Kennen Sie den sächsischen Robin Hood? Heinrich von Kleist hat ihn in seiner Novelle Michael Kohlhaas gewürdigt. Im Landkreis Nordsachsen hat die wahre Geschichte stattgefunden. Wir besuchen Burgen, Schlösser und Originalschauplätze!
Stellen Sie sich einmal Folgendes vor: Sie reisen, wie Sie es seit vielen Jahren tun, mit einem schicken Reisebus quer durch das Land. Sie besuchen Sehenswürdigkeiten, fahren in die Natur oder machen eine Städtereise, weil Sie eine kulturelle Veranstaltung interessiert. Nicht dass es in Ihren Aufgabenbereich fallen würde, aber der Reisebus hat TÜV, der Fahrer ist ausgeschlafen, der Bus glänzt bei der Fahrt durch die Sonne und alles läuft wie immer. Plötzlich werden Sie angehalten und Herrschaften, die Sie zwar nicht kennen, die aber dafür umso bestimmter auftreten, fragen nach diesen oder jenen Papieren. Sie behaupten, es fehle ein Dokument – das sei jetzt eine ganz neue Regelung und so weiter und sofort – beschlagnahmen Ihren Reisebus und lassen Sie beraubt um Ihren von langer Hand geplanten Tagesausflug zurück. Man versichert Ihnen, Sie erhalten den Reisebus zurück und können Ihren Ausflug fortsetzen, sobald Sie die notwendigen Papiere nachreichen. Ihr Reisebusfahrer erkundigt sich umgehend bei der nächstgelegenen Gemeinde, was es mit der neuen Regelung auf sich habe und bekommt zur Antwort, man wisse von nichts, es sei doch alles bestens mit den Papieren und habe genau so seine Richtigkeit. Es dauert eine gewisse Zeit, bis Sie den Ort ausfindig gemacht haben, wo der Reisebus geparkt wurde – er steht bei einer privaten Firma auf dem Gelände und als Sie dort erscheinen, ist man zwar bereit, Ihnen den Reisebus wieder auszuhändigen, doch was für ein Schock: er ist ganz schön verbeult, der glänzende Lackierung ist völlig dahin und auch innen ist alles zerschlissen und dreckig. Widerwillig setzen Sie die Fahrt mit dem Reisebus fort und drohen mit Konsequenzen. Wären Sie da nicht wütend und aufgebracht? Würden Sie sich nicht um Ihren Ausflug gebracht sehen? Betrogen und belogen? Sie würden mindestens erwarten, dass Sie für den entstandenen Schaden und für die mühsame und teure Rückreise entschädigt werden. Und wenn das aus den absurdesten Gründen alles vergebens wäre, was würden Sie dann tun – würden Sie kämpfen, damit Ihnen Gerechtigkeit widerfährt?
Hans Kohlhase auf dem Weg von Berlin nach Leipzig
Liebe Buskompass-Lesende, wir wollen Sie mit unserer Einführung nicht auf die falsche Fährte führen, sondern heran an die Lebensgeschichte von Hans Kohlhase. Dieser kämpfte im 16. Jahrhundert freilich um viel mehr und in viel ernsterer Angelegenheit. Es ging um seine Rechte, um Gerechtigkeit und letztlich um sein Leben. Einige der Wirkstätten dieser bedeutungsvollen Geschichte besuchen wir bei unserem heutigen Ausflug mit dem Reisebus ins nordsächsische Bad Düben und seine Umgebung. Die erfundene Anekdote vom beschlagnahmten Reisebus dient uns lediglich als Parallele, um die spannende Geschichte von Hans Kohlhase zu erzählen. Dieser war ein Händler aus dem nahe Berlin gelegenen Cölln; historisch handelt es sich um die heute mitten im Berliner Zentrum liegende Museumsinsel, die ganz unabhängig von unserem heutigen Ausflug eine Reise wert ist. Kohlhase war mit Heringen und Speck auf dem Weg zur Leipziger Michaelismesse, dem Vorläufer der Leipziger Messe, deren Ursprünge letztlich bis ins 12. Jahrhundert zurückreichen. Im Jahr 1532 begab er sich mit zwei Pferden über die Mulde bei der Burg Düben, die schon vor etwa 1000 Jahren stand. Natürlich nicht in heutiger Form, dafür gab es zu viele Kriege und Brände, aber immerhin. Er kehrte zunächst in Wellaune im Dorfkrug ein. Vielleicht war viel später auch Napoleon dort, der 1813 nach der Völkerschlacht von Leipzig drei Nächte auf der Burg Düben verbrachte.
