Wir besuchen Leipzigs bekannteste Pianistin.
Clara Schumann. Am Originalschauplatz.
Treten Sie ein in die erste gemeinsame Wohnung von Robert Schumann und seiner Frau.
Es sind Clara Schumanns Hände. Sie können angefasst und berührt werden. So wie auch der Zauber von Clara Schumanns Klavierspiel bis heute berührt. Ihre eigenen Kompositionen und vor allem auch die Stücke ihres Ehemannes Robert Schumann, welche sie wie keine andere als Pianistin aufgeführt und zur Geltung gebracht hat – bis weit über seinen Tod hinaus. Sie wirken fast überrealistisch groß, doch handelt es sich um eine maßstabsgetreue Replik. Wie nach einem Gipsabdruck gefertigt, ruhen die Hände auf einem Pult. Genau genommen handelt es sich nur um eine Hand, aber an einem Ort, der so viel Authentizität atmet und auf die Vergangenheit von Clara Schumanns Leben und auf ihr Wirken verweist, sei so viel Freiheit gestattet. Legt man jedenfalls seine eigene Hand auf die Hände – Pardon, auf die Hand Claras (so wird sie hier liebevoll und zugleich respektvoll genannt), dann erklingen sozusagen (der Kalauer sei gestattet) `im Handumdrehen´ Töne im Raum.
Leider sind es nicht von Clara Schumann selbst gespielte Melodien, die wir hören; es gibt bedauerlicherweise keine Tonaufnahmen ihres Schaffens. Auch wenn es mit viel Glück nicht unmöglich gewesen wäre. Thomas Edison erfand 1877 den Phonographen und die ältesten noch existierenden Klavieraufnahmen stammen vom Ende des 19. Jahrhunderts; Clara Schumann starb am 20. Mai 1896.
Clara und Robert Schumann – Liebe auf den ersten Ton
Aber wir wollen uns hier dem Leben von Clara Schumann zuwenden, insbesondere einem frühen Lebensabschnitt. Denn wo befinden wir uns? Wir sind in einem erhalten gebliebenen vornehmen bürgerlichen Viertel Leipzigs. Seit 1838 steht hier in der heutigen Inselstraße 18 ein Haus im klassizistischen Stil, in deren Beletage Clara Schumann als 21-jährige frisch verheiratet mit dem neun Jahre älteren Robert Schumann einzog. Das war im Jahr 1840. Der als berühmter Komponist der Romantik in die Nachwelt eingegangene ging schon früher bei den Wiecks, so Claras Geburtsname, ein und aus. Er hatte Unterricht bei Friedrich Wieck genommen, der erdrückenden, aber auch unabdingbar mit Claras großem Erfolg verbundenen Vaterfigur. Dieser war selbst Klavierlehrer gewesen und konnte eine Klavier- und Musikwarenhandlung sein eigen nennen. Die Liaison seiner Tochter mit dem Zukünftigen traf aber auf erbitterten Widerstand, wurde letztlich von den Jungverheirateten gerichtlich erkämpft und entzweite Clara für längere Zeit von ihrem Vater.
In 200 Jahren von den eigenen vier Wänden zum Museum und Veranstaltungsort
Und eben diese Wohnung, die den Beginn des gemeinsamen Lebens und Wirkens von Clara und Robert Schumann markiert, ist heute Museum, Veranstaltungsort und pädagogischer Lernort der Freien Clara-Schumann-Grundschule. Die Europäische Stiftung für Bildung und Kultur hat das Haus 2014 erworben, Träger des Museums und der Veranstaltungen ist der Schumann-Verein Leipzig e.V.. Nicht nur das Treppenhaus und die Kutscheneinfahrt des Hauses ist erhalten, auch der Schumann-Saal mit knarzenden Dielen aus dem 19. Jahrhundert und Robert Schumanns Arbeitszimmer. Dank Aufzug ist die ehemalige Künstlerpaarresidenz barrierefrei zu erreichen. Ein Audiorundgang, induktive Höranlagen und Grundrisskarten in Brailleschrift gehen in herausragender Weise auf die Bedürfnisse von Sehbehinderten ein. Schon der Online-Auftritt des Hauses ist bereits sehr aufwendig und ansprechend gestaltet.
