Ein geheimnisvoller Löwe mit dem Namen Tamrin, ein Hirsch auf einer kleinen Lichtung, Biber bei ihrer Burg.
Alles so lebensecht, dass wir den Tieren ganz nahe kommen.
Im Naturkundemuseum Leipzig führen Sie ein zweites Leben.
Erschaffen von Menschen, die merkwürdige Berufsbezeichnungen wie Dermoplastiker und Tierpräparator tragen.
Erkunden Sie mit uns gemeinsam, wie toten Tieren neues Leben eingehaucht wird.
Ein viel zu kurzer Blick auf einen bunten Papagei und schon ist er weggeflogen. Der Löwe döst weit weg vom Besucher in einer versteckten Ecke. Und immer wenn das kleine Äffchen grade das perfekte Fotomotiv abgeben könnte, dreht es hastig das Köpfchen. Kommt Ihnen das bekannt vor? So großartig ein Zoobesuch auch ist, vor allem im Leipziger Zoo mit seinem berühmten Gondwanaland, so toll wäre es doch auch, den Tieren einmal auf den Pelz oder an das Gefieder rücken zu können. Ihre Gesichter zu studieren, ihren Körperbau zu betrachten, dem Fell und den Federn ganz nah zu sein. Diese Möglichkeit gibt es. Wir besuchen das Leipziger Naturkundemuseum.
Der Gründervater des Naturkundemuseums in Leipzig
Auf 800 m2 präsentieren sich Dauer- und Wechselausstellungen im klassizistischen Bau aus den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts. 2023 wird ein großes Jubiläum ins Haus stehen, denn 1923 zog das Naturkundemuseum von einem anderen Standort in das ehemalige Schulgebäude. Es hatte schon seit 1912 als Naturkundliches Heimatmuseum an anderem Standort existiert. Als Vater der Idee gilt Emil Adolf Roßmäßler (1806-1867), Forscherkollege von Alexander von Humboldt und begeisterter Aquarianer. Er verfasste toll klingende Artikel mit Namen wie Der Ocean auf dem Tische oder Der See im Glase. Das Schmunzeln weicht der Begeisterung, nähert man sich den lebensecht wirkenden Präparaten.
Die Geschichte von Herman H. ter Meer
Viele dieser Präparate sind wirklich berühmt. Einer der herausragendsten Tierpräparatoren überhaupt war der niederländische Tierpräparator Herman H. ter Meer (1871-1934). Er war ein wahrer Künstler und Pionier dessen, was sich heute Dermoplastik nennt. Dermoplastik heißt im Altgriechischen so viel wie Gestalten mit der Haut und bezeichnet die lebensgetreue Nachbildung von Lebewesen für Bildungs- und Ausstellungszwecke. Und die Tierhaut, die abgezogen, gereinigt, entfettet, gegerbt, haltbar gemacht und herausgeputzt wird, ist es ja tatsächlich das, was uns in erster Linie begegnet im Naturkundemuseum. Sie ist die dünne Schicht, die uns trennt und verbindet mit den mit uns verwandten Tierarten. Denn wir sind alle Teile der großen Familie, die unsere Erde bewohnt oder bewohnt hat; viele Tierarten sind ja bereits ausgestorben oder befinden sich auf dem Weg zu diesem Schicksal.
Das Naturkundemuseum Leipzig und seine Sammlung
Und so ist es natürlich konsequent, dass die Ausstellung sich nicht nur (aber doch zurecht sehr) um die etwa 250 Präparate und Plastiken umfassende berühmte Sammlung von Heinrich H. ter Meer dreht, der im Jahr 2021 seinen 150. Geburtstag hatte. Wir bestaunen atlantisches Walross, Polarfuchs und Schneehase. Der zeitliche Horizont ist irgendwie immer mitgedacht, oder besser mitgefühlt, wenn wir Tieren gegenüberstehen, die ja keine mehr sind, sondern ihre toll aufbereiteten Abbilder. Eine Mischung aus echten Fellen, Glasaugen und künstlichem Innenleben.
Tierpräparation heute. Das Naturkundemuseum in Aktion!
