Wussten Sie schon, dass Autos Hochzeit feiern? Haben Sie schon mal ein Roboterballett gesehen und wissen Sie, ob in einer Automobilfabrik des 21. Jahrhunderts die Fahrzeuge noch vom Band rollen?
Eine spannende Führung durch die Gläserne Manufaktur beantwortet all das. Die Elektromobilitätswende hat längst begonnen – mit großen Schritten geht es in die Zukunft.
Kennen Sie Roger Shepard (1929-2022)? Der kürzlich verstorbene Psychologe und Experte für räumliche Beziehungen wurde unter der kalifornischen Sonne geboren und entdeckte die nach ihm benannte Shepard-Skala. Das ist eine Tonleiter, bei welcher der Zuhörer der Illusion erliegt, er nehme eine unendlich ansteigende Abfolge von Tönen wahr. Das klingt in unseren Ohren, als ginge dieser Sound gut vorwärts. Wenn man dann noch einen Musikproduzenten darauf ansetzt, damit herumzuspielen, kommt etwas heraus, was man vielleicht neudeutsch intelligent design nennen könnte. Und jetzt kommen wir zum Clou unserer Einführung: der VW ID steht mit seinem Buchstabenkürzel exakt dafür. Als ein erst seit zwei, drei Jahren vom Band laufendes Elektroauto mit entsprechend leisem Antrieb benötigt er verpflichtend künstliche Motorengeräusche, wenn er mit weniger als 20 km/h durch urbane Räume gleitet. Diesen Motorensound mit seiner komplexen Vita bekommen Sie vorgeführt, wenn Sie beim Besuch der Dresdener Gläsernen Manufaktur ein solches Fahrzeug erwerben. Dafür müssen Sie allerdings gut 40.000€ flüssig haben. Dann wird das E-Automobil Ihnen aber auch im Showroom mit Videoleinwänden und viel PR präsentiert.

Die Gläserne Manufaktur und eine zwiegespaltene Architekturbetrachtung
Wir machen aber heute erst mal nur einen Besuch in der Fabrik im Aquarium. So nennt der Volksmund die Gläserne Manufaktur, die am Großen Garten südöstlich der Dresdener Altstadt Anfang des Millenniums gebaut wurde. Mit futuristischer Architektur ist es ja so eine Sache. Es ist gar nicht so leicht, eine zeitlose, am besten noch avantgardistische Formensprache zu finden, die nicht nach wenigen Jahren etwas verhoben und überambitioniert ausschaut. Ein wenig scheint das dem Werk des Architekten Gunter Henn passiert zu sein, obwohl er doch der Sohn des bekannteren Architekten für technische Gebäude Walter Henn (1912-2006) ist, der seinerseits an der Akademie der Künste in Dresden studiert hat. Das viele Glas, die versetzten Baukörper, die übereinandergestapelten Autopräsentationswände – sie alle wirken ein wenig so wie der Potsdamer Platz, der in den 90er Jahren in Berlin geschichtsvergessen aus dem Boden gestampft wurde. Aber wir wollen nicht zu hart mit dem Gebäude ins Gericht gehen. Schließlich ist das Geschmackssache und viele Dresdener und Besucher sind ganz fasziniert von dem transparenten Bau, der teilweise von Wasser und inzwischen auch einigen stattlichen Bäumen umgeben ist. Das muss man der Gläsernen Manufaktur unbedingt zu Gute halten!

Autohochzeit in der Gläsernen Manufaktur
Wir sind heute mit dem Reisebus hierhingefahren, um uns bei einer wirklich faszinierenden, etwa einstündigen Führung den Bau der kleinen Kollegen anzuschauen, also die PKW-Produktion. Einen Parkplatz finden Sie übrigens direkt entlang der beiden Ausfallstraßen, die sich hier am nordwestlichen Ende des Großen Gartens am Straßburger Platz schneiden. Als Erstes überrascht die Sauberkeit der Autofabrik. Unter Fabrik hatten wir uns irgendwie etwas anderes vorgestellt. Aber die Autos sind natürlich noch keinen Meter gefahren, die Bauteile sind frisch aus den Pressen dieser Welt. Elektronik, Akkus, E-Motoren. Reinräume, in denen die Arbeiter mit weißen Kitteln komplexe Bauteile zusammensetzen, sind da nur konsequent. Was hier nach dutzenden Produktionsschritten und so einigen Arbeitsstunden vom Band rollt, wirkt vor allem durch die große optische Transparenz auf uns. Dann kommt tatsächlich das viele verbaute Glas gut zum Tragen. Die Böden wirken in ihrem schlichten Braun fast wie hölzernes Parkett. Alles wirkt frisch gebohnert, poliert und sauber. Autoproduktion im 21. Jahrhundert mit allem, was wir uns in unserer Fantasie vielleicht erhofft haben. Die weißen sich selbst bewegenden Maschinenarme, die Karosserieteile und Reifen bewegen. Ein Roboterballett zum Zuschauen. Braucht es da überhaupt noch Menschen für den Zusammenbau? Unbedingt, der Schein der vollen Automatisierung trügt etwas. Gut 400 Leute arbeiten hier und geben den Autos nach und nach ein Gesicht. Es gibt mehrere Dutzende Fertigungsschritte, verteilt über drei Etagen. Wenn die Karosserie und der Unterbau zusammengebracht werden, spricht man übrigens tatsächlich von Hochzeit. Im Autoland Deutschland ist eben alles emotional sehr aufgeladen, was unseren treusten Vierbeiner, den mit den Reifen, betrifft.