Clara Schumann. Ihre Kinder. Ihre Komponisten. Ihre Reisen
Clara Schumann war auch Mutter. Die ersten beiden von insgesamt acht Kindern Claras wurden in Leipzig geboren. Daher gab es ein Dienstmädchenzimmer in der insgesamt vier Jahre lang bewohnten Bleibe der Schumanns. Dort befindet sich heute ein Hörkabinett mit Sitzgelegenheiten und festinstallierten Monitoren mit Kopfhörern. Hier werden dem interessierten Zuhörer eingesprochene Ausschnitte aus Briefen vorgelesen und es gibt natürlich musikalische Fragmente aus dem Repertoire der Schumanns. Clara Schumann spielte neben den Kompositionen ihres Mannes zeitlebens häufig auch Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy, Frédéric Chopin und Ludwig van Beethoven.
Im Reisekabinett bildet eine große Landkarte an der Wand die Fahrten Claras zu ihren Auftritten ab. Die in Leipzig geborene Clara Schumann fing erst mit vier Jahren richtig an zu sprechen, hatte die Musik aber bereits so in sich aufgesogen, dass sie schon mit neun Jahren im damaligen Leipziger Gewandhaus spielte und mit elf Jahren auf eine erste Europareise ging. Zusammen mit ihrem Vater, der sich als `Impresario´ verstand. Heute würde man sagen als `Manager´ des geförderten Töchterchens. Mit 18 Jahren spielte sie in Wien und feierte dort ihren Durchbruch als Virtuosin am Klavier. Daraufhin ging sie nach Paris und sollte sich dadurch zum ersten Mal ein wenig aus der Fesselung des Vaters befreien. Mit 23 Jahren, da lebte sie schon zwei Jahre an der Seite von Robert Schumann in der Inselstraße, führten sie Konzerttourneen in die norddeutschen Hansestädte Hamburg und Bremen, nach Kopenhagen, nach Moskau und nach St.Petersburg, wo sie zusammen mit ihrem Mann von der Zarenfamilie empfangen wurden. In erster Linie diese Konzertreisen finanzierten den Lebensunterhalt der Schumanns.
Komponieren und Klavierspielen in den eigenen vier Wänden. Der Schumann-Saal
Zurück in der Leipziger Wohnung, die wir hier auf so einzigartige Weise erleben können, setzte sich Robert wieder ans Komponieren und an das Verfassen von Artikeln für die von ihm mitbegründete und bis heute existierende Neue Zeitschrift für Musik. Clara versuchte derweil ihr virtuoses Spiel in noch höhere unerreichte Ebenen zu treiben. Kein leichtes Unterfangen, da sich Robert davon in seiner konzentrierten Arbeit abgelenkt fand. Davon zeugen die Einträge im erhaltenen und aufgearbeiteten gemeinsamen Tagebuch, in dem sich die Neuvermählten gegenseitig Liebesschwüre bewiesen, aber auch Kritik und Anregung nicht aussparten. Ein Mittel der indirekten Kommunikation für ein Paar, das sich ganz offensichtlich allervorderst in der Sprache der Musik miteinander verständigte.
Die Hauptattraktion des Clara-Schumann-Museums ist allerdings der mit einem Flügel bestückte Schumann-Saal, in dem selbst die Wandverzierungen originalgetreu restauriert wurden. Weite Flügeltüren lassen sich öffnen zum Austritt auf den Balkon. Das erste offiziell gemeinsame Konzert gaben die Schumanns zwar 1841 im Gewandhaus, aber es kann als sicher gelten, dass die damals aufgeführte Sinfonie Nr.1 von Robert Schumann (auch als Frühlingssinfonie bekannt) und das ebenfalls aufgeführte Lied Am Strande von Clara Schumann auch schon in diesem Raum zum Besten gegeben wurden. Hausmusik in ihrer tiefsten und innigsten Bedeutung! Als Gastgeber und zum gemeinsamen Musizieren empfingen die Schumanns auf diesen, fast möchte man schreiben `heiligen Dielen´, unter anderen niemand geringeres als Franz Liszt, Felix Mendelssohn Bartholdy, Richard Wagner und Hector Berlioz. So wurde dieses Haus ein musikalisch-kultureller Mittelpunkt des sich dem Ende zuneigenden 19. Jahrhunderts.
