Eine Feuersbrunst an der Elbe. Eine Hinrichtung auf dem Scheiterhaufen. Welches dunkle Geheimnis hütet Tangermünde? Folgen Sie Theodor Fontane in das Mittelalter und in eine wunderbare Altstadt. Wir erzählen eine Geschichte von Wut, Enttäuschung, Ungerechtigkeit und einem großen Justizverbrechen.
An einem Septembermorgen im Jahr 1617 stieg die Sonne über der Elbe empor. Just an der Stelle, an der auch die Tanger in den breiten, sich zur Nordsee hin ergießenden Strom mündet. Die größte Sommerhitze war bereits vorbei und so glaubten die Bewohner des mittelalterlichen Städtchens zunächst, dass frühherbstliche Nebelschwaden in die engen Gassen waberten. Doch wie schrecklich war wohl der Augenblick, als einige Bewohner begriffen, dass es sich um die Rauchschwaden eines Feuers handelte. Ein offenes großes Feuer roch anders als jene, deren Qualm durch Kamine in den blauen, von morgendlichen Wolken bedeckten Himmel stieg. Kam der Brand gar vom Pulverturm her? Hatte es eine Explosion gegeben? Nein, es war nichts zu hören gewesen außer dem morgendlichen Glockenschlagen der Stephanskirche. Gab es einen Unfall, war es Brandstiftung? Die wenigsten ahnten in diesem Moment, dass von ihrem beschaulichen Städtchen bis zum Abend kaum etwas übrig bleiben sollte. Nur das steinerne Rathaus, die steinerne Kirche St. Stephan, das Elbtor, der Eulenturm und einige weitere Gebäude aus Stein in der Altstadt widerstanden den Flammen. Auch die Burg Tanger trotzte dem Inferno (allerdings wurde sie gut zwanzig Jahre später von schwedischen Truppen niedergebrannt). Gut 600 Häuser sollten an diesem Septembertag zerstört werden. Schnell wurde spekuliert, ob es sich vielleicht um Brandstiftung gehandelt habe; tatsächlich wurde später eine Grete Minde schuldig gesprochen. Sie sollte den Tod (makabere Ironie des Schicksals) ausgerechnet auf dem Scheiterhaufen finden. Dieser dramatischen Geschichte nahm sich der Schriftsteller Theodor Fontane (1819-1898) im Jahr 1880 gut 15 Jahre vor dem Erscheinen von Effi Briest an. Starke Frauenfiguren waren eine Leidenschaft des Schriftstellers, der sich mit realistischen und gesellschaftskritischen Handlungssträngen einen Ruf erwarb, der ihn bis heute zur Schullektüre macht. So wie sich Fontane zu Recherchezwecken im Jahre 1878 in Tangermünde aufhielt, so besuchen auch wir mit dem Reisebus das sachsen-anhaltische Städtchen in der Altmark südlich von Stendal.
Theodor Fontane und die Novelle Grete Minde
So mag sie [Margarete von Minden] deswegen vor endlicher Tödtung auf einem Wagen bis zu der Richtstätte umgeführet, ihre 5 Finger an der rechten Hand, einer nach dem anderen mit glühenden Zangen abgezwacket, nachmalen ihr Leib mit vier glühenden Zangen, nemlich in jeder Brust und Arm gegriffen, folgig mit eisernen Ketten auf einem erhabenen Pfahl angeschmiedet, und lebendig geschmochet, und also vom Leben zum Tode verrichtet werden. Das sind nicht etwa die Zeilen Theodor Fontanes, sondern der Originaltext aus dem grausamen Gerichtsurteil, welches vor über 400 Jahren über Grete Minde gesprochen wurde. Es war noch die Zeit der Hexenverfolgung; und als solche galt die Kräuterfrau, Wahrsagerin und Bettlerin wohl auch. Doch wie einst dem Pferdehändler Hans Kohlhase (verarbeitet in der Novelle Michael Kohlhaas von Heinrich von Kleist) war auch ihr zuvor großes Unrecht widerfahren. Davon wollen wir Ihnen berichten, wenn Sie heute die 2009 errichtete Bronzeskulptur vor dem historischen Rathaus von Tangermünde besuchen. Nicht nur, dass Grete Minde nach einer verworrenen Familiengeschichte (sie entstammte einer angesehenen Patrizierfamilie) um ihr Erbe geprellt wurde. Schlimmer noch: nach heutigem Stand der Forschung handelt es sich vermutlich um grausame Justizwillkür. Brutal hingerichtet für die Verursachung des Stadtbrandes wurde maßgeblich eine Unschuldige. Man wollte der verzweifelten Stadtgesellschaft eine Schuldige präsentieren und man wollte sich zugleich auf sehr unschöne Art von einer Querulantin befreien. Bei Fontane ist sie noch die Brandstifterin, die wilde Grete Minde, die in ihrem Kampf um Gerechtigkeit schließlich zum Äußersten gegriffen hat.