In der Gläsernen Manufaktur könnte man vom Boden essen
Der Zuspruch ist enorm. Seit Eröffnung vor gut 20 Jahren haben schon über zwei Millionen Besucher die Gläserne Manufaktur besucht. Die 83.000 m2 große Fabrik hat also 100.000 Gäste pro Jahr. Daher starten die Führungen von Montag bis Samstag zwischen 9.00 Uhr und 17.00 Uhr stündlich. Es ist trotzdem unbedingt ratsam, sich vorher telefonisch oder über die Homepage der Gläsernen Manufaktur anzumelden. Natürlich umso mehr, je größer die Reisegruppe ist. 9€ kostet die Besichtigung; ermäßigt 6€. So bleibt noch etwas Geld übrig, wenn man im Anschluss in der hauseigenen Gastronomie (Vitrum Dresden) einen Kaffee mit Kuchen oder auch eine VW-Currywurst oder einen e-Burger essen möchte. Die Produkte heißen tatsächlich so. Die Gastronomie hat zusätzlich auch an Sonntagen von 11.00 Uhr bis 15.00 Uhr geöffnet, wenn die Förderbänder stillstehen. Übrigens gibt es keine wirklich Förderbänder, die Autos hängen und fliegen eher von Station zu Station. Aber zurück zur Gastronomie: sie ist ziemlich schick, eine gehobene Kantine mit Perspektiven durch das Gebäude hindurch und aus dem Aquarium heraus. Man kann sich vegetarische Schüsseln zusammenstellen lassen und auch ein Business Lunch mit drei Gängen ist im Angebot. Dafür sind dann allerdings 24€ zu investieren. Auch das lässt sich noch steigern – am letzten Sonntag im Monat gibt es ein Brunchangebot für 44€. Vielleicht gesellt sich für den Preis auch mal jemand aus der VW Geschäftsetage dazu; Sie sehen, für jeden findet sich ein passendes Angebot. Auch wenn die Architektur nicht so ganz an das barocke Dresden anknüpft, so wurde hier doch in den Anfangsjahren des neuen Jahrtausends auf Glanz gesetzt. Zunächst wurde der Phaeton hier viele Jahre hergestellt, dann folgte der Eintritt in die elektromobile Zukunft mit dem e-Golf und nun gibt es mit dem ID eben (so der Konzern) das Intelligente Design des 21. Jahrhunderts serviert. Heckmotoren, große Displays, Panoramadachfenster, natürlich Automatikgetriebe und nach Bedarf modular viel Elektronik an Bord.

Vom Ausstellungspalast zur Gläsernen Manufaktur
Wir haben uns bei unserem Besuch gefragt, wie das Gebäude an die exponierte Lage am Rande des ehrwürdigen Großen Gartens gelangt ist? Übrigens bietet sich in der großflächigen Parkanlage im Anschluss ein Spaziergang durch die Natur an. Oder zumindest durch den direkt angrenzenden, nicht allzu großen Botanischen Garten. Die Geschichte zur Vergangenheit des Ortes ist in der Tat spannend. Hier wurden nicht immer Autos ausgestellt, aber tatsächlich gibt es eine große Tradition in Präsentation. 1885 fand hier eines der ersten Deutschen Turnfeste statt und 1887 zeigte sich der Große Garten im Rahmen einer internationalen Gartenbau-Ausstellung von seiner besten Seite. Also wurde noch zu Zeiten vor der Regentschaft des letzten sächsischen Königs beschlossen, einen Ausstellungspalast zu errichten. In dem prächtigen Bau gab es Kunst- und Gewerbeausstellungen. Später eine Sternwarte und ein Planetarium, wie es das heute nur noch im nahegelegenen Radebeul zu bestaunen gibt. In den Dresdener Bomben- und Brandnächten von 1945 wurde auch der Ausstellungspalast so zerstört, dass 1949 die Sprengung der stehengebliebenen Reste verfügt wurde.

Ausstellungszentrum zu DDR-Zeiten
Ein zwanzigjähriges Atemholen folgte, bis im Jahr 1969 das neue Ausstellungszentrum am Fučíkplatz eröffnet wurde. Eine doppelte Halle, die dank raffinierter Architektur einen riesigen säulen- und ständerfreien Innenraum ermöglichte. Auch damals wurden schon Superlative bemüht. An erster Stelle wurden über 8.000 m2 Parkplatz beworben, außerdem 4.000m2 Ausstellungsfläche und ein Freigelände mit nochmal 8.000 m2. Unter dem hübschen Namen Dresdener Vogelwiese fanden hier in den 70er und 80er Jahren große Volksfeste statt. Immerhin fuhr und fährt ja auch die Pioniereisenbahn damals wie heute quer durch den Park. Natürlich heißt sie inzwischen nicht mehr Pioniereisenbahn und sie hat auch einen neuen Hauptbahnhof bekommen – mit dem Namen, Sie erahnen es, Gläserne Manufaktur. Dampflock und E-Mobilität greifen hier mal ineinander. Das ist doch ein versöhnlicher Gedanke, wenn es mit dem Reisebus wieder zurück auf den Asphalt geht!

Hinweise
- Die Gläserne Manufaktur (Lennéstr. 1 / 01069 Dresden) hat Montag bis Samstag von 10.00 Uhr bis 17.00 Uhr für Führungen geöffnet. Die Telefonnummer für Reservierungen: 0351-4204411
- Auch bei der Gastronomie in der Gläsernen Manufaktur können Sie mit größeren Gruppen reservieren. Dann allerdings unter der Telefonnummer: 03514204250
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