Wir sind das Volk! Lange vor der unerträglichen versuchten Aneignung dieses Slogans durch die AFD war er im Herbst 1989 auf Leipzigs Straßen zu hören. Was ist aus der damaligen Dienststelle für Staatssicherheit geworden?
Was können wir an einem authentischen Ort über Geschichte lernen?
Ein Ausflug mit dem Reisebus nach Leipzig bringt uns den Antworten auf diese Fragen näher.
Der 04. Dezember 1989 war ein Montag. Aber kein gewöhnlicher Montag in Leipzig. Der Tag, der als Tag der friedlichen Revolution in die Geschichtsbücher eingehen sollte, lag gerade einmal ein paar Wochen zurück. Am 09. Oktober 1989 hatten in Leipzig etwa 70.000 Menschen friedlich für politische Veränderungen demonstriert und leiteten damit das Ende der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) ein. Die Montagsdemonstrationen, auf denen zehntausendfach die Rufe Wir sind das Volk! erklungen waren, setzten sich im ganzen Herbst 89 fort. Am 09. November 1989 fiel bekanntlich die Mauer und so galt es, sich sofort den nächsten Aufgaben zuzuwenden. Der Staatssicherheitsdienst der DDR machte sich daran, an all seinen Dienststellen Unterlagen zu vernichten. Um dem Einhalt zu gebieten, besetzten nach der Montagsdemonstration am 04. Dezember 1989 die Leipziger Bürgerinnen und Bürger das Gebäude.
Von der Dienststelle der Staatssicherheit zur Stasi-Unterlagen-Behörde
40 Jahre lang war von hier aus überwacht worden. Es wurden gefälschte Pässe hergestellt, private Briefe geöffnet und Telegramme abgefangen. Vor allem aber wurden Akten angelegt. Mit Informationen, welche die bis zu 200.000 IMs (Inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit) freiwillig oder unter Druck über ihre eigenen Landsleute, Freunde, Kollegen und Familienmitglieder zusammengetragen haben. Und so ist es konsequent, dass an diesem Originalschauplatz der Geschichte heute eine der Außenstellen der Stasi-Unterlagen-Behörde arbeitet. Im gleichen Gebäude, welches einst als zweiflügeliger Bau von dem berühmten Leipziger Architekten Hugo Licht entworfen wurde, befindet sich auch das Stasi-Museum Leipzig. Und dem statten wir heute einen Besuch ab!
Das Stasi-Museum und seine Geschichte
Das vom Volksmund aus naheliegendem Grund auch Museum in der Runden Ecke genannte Gebäude beherbergte zunächst nach seiner Errichtung in den Jahren 1911 bis 1913 die Alte Leipziger Feuerversicherung. Nachdem das Gebäude unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges in US-amerikanischer Hand war, wurde es schon im Juli 1945 an die Sowjetische Besatzungszone übergeben. In den 50er Jahren wurde angebaut, damit die Genossen von der SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) auch einen Kinosaal und eine eigene Kegelbahn hatten. Es gibt sogar noch einen DDR-Neubau aus den 80er Jahren. Diese Erweiterung des Staatssicherheitsdienstes liegt sozusagen versteckt auf der vom Innenstadtring abgewandten Seite. Das Erdgeschoss ist bewusst fensterlos und nach Zwischennutzung durch das Arbeitsamt nach der Wende wird nun für die kommenden Jahre in Leipzig eifrig über einen Abriss und mögliche Neubauten diskutiert. Die Alte Fleischergasse führt an dem Gebäudetrakt vorbei und zu einem großen öffentlichen Parkplatz, an dem Sie mit Ihrem Reisebus stehen können. Allerdings gibt es sogar eigens am Dittrichring unmittelbar vor dem Stasi-Museum einen Busparkplatz. Falls der frei ist, können Sie direkt aus dem Reisebus heraus und ins Museum hinein gehen. Die Betonung liegt hierbei allerdings auf Gehen; barrierefrei ist der Zugang zur Ausstellung über die kleine Treppe mit ihren fünf Stufen leider nicht ohne Weiteres. Das Museum bittet Rollstuhlfahrer, sich mit ausreichend zeitlichem Vorlauf vor einem Besuch telefonisch zu melden. Dann kann wohl eine Zugangsmöglichkeit zum Gebäude und somit zum Stasi-Museum im Erdgeschoss geschaffen werden.
Unaufgeregte Dauerausstellung im Stasi-Museum
Zur Vorwarnung. Es handelt sich nicht um eine zeitgemäße, modern aufbereitete Ausstellung, wie wir das vielleicht von anderen Museen gewohnt sind. Es ist in erster Linie eine Objektschau hinter Vitrinen an historischem Ort. Aber vielleicht ist das gar nicht so wichtig. Schließlich geht es hier neben Geschichtsvermittlung auch um das Werben für demokratische und freie Gesellschaften. Natürlich könnte dies auch mit modernen Medien und aufwendigen Inszenierungen erreicht werden. Aber irgendwie ist es auch wohltuend, nicht so erschlagen zu werden und alles ganz nüchtern präsentiert zu bekommen. Hier geht Inhalt klar über Form. Auch ist es von besonderem Wert, dass wir hier noch immer dem Linoleum und den teilweise vergitterten Fenstern von einst begegnen.