Dass Tierpräparation noch viel mehr ist, als Tieren das Fell abziehen, erlebt man, wenn man einmal einem Tierpräparator wie René Diebitz über die Schulter schaut. Er ist seit gut fünfzehn Jahren am Haus und vielfach ausgezeichnet für seine Arbeiten. Es braucht wirklich eine schaffende Künstlerseele, um aus Materialien wie Styropor, Holzwolle und Draht eine Anatomie wieder zum Leben zu erwecken, die eben einfach echt aussieht. Naturwissenschaftlichen Sachverstand braucht es obendrein; sei es beim Hantieren mit chemischen Lösungen oder beim Konstruieren statisch stabiler Körper. Ein schleichendes Raubtier, ein Vogel im Flug, ein schlafender Nesthocker. So vielfältig wie die echte Natur ist auch die Ausstellung. Interessant sind auch die sogenannten Dioramen. Kleinstlandschaften zeigen die Tiere in ihrer natürlichen ökologischen Umgebung. Enten im sumpfigen Nass, Biber bei ihrer Burg, ein kleiner Hirsch zwischen Bäumen und Gräsern.
Ein Neubau muss her
Einen Wermutstropfen hat der Museumsbau allerdings, in dem es auch noch einen Ausstellungsbereich zur regionalen Ur- und Frühgeschichte sowie zu einem echten Mittelalterschatz aus dem 14. Jahrhundert gibt. Das Gebäude ist ganz einfach in die Jahre gekommen. Das zeigt sich nicht nur an der sehr eingeschränkten Barrierefreiheit, sondern auch an den Möglichkeiten der Präsentation. Hier ist zwar noch nicht unmittelbar Besserung in Sicht, aber natürlich ist das der Stadt Leipzig die Herausforderung bewusst. Mit dem seit 2016 neuen Direktor des Naturkundemuseums war geplant, auf das Gelände der als Galerie- und Atelierstandort bekannten Alten Baumwollspinnerei in Leipzig umzuziehen. Diese Pläne haben sich allerdings zerschlagen. Dafür rückt ein neues Gebäude mit ebenfalls faszinierender Geschichte ins Sichtfeld der Naturkundler. Die Stadt Leipzig hat entschieden, dass das ehemalige Bowlingcenter am Innenstadtring, das 1985 erbaut wurde und durchaus avantgardistisch futuristisch wirkt, neues Naturkundemuseum werden soll.
Die Zukunft des Naturkundemuseums in Leipzig
Eröffnung ist für das Jahr 2029 vorgesehen. Und somit wird, so wie der preisgekrönten Plastinator René Diebitz in die großen Fußabdrücke des Herman H. ter Meer getreten ist, das neue Naturkundemuseum im ehemaligen Bowlingcenter die Geschichte der vielfältigen Leipziger Museumslandschaft fortschreiben. Aber so lange sollten Sie nicht warten, um Leipzig mit dem Reisebus einen nächsten Besuch abzustatten!
Hinweise
- Der Parkplatz direkt vor dem Naturkundemuseum an der Lortzingstr. 3 eignet sich höchstens für einen sehr kleinen Reisebus. Da das Museum direkt am Innenstadtring liegt, verweisen wir auf die touristischen Busparkplätze der Stadt Leipzig. Am besten ist es wohl, Sie lassen sich absetzen und später wieder einsammeln.
- Wollen Sie sich noch intensiver über die leider sehr eingeschränkte Barrierefreiheit informieren (lediglich ein Besuch der Sonderausstellungen im EG ist mit Rollstuhl möglich), dann kontaktieren Sie bitte das Naturkundemuseum unter 0341-982210. Für Hörgeschädigte besteht allerdings die Möglichkeit sich durch die Ausstellung führen zu lassen. Und für sehgeschädigte und blinde Besucher gibt es Felle, Vogelnester und Modelle zum Anfassen – das ist toll! Auch Naturgeräusche und Tierstimmen kommen zum Einsatz.
Lesenswert
Gar nicht so leicht, eine Empfehlung auszusprechen, da es so viele tolle Fotobände mit Tierdarstellungen- und Beschreibungen gibt. Abbildungen der Leipziger Sammlung des Tierpräparators Herman H. ter Meer finden sich im 2004 erschienenen und für 15 € erhältlichen Buch Wie ein zweites Leben: Der Tierbildner Herman H. ter Meer im Passage Verlag. Zu seinem 150. Geburtstag im Jahr 2021 und der Schwerpunktausstellung im Jahr 2022 ist das ein sehr passender Band.