Tangermünde und seine Burg
Tangermünde hat allerdings noch weitere Sehenswürdigkeiten zu bieten. Einen guten Überblick über das heute 10.000 Einwohner fassende Städtchen bekommen Sie, wenn Sie die wiederaufgebaute Burg Tanger besuchen. Hoch oben über Elbe und Tanger liegt sie. Kein Wunder also, dass an einem solchen Standort schon im Jahr 925 eine Burg errichtet worden war. Die Einmündung der Tanger in die Elbe war wirtschaftlich interessant; die Hansestädte an der Elbe können ein Lied vom Zusammenhang von Zöllen, Umschlag- und Liegegebühren und dem damit hervorgebrachten Wohlstand singen. Im 11. Jahrhundert zur Zeit der Staufer war sie sogar Reichsburg. Kurios ist die Geschichte um die zwischenzeitliche Aufgabe der Burg. Sie wurde verlassen, nachdem es Proteste gegen die sogenannte Erhebung des Biergeldes im Heiligen Römischen Reich gegeben hatte. Bier war zu jener Zeit Grundnahrungsmittel mit mehreren hundert Litern jährlichem Pro-Kopf-Verbrauch. Da kam einiges zusammen oder eben auch nicht. Man kann also aus der Geschichte lernen, dass man es sich mit der eigenen Bevölkerung eigentlich nicht verscherzen sollte. Doch als Verwaltungssitz existierte die Burg Tanger weiter. Im Jahr 1640 wurde sie wie bereits berichtet niedergebrannt. Der Dreißigjährige Krieg hatte Europa fest im Griff. Für den Besucher von heute umso erfreulicher, dass die Burg zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder aufgebaut wurde. Auch war nicht alles abgetragen und zerstört worden. Ein Bergfried aus dem 14. Jahrhundert kann heute als Aussichtsturm bestiegen werden. 30-minütige Führungen erfolgen im Sommer und Herbst täglich außer montags um 10.30 Uhr, 11.00 Uhr, 14.00 Uhr, 14.30 Uhr und 15.00 Uhr. Von Anfang November bis Ende April gibt es Gelegenheiten zur Führung um 14.00 Uhr und um 14.30 Uhr. 1,50 € kostet der Wegzoll für den nicht barrierefreien Aufstieg. Für eine exklusive Turm- und Burgführung als Gruppe wenden Sie sich bitte an das Tourismusbüro der Stadt Tangermünde. Dann erfahren Sie auch, dass der Turm später als Getreidespeicher genutzt wurde und so manch anderes Geheimnis, das sich um Tangermünde rankt.
Tangermünde und die Backsteingotik
Wenn Sie ausreichend Zeit haben, laufen Sie noch eine Runde durch die Gassen der oben gelegenen Altstadt. Die ist wegen ihrer Lage übrigens in allen Zeiten nie durch Hochwasser gefährdet gewesen. Besuchen Sie doch die ebenfalls sehenswerten Kirche St. Stephanus; sie ist wie das noch existierende Elbtor aus Backsteinen errichtet; man spricht gar von Backsteingotik. Spannend ist auch ein weiteres Gebäude mit dem schönen Namen Eulenturm. Wahrscheinlich flogen hier schon seit dem Mittelalter zu Zeiten von Grete Minde die nächtlichen Jäger ihre Runden. Es handelt sich jedenfalls um ein Bauwerk, das ehemals zum Stadtbefestigungsring gehörte. Auffällig ist der achteckige Aufbau des gut 25 Meter hohen Turmes. Von dort aus war ein guter Überblick in alle Richtungen möglich, so wie sich das für einen funktionalen Wehrturm auch gehörte. Einen Kerker verbirgt er ebenfalls in seinem Inneren. Die Stadtmauer, in die er architektonisch eingefasst war, wurde leider im späten 19. Jahrhundert abgerissen. Man wollte wachsen und konnte das Material für den Bau neuer Wohn-, Gewerbe- und Gesindehäuser gut gebrauchen. Sie finden auch noch Fachwerkhäuser in Tangermünde und Häuser, die laut Jahreszahl an der Fassade aus dem Jahr 1618 stammen. Das Jahr nach dem verheerenden Stadtbrand, der Grete Minde in die Schuhe geschoben wurde. Aber vergessen sind sie und ihr grausames Ende nicht. Dank der Novelle von Theodor Fontane und der Bronzeskulptur gehört Grete Minde fest zur Stadtgeschichte.
Hinweise
Die Adresse der Burg Tangermünde lautet Amt 1 in 39590 Tangermünde
Für Führungen und Besteigungen des Aussichtsturmes außerhalb der im Text angegeben Uhrzeiten kontaktieren Sie bitte das Tourismusbüro der Stadt Tangermünde. Telefonnummer: 039322-22393 / E-Mailadresse: buero@tourismus-tangermünde.de
Die Bronzeskulptur von Grete Minde steht am historischen Rathaus in der Kirchstraße
Der Eulenturm steht an der Langen Straße Ecke Schäfer Straße. Unmittelbar benachbart liegt auch die Kirche Sankt Stephanus.
Einen Parkplatz für den Reisebus finden Sie am kleinen Hafen an der Tanger; entspannter steht es sich ein kleines Stück weiter südwestlich am Festplatz, gleich gegenüber von einem Wohnmobilstehplatz
Lesenswert
Die Novelle Grete Minde von Theodor Fontane gehört zur Pflichtlektüre bei einem Besuch in Tangermünde