Es lohnt sich immer, vor die Tür zu gehen und sich umzuschauen. Man kann überall was entdecken. Besonders in Berlin natürlich. In anderen Städten müsste es auch klappen. Vielleicht muss man da allerdings länger suchen.
In ganz Berlin sind auf Schritt und Tritt Spuren der Geschichte zu entdecken. Lost Places auf Neudeutsch. Ruinen, Mauern, Viadukte, alte überwucherte Industrieanlagen, Bahnanlagen, Hinterhöfe, Remisen, Schrebergärten, die sind allerdings meist sehr ordentlich. Diese scheinbar vergessenen Orte drohen natürlich zu verschwinden, denn in der Hauptstadt besteht Platzmangel und die Grundstückspreise sind extrem hoch. Einen Lost Place kann man sich also kaum leisten.
Hineingehen, einfach hineingehen

Ich trat neulich in Moabit vor die Haustür, drehte ein paar Runden mit dem Fahrrad und stand plötzlich vor einer fantastischen Skate Anlage. Diese liegt an der Rückseite der JVA Moabit, einem großen Berliner Gefängnis und theoretisch können hier Gefangene den Jugendlichen beim Skateboardfahren zuschauen. Hier treffen Welten aufeinander. Der verurteilte Strafgefangene, der nicht hinaus kann, und der Jugendliche, der sich der Freiheit und dem Risiko aussetzt. Getrennt sind beide Welten durch dicke Mauern und Streetart. Ein Ort mit unglaublicher Spannung, finde ich. Dabei findet man ihn nur durch Zufall, wenn man durch die historischen Eingangshäuschen des Poststadions geht.
Ein versteckter Lebenstraum in Moabit

Ein paar Straßen weiter komme ich an einem Zaun mit einem Schild vorbei. Darauf steht: Geschützschuppen der 6. Batterie, Grundstück Kruppstr. 16. Es handelt sich hier um einen denkmalgeschützten Geschützschuppen mit Pferdeställen auf dem ehemaligen Gelände eines Pulverlaboratoriums des 1. Garde-Feld-Artillerie-Regiments.

Der Künstler und Kunsthandwerker Anderl Kammermeier lebt und arbeitet hier mit seiner Familie seit Ende der achtziger Jahren. Er hat eine Metallwerkstatt. Einmal im Jahr ist offenes Atelier und die Öffentlichkeit darf das Refugium betreten und wird willkommen geheißen. Die Öffnung nach außen ist dem Künstlerehepaar wichtig. Auch die VOGUE war schon hier. Keira Knightley wurde von Mario Testino fotografiert.

Klar, Hidden Places, Lost Places sind eine wunderbare Foto-Bühne. Hier ist einer dieser Orte, die es in Berlin eigentlich nicht mehr gibt. Noch existiert, was 1843 nach Lenne-Schinkelschen Bebauungsplan angelegt wurde.

Ein paar Meter entfernt vorbei an der Lehrter Straße, befindet sich das Gelände des ehemaligen Krankenhauses Moabit, heute Gesundheits- und Sozialzentrum Moabit. Auch hier sind einige vergessene Orte, Lost Places, zu finden. Ein vergessenes Gartenstück, ein Teich. Jedenfalls genug Platz für Kinder, um herumzustromern. So habe ich es früher jedenfalls gemacht. Ob heutige Kinder dafür Zeit haben?

Das elfstöckige Gebäude des Landesamtes für Gesundheit und Soziales, LAGeSo, das Ende der siebziger Jahre fertiggestellt wurde, ist heute weiter Sitz dieser Behörde. Wer sich traut, kann mit dem Fahrstuhl in den 10. Stock fahren und die Aussicht auf Moabit genießen. Ich gebe allerdings zu bedenken, dass es kein offizieller Aussichtspunkt ist.

Zeitspuren und frisch gekochtes Mittagessen

Auf dem Gelände finden sich Spuren verschiedener Bauepochen. Historische Metallschilder, alte Markierungen und Wappen über Türen und Giebeln, Brunnen und Plätze zum Verweilen aus diversen Zeiten.

Zudem ist hier etwas sehr Reales zu finden. Die Kantine des Gesundheits- und Sozialzentrums Moabit, die Ratzfatzsatt heißt. Wochentags gibt es hier von 11 bis 14 Uhr frisch gekochtes Mittagessen zu angemessenen, zivilen Preisen. Abwechselnd in den Kategorien Gut & Günstig, Vegetarisch, Vegan, Deutsch angeboten. Das Besondere ist zudem das Konzept, der Träger, die Lebenswelten Restaurations GmbH. Dieser mehrdimensionale Gastronomie- und Veranstaltungsdienstleister ist zugleich ein Inklusionsunternehmen. Schwer- und schwerstbehinderte Menschen finden hier eine angemessene Arbeitsstelle, die ihrem Alltag Struktur bietet und ihren Lebensunterhalt sichert. Kochen ist zudem für Erfolgserlebnisse bestens geeignet. Man sieht und schmeckt das Ergebnis. Immer montags bis freitags ist die Kantine für alle offen.
Die Lebenswelten GmbH haben zudem Lokale im Berliner Humboldtforum, das Bistro, die Bar und das Forum Café. Ein Beispiel, das Schule machen sollte.
2 Kommentare
Wiedermal ein herzerfrischender Text. Als Exilberliner lese ich die „Frucht“-texte besonders gern. Sie hat einen genialen Schreibstil, informativ, frisch oft erheiternd. Bis jetzt wollte ich unbedingt immer vor lauter Neugier bis zum Ende lesen.
Herzlichen Dank und weiter so…. ; )
Liebe*r Teddy,
Vielen Dank! Ich freue mich sehr über Ihr Lob! Danke!
Mit schönen Grüßen!
Frucht