Er war Theaterkritiker, Journalist und Buchautor. Satiriker, Zeitzeuge und scharfer Beobachter.
Entdecken Sie den Kosmos Erich Kästner. Eine Biografie, die sich durch zwei Weltkriege bis ins Nachkriegsdeutschland spannt, wartet darauf, entdeckt zu werden.
Wir besuchen das Erich Kästner Museum in Dresden.
Dresden hat viele bekannte Persönlichkeiten in den Künsten wie Architektur, Malerei und Schriftstellerei hervorgebracht. Über allen thront vom Ruhm her natürlich August der Starke (1697-1706), Kurfürst von Sachsen, König von Polen und verantwortlich für den Dresdener Barock mit seinen prächtigen Gebäuden wie der Frauenkirche und dem Dresdner Zwinger. Die Expressionistin Paula Modersohn-Becker (1876-1907) wäre zu nennen und der 1932 geborene Maler Gerhard Richter. Zu den bekannten und beliebten Söhnen der Stadt gehört auch der Schauspieler Jan Josef Liefers (geb. 1964). Uwe Tellkamp (geb. 1968) sorgte mit seinem Roman Der Turm vor etwa 15 Jahren für Aufregung. Aber ist es nicht faszinierend, wie viele Menschen mit Emil und die Detektive (1929), Das doppelte Lottchen (1949) oder Pünktchen und Anton (1931) aufgewachsen sind. All diese Jugendromane, die stets auch viel mehr sind als einfache Geschichten, stammen aus derselben Feder; und es findet sich vermutlich kaum jemand, der Das fliegende Klassenzimmer (1933) nicht gelesen bzw. vorgelesen bekommen hat. Eine furiose Nachkriegsverfilmung von Kurt Hoffmann hat sich zum deutschen Filmklassiker gemausert.
Erich Kästner und die Familie
Im Zentrum der Dresdener Neustadt liegt das Erich Kästner Museum. Eine Parkplatzvariante für den Reisebus ist der Parkplatz Theresienstraße. Gerade einmal 200 Meter sind es von hier bis zum Albertplatz. Er liegt wie der Smaragd in einem sternförmigen Amulett. Alleen führen von allen Seiten hierhin, auch die Königsbrücker Straße, in der einst die Kästners gelebt haben. Aber dazu später. Der Albertplatz ist nach dem drittletzten König Sachsens benannt, und weil sein Name einer Schriftstellernatur wie Erich Kästner sicher gefallen hat, sei er hier in voller Länge aufgeführt. Von 1873 bis zu seinem Tod im Jahr 1902 herrschte Friedrich August Albert Anton Ferdinand Joseph Karl Maria Baptist Nepomuk Wilhelm Xaver Georg Fidelis als Albert von Sachsen über das barocke Elbflorenz. Aus den Vornamen hätte Kästner vielleicht einen ganzen Plot entwickeln können, so vor Ideenreichtum strotzend, wie nur er es war. Vielleicht hat ihn diese noble Aneinanderreihung von Namen aber auch eher angewidert; schließlich war er in eine sozialdemokratische Familie hineingeboren worden. Sein Vater arbeitete in einer Kofferfabrik, seine ihn liebende Mutter als Friseurin. Erich Kästner (1899-1974) war Einzelkind, das fordert bekanntlich die Fantasie heraus, wenn die Geschwister fehlen.
Es sprudelt vor dem Erich Kästner Museum
Auf dem Albertplatz gibt es zwei große kreisförmige Brunnen, das Stille Wasser und die Stürmischen Wogen. So elbnah wie der Albertplatz gelegen ist, ist das ein passendes Genre. Bis zu den kühlen Fluten ist es etwa ein Kilometer entlang einer prächtigen Allee, die den Namen Hauptstraße trägt. Es handelt sich um eine zum Flanieren beruhigte Fußgängerzone, die am Kügelgenhaus vorbei direkt zum Goldenen Reiter und an die Elbe führt. Aber wir bleiben mit der Reisegruppe heute am Albertplatz und schauen uns weiter aufmerksam um. Wir entdecken ein Schillerdenkmal und einen im 19. Jahrhundert errichteten Artesischen Brunnen. Dabei handelt es sich um eine sprudelnde Quelle, die ihr Wasser tatsächlich aus einer fast 300 Meter tiefen Bohrung speist. Dadurch ist das Wasser so warm, dass der Brunnen auch im Winter betrieben werden kann.
