Köpenick ist einer der wald- und wasserreichsten Bezirke von Berlin. Hier treffen sich Spree, Dahme und Müggelspree. Das Rathaus Köpenick erinnert an den legendären Hauptmann, das barocke Schloss schmückt eine kleine Insel und im Schlosscafé Köpenick gibt es Torten fast wie im Wiener Caféhaus. Was gibt es noch?
Zu Beginn dieser Spielzeit, Ende August, hatte ich sehr viel zu tun. Ich hatte zwei größere Reisen mit drei Vorträgen einschließlich Recherchen vor mir. Eine Rede sollte sogar auf Englisch sein. Das hatte ich zuvor noch nie gemacht. Außerdem standen ein runder Geburtstag und eine Buchpremiere bevor. Freunde einladen, Freunde erinnern, viel telefonieren, Gespräche führen. Alles sehr schön, aber auch viel. Dazu die tägliche Arbeit, wo man den Überblick zu behalten hat, täglich ideenreich und kreativ sein muss. Ich will nicht klagen, es gibt wirklich Schlimmeres und es waren alles positive Anlässe und interessante Herausforderungen. Zumal nach Jahren des jedenfalls äußeren Stillstandes mit Corona. Endlich war wieder was los.
Schönbergs Erwartung und was im Leben so nebenbei passiert

Da meldete sich meine Nichte, die zudem meine Patentochter ist und die ich sehr gern habe. Sie schrieb mir, dass sie in Berlin sei, bei einer Opernproduktion mitarbeite und fragte mich, ob sie vielleicht ein paar Tage bei mir wohnen könne, da ihr WG-Zimmer kurzfristig geplatzt sei. Gut, man muss der Jugend helfen, aber eigentlich wusste ich wirklich nicht, wie das noch gehen sollte, denn wenn meine Patentochter hier ist, wird es immer schön, aber auch trubelig und eigentlich brauchte ich nichts als Ruhe und Konzentration. Kurzfristig klappte es dann doch mit ihrem WG-Zimmer und diese Frage war gelöst. Sie lud mich dann zur Premiere von Erwartung von Arnold Schönberg im Schlossplatztheater Köpenick ein. Ich sagte mir, das ist gut, an einem Abend kann ich weg.
Warum ich das so ausführlich erzähle? Weil sich Opern- und Theaterproduktionen oft genauso spontan und unvorhersehbar entwickeln. Und genauso zum Premierentermin fertig werden müssen wie eine Flugreise.
Schönbergs Oper Erwartung in Köpenick ganz anders

Ich fuhr also an diesem warmen Sommerabend von Berlin-Wedding heraus nach Köpenick. Was eigentlich immer schön ist, denn ich bin in diesem Bezirk Berlins aufgewachsen und liebe die Seenlandschaft dort. Ziemlich genau diesen Weg nahm übrigens der Schuster Wilhelm Voigt, als er im Oktober 1906 nahe der Militärbadeanstalt Plötzensee mittels einer geklauten Uniform einen Trupp Garde-Füsiliere unter sein Regiment brachte und nach Köpenick aufbrach. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ich suchte das Schlossplatztheater und fand es direkt neben dem Rathaus und dem Ratskeller nebenan, der ein beliebtes Lokal ist. Im Sommer kann man hier gut draußen sitzen. Das Schlossplatztheater Köpenick befindet sich tatsächlich in einem ganz normalen Wohnhaus. Ein normaler roter Treppenhausteppich führt hinein nach oben. Dieses Theater bedient sich einer besonders interessanten Lücke. Es spielt zeitgenössisches Musiktheater und Musiktheater für Kinder und Jugendliche. Es verknüpft also den Anspruch der Moderne mit dem Bildungsauftrag für Kinder und Jugend. Ich finde beides zusammen wichtig und für so ein kleines Haus geradezu herausragend und vorbildlich.

Das junge Ensemble der Opéra sur Tréteaux
Erwartung von Arnold Schönberg, die Uraufführung war 1924, ist ein Monodrama für eine Sängerin und eigentlich eine kurze, große Oper für ein ganzes Orchester. Hier im Schlossplatztheater gab es die Begleitung einzig am Flügel. Die expressionistische Musik ist für einen dramatischen Sopran geschrieben. Das freie Ensemble um die jungen Künstlerinnen der Opéra sur Tréteaux meisterte die Herausforderung bravourös.
Die Fabel des Librettos behandelt das Warten. Eine Frau wartet nachts vergebens auf ihren Geliebten. In dieser Situation begibt sie sich auf die Suche nach sich selbst. Die Partitur spielt mit den Orientierungsversuchen der Hauptfigur und erzählt sie in mannigfaltigen Schattierungen. Die Inszenierung versucht eine Transformation ins Taschenformat.

Die junge internationale Truppe der Opéra sur Tréteaux, bestehend aus der Sängerin Sophie Catherin, der Pianistin Justine Eckhaut, der Regisseurin Laure Catherin, der Ausstatterin Isabelle Kaiser, der Dramaturgin Giulia Fornasier, der Regieassistentin und anderen, meisterte diese Aufgabe hervorragend. Sie haben das schwere Stück erstaunlich leicht und spielerisch genommen, ebenso interpretiert und gespielt. Meine Erwartungen wurden gebrochen. Die tolle Sängerin, Sophie Catherin, füllte mit großer Stimme den kleinen Raum absolut. Diese Theaterarbeit brachte junge Frauen aus Frankreich, Südafrika, Deutschland zu gemeinsamer Arbeit zusammen. Die anschließenden Premierenfeier war ein wunderbares „Sprachbad“ aus verschiedenen Sprachen, Sätzen und Klängen. Eine fantastische Eröffnung der Theaterspielzeit 2022/23 nach der langen Corona-Pause.

Ich war sehr froh, dass meine Nichte mich nach Köpenick entführt hat.