Eine Kirche als Theater? Inszenierungen im Altarraum? Musicals statt Gottesdienst?
Kein Grund um sich befremdlich zu fühlen. Bürgerschaftliches Engagement und Leidenschaft fürs Schauspielen und Musizieren haben eine Energie geschaffen, der einer Kriegsruine neues Leben eingehaucht hat.
Besuchen Sie mit uns das Hechtviertel in Dresden.
Einfach machen! So könnte das Credo der über 100 ehrenamtlich arbeitenden Laienschauspieler, Techniker, Organisatoren und Helfer lauten, die gemeinsam den Verein TheaterRuine Sankt Pauli e.V. auf die Beine gestellt haben. 1999 gründete er sich aus einem Ensemble mit dem schönen und vielsagenden Namen Theater von Unten. Unterstützt wird er seither auch von professionellen Schauspielern. Kulturarbeit im Hechtviertel ist den Anwohnerinnen und Anwohnern hier seit jeher wichtig. Wir besuchen ein sympathisches Gründerzeitviertel im Norden der Dresdener Neustadt. Es gibt ein Quartiersmanagement, Cafés, Austausch und ein reges Miteinander. Einmal im Jahr, am letzten Wochenende im August, gibt es das Hechtfest. Zu diesem bunten und lebendigen Straßen- und Stadtteilfest trägt natürlich auch die Sankt Pauli Ruine bei. Wenn wir die Kirche mit dem Reisebus besuchen, parken wir am besten auf der sich weit nach Norden ziehenden Hechtstraße. Am dort liegenden Hechtpark wird die Bebauung weniger und folglich die Chance auf einen Parkplatz größer. Hier im Norden hatte im Übrigen auch der Förster August Hecht vor über einem Jahrhundert sein Gasthaus Zum Blauen Hecht. Das hat zwar nicht überdauert, aber er war namensgebend für das Stadtviertel bis heute.

Die Architektur der Sankt Pauli Ruine
Die Sankt Pauli Ruine wird seit 2012 von einem Glasdach überspannt. Erst diese Baumaßnahme zum Schutze der Anwohner vor Lärm und des Gebäudes vor weiterer Verwitterung machen den Kirchenbau zu einem einmaligen Anblick. Durch die Kombination von Licht durchflutetem, transparentem Glas mit der warmen Klinkerfassade der im neogotischen Stil errichteten Kirchenruine wurde hier Einzigartiges geschaffen. Hier bringt die Durchsichtigkeit, die Ein- und Ausblicke gewährt, das Innere dem Stadtteil näher. Architektur bedeutet eben immer auch soziale Räume zu erschaffen. Über die Bedeutung des Einsatzes von Bleiglasfenstern in Kirchenbauten ließe sich viel schreiben, über die Symbolik von Licht und Farben ebenfalls. Wir begnügen uns bei unserem heutigen Besuch damit, dass durch die moderne Verglasung eine Stimmung erzeugt wird, die den Besucher überrascht und öffnet für die Wahrnehmung unterschiedlichster Perspektiven. Das Ein- und Ausblicke gewährende Glas lässt hier einen Blick auf den gestutzten Kirchturm zu, dort einen ins Grüne oder in der Abendstimmung einen weiteren ins beleuchtete Kircheninnere. In den Sommermonaten werden übrigens auch noch immer Gottesdienste abgehalten in der Sankt Pauli Ruine.

Die Sankt Pauli Ruine im Wandel der Zeit
Der Turm von Sankt Pauli war bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges 78 Meter hoch. Dann wurde die Kirche durch Bombardements der Alliierten beschädigt und brannte aus. Ursprünglich handelte es sich um eine dreischiffige Hallenkirche des Architekten Christian Schramm (1857-1922) aus dem Jahr 1889. Geschuldet war der Bau einer sehr großen Kirchengemeinde, die bis zum Jahr 1900 etwa 20.000 Mitglieder umfasste. Es gab Bibelkreise, Jünglings- und Jungfrauenvereine und viel karitatives Engagement. Und heute gibt es eben Theater, Konzerte und Feste. So wandeln sich die Zeiten. Im nah gelegenen Sankt Pauli Salon in der Hechtstraße 32 werden Töpferkurse, Tai Chi, Tanzen, Singen und sogar Breakdance angeboten. Das kommt natürlich eher für die Anwohner in Frage. Bei unserem Tagesbesuch reicht es uns in die reichhaltige Lebendigkeit des Stadtviertels hinein zu schnuppern. Mit Achtsamkeit gegenüber der Vergangenheit (Krieg, Trümmer, Wiederaufbau) und zugleich festverwurzelt im Jetzt mit den zahlreichen Veranstaltungen und Angeboten. Errungenschaften einer ehrlichen und ehrenamtlichen Kulturarbeit.