Eine Kindheit in Dresden
Die interessantesten Denkmäler für unseren heutigen Tagesausflug ins Erich Kästner Museum haben wir immer noch nicht entdeckt. Doch jetzt, direkt neben dem Artesischen Brunnen, am Nordende des Albertplatzes jenseits der Bautzner Straße erblicken wir das bronzene Denkmal von Wolf-Eike Kuntsche (geboren 1941). Es stellt einen auf einem Tisch ruhenden Bücherturm dar; inklusive Kaffeetasse und den für Erich Kästner typischen Hut, den er in späteren Jahren in seiner Nachkriegswahlheimat München oft getragen hat. Die Buchrücken sind mit den Titeln der bekanntesten Werke Erich Kästners beschriftet. Hier darf auch das autobiographische Kinderbuch mit dem Titel Als ich ein kleiner Junge war von 1957 nicht fehlen. Darin berichtet Kästner von seiner Kindheit und den Jugendjahren in Dresden, die für ihn abrupt endeten, als er 15-jährig im Jahr 1917 noch für ein Jahr zum Ersten Weltkrieg eingezogen und ausgebildet wurde.
Unbeschwerte Jugend – eine Villa ist jetzt Erich Kästner Museum
In der Nähe der Stürmischen Wogen verläuft eine halbrund geschwungen Mauer, dahinter blüht Flieder und überhaupt gibt es sehr viel Grün. Während wir unseren Blick über die hüfthohe Grundstücksgrenze schweifen lassen, schwingt sich ein Jugendlicher behände über die Mauer. Nein, bei einem zweiten Blick erkennen wir, dass er dort einfach ruht und sitzt. Es ist wahrhaftig der junge Erich Kästner und er ist aus Bronze. Ganz natürlich beobachtet er das bunte Treiben auf dem Albertplatz, so wie er es auch schon in Fleisch und Blut vor über einhundert Jahren getan hat. Davon hat er jedenfalls berichtet in seinem späteren Leben und in seinen autobiografischen Aufzeichnungen. Er war einfach ein aufgeweckter Dresdener Junge, der vor dem Ersten Weltkrieg geboren wurde und Freude hatte, wenn er seinen Onkel, einen wohlhabenden Pferdehändler in seiner Villa besuchte. Diese Villa gibt es noch heute. Sie ruht erhaben hinter dem Gemäuer und in ihr befindet sich heute das Erich Kästner Museum.
Museum der Zukunft? Erich Kästner zum Entdecken
Das Museum ist definitiv anders, als wir erwartet haben. Andererseits auch wieder nicht, denn es ist ja stets eine besondere Herausforderung, Schriftstellerinnen und Schriftsteller würdig zu repräsentieren, wenn die Darstellung über das geschriebene Werk hinausgehen soll. Wie es das Museum selbst anpreist, handelt es sich beim mobilen interaktiven Micromuseum um eine Schnittstelle zwischen Architektur, Kunst, Skulptur, Gebrauchsgegenstand und wissenschaftlichem Arbeitsinstrument. Spannend ist, dass sich die Museumsobjekte, eine Mischung aus beweglichem Schrank, Vitrine und Arbeitsplatz, so zusammenschieben und arrangieren lassen, dass sie grade mal 7 m3 Volumen einnehmen. Das ist in der Tat nicht viel und dem innovativen Museumskonzept des irischen Lichtdesigners und Architekten Ruairí O´Brien geschuldet. Das ist vielleicht nicht jedermanns Geschmackssache, da viel Eigeninitiative und Interaktion gefragt ist. Belohnt wird man aber mit Objekten, erklingenden Textdateien, Fotografien und handschriftlichen Fragmenten. Hinter jeder, oder besser formuliert, in jeder Schublade eine kleine Welt!