Konzerte im Schumann-Saal
Wenn Sie denken, das ließe sich nicht mehr steigern, dann haben Sie weit gefehlt. Es ist tatsächlich möglich, an diesem Ort Konzerte zu erleben. Studierende der Hochschule für Musik und Theater treten hier auf. Auch gibt es Konzertreihen wie Schumanns Salon, bei der immer wieder intensive Kammermusikerlebnisse zu erfahren sind. Der Schumann-Saal kann sogar für eigene Konzerte und Veranstaltungen gemietet werden; bis zu 50 Personen finden hier Platz. Vielleicht möchten ja auch Sie wie die Schumanns vor über 180 Jahren Freunde und Wegbegleiter einladen, um eigene Uraufführungen zum Besten zu geben? Sicher ein unvergessliches Erlebnis. Wer nicht ganz so hoch hinaus will, kann sich nach Absprache und gegen Entrichtung eines entsprechenden Obolusses sogar an einem kleinen Privatkonzert erfreuen. Extra für Reisegruppen ist es möglich, Gruppenführungen mit und ohne musikalischem Auftritt im Vorfeld abzusprechen.
Der letzte Akt. Der frühe Tod von Robert Schumann und das lange Leben von Clara Schumann
Aber zurück zum Ehepaar Schumann. Später, aber das war dann schon 1853 in ihrem Düsseldorfer Domizil, empfingen sie dann auch Johannes Brahms. Dieser sollte Clara ein treuer Lebensfreund werden. Insbesondere nach dem Suizidversuch Roberts 1854 (er sprang in den Rhein) und seinem zwei Jahre späteren Tod nach langem Aufenthalt in einer Nervenheilanstalt. Schließlich war Clara beim Tod ihres Ehemannes erst 37 Jahre alt. Sie sollte Robert Schumann um 40 Jahre überleben, bevor sie selbst in Folge zweier Schlaganfälle 1896 in Frankfurt am Main starb. In diesen Jahrzehnten sollte sie, die ihr letztes Konzert 1891 im Alter von 72 Jahren spielte, maßgeblich durch ihre Aufführungen den unvergänglichen Ruhm Robert Schumanns begründen. Sie sorgte auch für die Veröffentlichungen seiner Schriften und Kompositionen.
Clara Schumann. Der Nachruhm einer Pianistin
Vielleicht ist dies auch ein Grund, warum diese emanzipierte Pianistin, Komponistin, Mutter und Ehefrau zu ihrem 200. Geburtstag so besonders geehrt wurde; und in ihrer Geburtsstadt Leipzig hat sie spätestens seit dem Jubiläumsjahr 2019 einen würdigen Platz in dem Museum erhalten, das ja so viel mehr ist als ein bloßes Museum. Eine Sache sei noch verraten: Das Clara-Schumann-Museum heißt in Wirklichkeit Schumann-Haus und verneigt sich unter dem Direktor Gregor Novak ehrenvoll vor Robert und Clara Schumann. Da erstgenannter sich aber auf einer Art gemeinsamen Wappen im Silhouettenschnitt räumlich vor seiner Frau hat abbilden lassen – schließlich sei der Komponist wichtiger als die Aufführerin – so stellen wir diesmal Clara, ganz ohne den Glanz ihres Mannes zu schmälern, in den Vordergrund. Dort stand sie übrigens schon einmal – vielleicht erinnert sich ja noch jemand an den letzten 100 DM Schein?
Die Inselstraße im Graphischen Viertel von Leipzig
Wenn Sie mit dem Reisebus anreisen, ist es übrigens ratsam, dass er sie am Rande des Graphischen Viertels, in dem auch die Inselstraße liegt, herauslässt. So können Sie sich entlang von herrschaftlichen Altbauten dem Schumann-Haus annähern. Im 19. Jahrhundert siedelten sich Verlage wie Reclam oder Brockhaus hier an. Es gibt einen Gutenbergplatz und ein Haus des Buches, aber das ist eine andere Geschichte. Vielleicht ja bereits eine Idee für eine erneute Reise nach Leipzig?
Hinweis
Wer sich partout um die schöne Reise nach Leipzig bringen möchte, für den bietet das Schumann-Haus sogar Digitale Live Online Führungen an (Mindestteilnehmerzahl 10 Personen). Kontakt zum Schumann-Haus (auch zur Planung Ihres Privatkonzertes):
Schumann-Verein Leipzig e.V.
Inselstraße 18
04103 Leipzig
Tel.: +49 341 39 39 2191 / info@schumannhaus.de
Lesenswert
Beatrix Borchard: Clara Schumann. Ihr Leben, Georg Olms Verlag, Hildesheim Zürich, 2015