Ein neues Leben für die Sankt Pauli Ruine
Wenn Sie zu einer Veranstaltung anreisen (dazu können Sie sich auf dem Online-Kalender der Homepage der Ruine Sankt Pauli erkundigen), dann sind sie in guter Gesellschaft. Pro Jahr besuchen 20.000 Gäste die etwa 80 Theateraufführungen des Vereins und über 50 Gastveranstaltungen wie Konzerte oder Tanz. Für Gruppen im Reisebus außerdem interessant: ab 11 Personen wird 10% Rabatt auf den Eintritt gewährt, ab 25 Personen 20%. Ansonsten gibt es aber auch die üblichen Ermäßigungen. Auf über 1000 Veranstaltungen blickt der zu Recht etwas stolze Veranstaltungsort bereits zurück; und man kann es nur immer wieder betonen – fast alles wird durch ehrenamtliches Engagement ermöglicht. Die hauseigenen Inszenierungen sind oftmals übrigens heiter und erheiternd. Es werden Komödien nach Shakespeare oder auch mal ein Stück zu Monty Python aufgeführt. Es darf sich also amüsiert werden; bei Aufführungen wird das Lachen dann mit leichtem Zittern von den Glaswänden zurückgeworfen. Alles versprüht Leichtigkeit. Hier macht Leben, Theaterspielen, Kulturarbeit und Musizieren Freude!

Matjes im Hechtviertel
Falls Sie vor einer Veranstaltung einen gemütlichen Platz mit Blick auf die Ruine Sankt Pauli suchen und sich darüber hinaus mit leckerem Essen stärken wollen, dann haben wir diesen Tipp für Sie: am Königsbrücker Platz gleich neben der Kirchenruine gibt es die Sankt Pauli Tagesbar. Ein etwas irreführender Name, da das Restaurant mit Freisitz unter der Woche nur ab 17.00 Uhr geöffnet hat. Dafür aber an Samstagen, Sonntagen und Feiertagen von 12.00 Uhr bis Mitternacht. Ganz gleich, ob Sie zu den Salzzitronenwaffeln mit Ziegenkäse und Granatapfelsalat greifen, oder ob Ihnen ein Saltimbocca vom Kalbsrücken mit wildem Brokkoli in den Mund springt, in der Sankt Pauli Tagesbar bereitet schon das Lesen der Speisekarte Freude. Für weniger experimentierfreudige Besucher gibt es aber auch Wiener Schnitzel oder Rauchmatjes im Angebot. Das ist noch kein blauer Hecht, aber immerhin. Spezielle Angebote für Kinder, die ja vielleicht bei einer Theaterveranstaltung oder einem Konzert auch mal dabei sein dürfen, runden das Angebot ab. Die Aussicht vom Freisitz unter den charmant monochromen Markisen auf die Ruine Sankt Pauli bereitet ohnehin Freude. Das gilt auch, wenn Sie vielleicht nach einem Rundgang durch das Hechtviertel hier nur einen Milchkaffee oder Kakao genießen möchten. Es ist wichtig zu wissen, dass für den Zugang ins Innere des Restaurants leider drei Stufen zu bewältigen sind, falls Sie barrierefrei unterwegs sein möchten. Ansonsten lässt sich aber auch dieses Hindernis in einem Stadtteil wie dem Hechtviertel sicherlich lösen – einen kleinen Eindruck von der Hilfsbereitschaft und dem Engagement der Bewohner haben wir hoffentlich vermitteln können. Als Busreisende nehmen Sie dieses Gefühl sicherlich mit und können es gleich einpacken für den nächsten Ausflug!
Hinweise
- Bürozeiten der Sankt Pauli Ruine sind Montag und Donnerstag zwischen 13.00 Uhr und 17.00 Uhr sowie Dienstag und Freitag zwischen 10.00 Uhr und 13.00 Uhr. Dann können Sie unter der Telefonnummer 0351-2721444 auch Karten für Theaterstücke und Veranstaltungen reservieren.
- Sankt Pauli Tagesbar & Restaurant
Tannenstr. 56
01097 Dresden
Telefon: 0351-2751482
E-Mail: office@sanktpauli.in