Erich Kästner zur Zeit des Nationalsozialismus
Der Satiriker, Aphorismenschreiber und Lyriker von Werken wie Kennst Du das Land, wo die Kanonen blühen? (1927) lebte in der unmittelbar benachbarten heutigen Dresdener äußeren Neustadt, in der Königsbrücker Straße. Nach einem Germanistikstudium mit abgeschlossener Doktorarbeit in Leipzig (1919-1927) ging er nach Berlin. Das wurde seine produktivste Schaffensperiode. Dort wurde er auch 1933 Zeuge, wie Joseph Goebbels (1897-1945) die Namen der Autoren verlas, deren Werke bei der Bücherverbrennung vernichtet wurden. Erich Kästners Name fiel als dritter und er wohnte der Bücherverbrennung seiner eigenen Schriften bei, die den Nationalsozialisten so gar nicht zusagten. Insbesondere sein 1931 erschienener Roman Fabian. Die Geschichte eines Moralisten fiel in Ungnade. Der autobiographisch stark beeinflusste Großstadtroman zeichnete wohl ein zu genaues Bild der Welt, die schon bald von Adolf Hitler (1889-1945) und seiner Gefolgschaft gänzlich umgekrempelt und umgestaltet werden sollte; im Januar 1933 wurde Hitler Reichskanzler durch die Ernennung des Reichspräsidenten Hindenburg (1847-1934). Umso erstaunlicher ist es, dass Erich Kästner (teilweise unter Pseudonym) weiter produzieren und schreiben durfte. So verfasste er beispielsweise 1943 das Drehbuch zum Film Münchhausen, welcher angeblich persönlich von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels in Auftrag gegeben wurde. Wohlwollend könnte man schreiben, dass es sich weniger um ein propagandistisches Werk handelt, Dialoge sind mitunter sogar ironisch oder können direkt subversiv gelesen werden. Es ging wohl eher um eine Leistungsschau des 25-jährigen Bestehens der Berliner UFA – fantastische Zelluloidträume auf Agfa-Farbfilm mit Hans Albers als Baron Münchhausen. Wir verweilen aber noch eine Weile auf der Königsbrücker Straße. Sie können diese nach dem Museumsbesuch weiter hinunter laufen und gelangen so entlang der späteren Wohnorte der Kästners (Hausnummer 38 und Hausnummer 48) zu seinem Geburtshaus (Hausnummer 66). An diesem ist ihm zu Ehren eine Plakette angebracht. Wer also eine Begeisterung für Originalschauplätze zeigt, dem legen wir diese barrierefrei zurückzulegenden 1500 Meter ans Herz. Für den Rest heißt es zurück zum Reisebus und auf zur nächsten Sehenswürdigkeit!
Hinweise
- Das Erich Kästner Museum befindet sich in der Antonstr. 1 in 01097 Dresden
- Führungen gibt es mittwochs zwischen 9.00 Uhr und 13.00 Uhr oder nach Terminabsprache, wenn Sie mit dem Erich Kästner Museum im Vorfeld Kontakt aufnehmen. Das können Sie ganz unkompliziert unter der Dresdener Rufnummer 0351 8045087 oder mit einer E-Mail an kontakt@kaestnerhaus-literatur.de umsetzen.
- Erich Kästner studierte übrigens auch Philosophie, Geschichte und Theaterwissenschaften. In den 50er Jahren bis zu den Anfängen der 60er Jahre war er Präsident des westdeutschen Autorenverbandes PEN. Was für ein vielseitiges Leben. Nach 1965 zog Erich Kästner sich aus dem Literaturbetrieb zurück.
Lesenswert
Wenn Sie bisher vor allem die Kinderbücher Erich Kästners kennen, sollten sie sich unbedingt mal an den autobiografischen Roman über seine Kindheit Als ich ein kleiner Junge war von 1957 versuchen. Auch den Roman Fabian. Die Geschichte eines Moralisten möchten wir Ihnen ans Herz legen. Er ist erstmals 1931 erschienen.