Substanz, die schweren Mauern sind alt. Sehr alt. Über 700 Jahre ist es her, dass das Gotteshaus entstand. Und, eine Fußnote der Geschichte, die verwendeten Steine sind natürlich noch viel älter: Sie stammen aus der Epoche während der letzten Eiszeit, als vor über 20.000 Jahren ein sich von Skandinavien ausdehnender Eisschild Geröllmengen gigantischen Ausmaßes bis in die Mark Brandenburg vorgeschoben hat. Diesem sogenannten Brandenburger Hauptvorstoß ist es also zu verdanken, dass im Mittelalter ausreichend Baumaterial für Kirchenbauten Mitteldeutschlands zur Verfügung stand. Willkommen in der Endmoränenlandschaft an der Landesgrenze von Brandenburg und Sachsen-Anhalt. An der Verschmelzung von Natur und Kultur.
Die Dorfkirche von Zitz
Reisen wir weiter zur nächsten Station. Nordwestlich liegt der kleine Ort Zitz mit seiner von einer Haube aus Schiefer begrenzten schmalen Kirchturmspitze. Südwestlich liegt Ziesar, wo wir die Heilig-Kreuz-Kirche besuchen wollen. Wir entscheiden uns zunächst aber für die Dorfkirche von Zitz. Und da wir uns nun schon einiges Wissen angeeignet haben, erkennen wir sofort: auch hier handelt es sich um eine Feldsteinkirche im romanischen Stil. Zum Verwechseln ähnlich wären sich die Dorfkirchen von Bücknitz und Zitz, wäre auch der Zitzer Glockenturm schon so schön weiß verputzt wie der von Bücknitz. Schaut man aber genau hin, so sieht man, dass der Zitzer Kirchturm höher ist als der von Bücknitz. Ende des 18. Jahrhunderts entschlossen sich die Dorfbewohner, die Kirche aufzustocken; die dritte Etage und eine neue Haube wurden gebaut. Er ist nun fast 30 Meter hoch. Die Dorfgemeinschaft scheint schon immer einen starken Zusammenhalt gehabt zu haben, denn schließlich musste die im Dreißigjährigen Krieg völlig zerstörte Kirche zu Beginn des 18. Jahrhunderts schon einmal wieder aufgebaut werden. Das gelang in nur wenigen Jahren, was eine beachtliche Leistung darstellte für eine solch kleine Gemeinschaft. In dieser wuchs übrigens auch der im Nachbarort Warchau geborene Theologe Eberhard Bethge (1909-2002) auf. Er war ein Weggefährte des im KZ Flossenbürg ermordeten Theologen und NS-Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer (1906-1945), dessen Lied Von guten Mächten wunderbar geborgen deutsches Kulturgut geworden ist. Bethge hat eine Biografie über Bonhoeffer geschrieben, war mit diesem in den 30-er Jahren in London und selbst in Zusammenhang mit dem gescheiterten Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 in Berlin inhaftiert. Seinen Freund überlebte Bethge um ganze 57 Jahre. In Gedenken an die beiden Theologen ist es stimmig, auch der Dorfkirche von Zitz etwas Aufmerksamkeit zu widmen.
Die Stadtkirche von Ziesar
Über Ziesar ist schon einiges geschrieben worden, vor allem über seine berühmte Burg aus dem 13. Jahrhundert und auch über die Burgkapelle Peter und Paul. Aber da wir unser Augenmerk heute auf die kleinen Kirchen richten, wollen wir unsere kleine Rundreise durch das brandenburgisch-sachsen-anhaltische Urstromtal mit einem Besuch der Heilig-Kreuz-Kirche beschließen. Sie wurde wie die beiden Kirchen, die wir bisher besucht haben, ebenfalls im 13. Jahrhundert erbaut. Aber ihre Bedeutung überstieg sehr bald die der Dorfkirchen von Bücknitz und Zitz. Der Grund dafür war, dass Ziesar 1327 zur Bischofsresidenz wurde und sich hier verschiedene Glaubensorden ein Stelldichein gaben. Die Augustiner waren hier, die Zisterzienser und auch die Prämonstratenser. Letztgenannte erbauten auch bereits die Heilig-Kreuz-Kirche. Der Bau wirkt wuchtiger und zugleich ausgewogener als die beiden kleinen Dorfkirchen. Kein Fachwerk ist zu sehen und die Kreuzform strahlt aus, was sie soll: Erhabenheit und Gewicht. Auch dass die ehemaligen angrenzenden Klostergebäude noch existieren, demonstriert Größe und Gelassenheit. Wir schauen uns in Ruhe um, begutachten den Bau aus Feldsteinen und Backsteinen und lassen im Kopf unseren Ausflug zu den Drei Kirchen am Rande Revue passieren, bevor wir im Anschluss noch etwas essen gehen. Dafür eignet sich der Ort Ziesar mit Abstand am besten; ganz pragmatisch gesehen ist er die größte und touristischste Anlaufstelle am heutigen Tag. Wobei Tourismus am Rande Brandenburgs noch immer erfreulich kleingeschrieben werden kann – wir wünschen Ihnen einen ruhigen, friedlichen und erholsamen Ausflug.
Hinweise
Die Heilig-Kreuz-Kirche in Ziesar finden Sie unter der Adresse: Kloster, 14793 Ziesar
Die Dorfkirche in Bücknitz finden Sie unter der Adresse: Alte Schulstraße, 14793 Ziesar
Die Dorfkirche in Zitz finden Sie in der Zitzer Dorfstraße in 14789 Rosenau
Auch die nahegelegenen Dorfkirchen von Rogäsen und Warchau sind einen Besuch wert.
Deutsche Küche mit Wild und Pilzen sowie Fisch mit Bratkartoffeln bekommen Sie in der Gaststätte Großer Kiepernkerl in 14793 Ziesar am Mühlentor 19 aufgetischt. Dort gibt es auch hausgemachte Kuchen. Sie erreichen die Gaststätte Großer Kiepernkerl unter der Telefonnummer 033830-60481
Mit dem Reisebus empfehlen wir Ihnen, jeweils in Ortsrandlage zu parken. So erschließen Sie sich den dörflichen Charakter am besten und treffen auch bei den einheimischen Brandenburgern auf Wohlwollen.