Die Friedliche Revolution als Antwort auf die totale Überwachung
Es gibt einen Ausstellungsbereich zur Friedlichen Revolution 1989, ein originalgetreu eingerichtetes Dienstzimmer eines Mitarbeiters des Ministeriums für Staatssicherheit und eine nach selben Ansprüchen rekonstruierte Zelle für politische Häftlinge. Dienstuniformen sind zu sehen, aber auch konkrete Objekte, welche Geschichte anschaulich werden lassen. Es ist doch etwas anderes, eine Aktenschreddermaschine, eine Apparatur zum geheimen Öffnen von Briefen, alte Überwachungskameras und Abhörwanzen mal aus nächster Nähe sehen zu können. Leicht kommen einem Gedanken an heutige Überwachungs- und Abhörskandale, an das Hacken von Daten, an Cyberkriminalität, Datenschutzdiskussionen und Privatsphäre in den Sinn. Hier wird uns aber vor Augen geführt, wie ein ganzer Staat seine eigenen Bürger überwacht, gegängelt und verdächtigt hat. Es ist beängstigend zu erfahren, dass seit den 60er Jahren die in der DDR gerichtlich verhängten Todesurteile in Leipzig vollstreckt wurden. 1981 war Leipzig Ort der letzten Exekution in Deutschland. Gut, dass die Dauerausstellung mit dem Titel Stasi – Macht und Banalität auch diesem Fakt Aufmerksamkeit schenkt.
Das Stasi-Museum ist ein lebendiger Ort für Demokratie
Nicht alles haben wir zu sehen bekommen (das Magazin des Stasi-Museums umfasst 40.000 Einzelobjekte), aber doch genug, um eine Ahnung von den düsteren Seiten der DDR-Zeit zu bekommen. Vielleicht wurden wir sogar mit eigenen Erfahrungen und Erinnerungen konfrontiert. Auf jedem Fall haben wir aber auch die Realität von der Selbstbefreiung eingesperrter Bürger und vom Streben nach Demokratie und Freiheit aufgezeigt bekommen. Gefördert wird das vom Bürgerkomitee Leipzig e.V. getragene und organisierte Stasi-Museum übrigens von der Stiftung Sächsischer Gedenkstätten. Also einer Organisation, die politisch weder auf dem rechten noch auf dem linken Auge blind ist. Sie hat sich laut eigener Leitlinien der Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Diktatur und der kommunistischen Diktatur in der sowjetischen Besatzungszone und in der DDR verschrieben. Und so verlassen wir die zu Zeiten des SED-Regimes noch als Erich Mielkes Ministerium der Angst verschriene ehemalige Dienststelle für Staatssicherheit mit einem aufgeräumten Gefühl. Bewegt und um einiges klüger als zuvor – wenn das nicht eine gelungene Planübererfüllung für unseren heutigen wissbegierigen Ausflug mit dem Reisebus nach Leipzig ist!
Hinweis
Adresse und Kontakt zum Stasi-Museum:
Dittrichring 24 / 04109 Leipzig
Telefon: 0341/961 24 43
Öffnungszeiten:
Das Stasi-Museum hat Montag bis Sonntag von 10.00 Uhr bis 18.00 Uhr geöffnet /
Für Führungen bitte telefonisch anfragen. In der Regel ab fünf Personen. /
Es gibt aber auch immer einen informativen Audioguide! Der Eintritt beträgt 5€, ermäßigt 4€
Lesens- und Sehenswert
Es gibt viele tolle und wichtige Bücher zur DDR-Zeit. Wir empfehlen hier mal zwei:
Der Roman In Zeiten des abnehmenden Lichts von Eugen Ruge aus dem Jahr 2011 ist ein Mehrgenerationenroman, der 2017 auch von Matti Geschonneck verfilmt wurde. Das Buch ist um Längen besser als die bewegten Bilder. Da schaut man dann doch lieber den DEFA Klassiker Die Legende von Paul und Paula aus dem Jahr 1973.
Im Jahr 2021 ist das Buch Walzerfahrt zum Mond. Eine Leipziger Kindheit im Lehmstedt Verlag erschienen. Der Autor Eberhardt Schröter reist in die Vergangenheit der 60er Jahre. Und in seine Eigene.
Als Spielfilm über den Staatssicherheitsdienst der DDR war 2006 der Film Das Leben der Anderen von Florian Henckel von Donnersmarck sehr erfolgreich. Empfehlenswert!