Hans Kohlhase und die Burg Düben
Im Dorfkrug in Wellaune traf Hans Kohlhase auf Bauern des Junkers Günther von Zaschwitz, der mit seiner Familie auf dem Rittergut und Schloss Schnaditz lebte. Sie gerieten in Streit darüber, zu welchen Bedingungen Kohlhase passieren dürfe und was er dafür nachzuweisen und zu entrichten habe. Auch wurde er beschuldigt, die Pferde gestohlen zu haben, mit denen er unterwegs war. Jedenfalls endete die Auseinandersetzung so, dass Kohlhase seine Pferde entwendet wurden und als er sie Tage später (nach der Rückkehr aus Leipzig) wieder ausgehändigt haben wollte, waren sie in schlechtem Zustand und Kohlhase sollte Geld für das Futter entrichten, das seine Pferde in der verstrichenen Zeit gefressen hatten. Dazu war Kohlhase nicht bereit, er bekam die Pferde nicht zurück und der Konflikt schaukelte sich hoch. Einen Schlichtungsversuch gab es auf der Burg Düben. Und zwar in jenem Raum des Burgturmes (dieser ist als ältester Teil der Burg erhalten geblieben), in dem heute versucht wird, die vollständige Geschichte von Kohlhase zu rekonstruieren. Wenn Sie den Burgturm aus Fachwerk besichtigen wollen, fällt zusätzlich zu den 5 € (ermäßigt 3 €) für das in der Burg beheimatete Landschaftsmuseum zur Dübener Heide ein weiterer Euro an. Auch ist es möglich, nur den Burgturm zu besteigen. Schließlich sind wir ja genau wegen der Geschichte von Hans Kohlhase hier! Und der Blick aus den oberen Fenstern über die Mulde hinweg entschädigt für den kleinen Aufstieg und lässt verstehen, dass der Fluss hier schon immer mehr als eine schmale Furt war. Die Zwickauer Mulde und die Freiberger Mulde vereinigen sich schon hinter Eilenburg und entsprechend breit strömt das Wasser hier bedächtig vorbei. Der Bau der Burg an dieser Überquerung hat sicherlich auch schon vor Jahrhunderten enorme Bedeutung gehabt.
Hans Kohlhase – sein langer Kampf um die Gerechtigkeit
Die Geschichte von Kohlhase ging spektakulär weiter. Kohlhase rief nämlich eine Fehde gegen das Kurfürstentum Sachsen aus, nachdem Vorsprachen bei Landvögten und vor Gerichten erfolglos geblieben waren. Eine erfolgte Einigung von 1534 wurde widerrufen. Selbst Martin Luther (1483-1546) wandte sich mit einem Brief an Kohlhaas: Könnt ihr das Recht nicht erlangen, so ist kein anderer Rat da, denn Unrecht leiden. Das war sicher kein Vorschlag, der auf offene Ohren stieß, der Kampf um Gerechtigkeit war längst entbrannt. Ob Kohlhase oder seine Mitstreiter (die hatte er inzwischen reichlich um sich gesammelt) für Brandanschläge in Wittenberg verantwortlich waren, blieb letztlich unklar. Klar ist allerdings ein aufsehenerregender Coup, der ihm im Februar 1540 gelang – er überfiel einen Silbertransport des Brandenburgischen Kurfürsten. Der zu Berlin gehörende ehemals eigenständige Ort Kohlhasenbrück am westlichen Ende des Teltowkanals ist nach den Ereignissen benannt, die dort stattgefunden haben. Im Nebel der Geschichte verliert sich allerdings, ob Kohlhaas seine Beute wie ein Robin Hood unter den ärmeren Bauern verteilt, sie am Wannsee versenkt oder doch zu seinem eigenen Vorteil genutzt hat. Jedenfalls war das Maß damit voll und nur wenige Monate später sollte Hans Kohlhase in Berlin hingerichtet werden. Bis zu seinem Tod hat er auf seine Unschuld und auf seinen gerechten Feldzug gegen die Schikane der Obrigkeiten bestanden.
Hans Kohlhase und Heinrich von Kleist
Wenn Ihnen einiges des hier gelesenen sehr bekannt vorkommen sollte, dann liegt es daran, dass Heinrich von Kleist (1777-1811), der Schöpfer des Lustspiels Der zerbrochene Krug, einen literarischen Pflock in die Koppeln des frühen 19. Jahrhunderts geschlagen hat. Gut 300 Jahre nach der wahren Begebenheit schrieb der deutsche Dramatiker die Novelle Michael Kohlhaas. Die war freilich gegenüber der Wirklichkeit reichlich ausgeschmückt. Hans Kohlhase wurde beispielsweise literarisch vom einfachen Händler zum Pferdehändler aufgewertet. Auch kann er sich bei Kleist auf eine riesige Gefolgschaft stützen (ob dem so war, ist unklar), brandschatzt aus Verzweiflung und verliert seine Frau im Kampf gegen die Ungerechtigkeit. Kleist wirft Fragen nach moralischem Handeln, nach der Zulässigkeit von Selbstjustiz und der Gerechtigkeit auf. Schon die Veränderung des Namens von Hans zu Michael zeigt exemplarisch, wie virtuos Kleist vorgegangen ist. Der Erzengel Michael gilt als Engel der Gerechtigkeit. Heinrich von Kleist nahm sich und der unheilbar erkrankten Freundin Henriette Vogel 1811 das Leben. Mit einer Schusswaffe am Kleinen Wannsee. Auch eine Tat, die zu Gedanken über rechtes und unrechtes Handeln anzuregen vermag. Am Ort des Abschieds steht heute ein Gedenkstein.
Hinweise
Mit dem Reisebus empfehlen wir Ihnen drei Standorte bei diesem Tagesausflug. An der Burg Düben finden Sie zwei Parkplätze südlich der Bundesstraße, wenn Sie von Leipzig kommend die Brücke über die Mulde überquert haben. Die Parkplätze gehen von der Leipziger Straße ab. Beim Schloss Schnaditz können Sie ebenso wie am ehemaligen Dorfkrug in Wellaune an Ort und Stelle parken.
Die Adresse der Burg Düben ist Neuhofstraße 3 in 04849 Bad Düben. Das dortige Landschaftsmuseum (und somit auch der Burgturm mit der Ausstellung zu Hans Kohlhase) haben Mittwoch bis Sonntag von 10.00 Uhr bis 16.00 Uhr geöffnet. Von April bis Oktober an Samstagen und Sonntagen von 11.00 Uhr bis 17.00 Uhr. Gegen Aufpreis können Sie auch Führungen außerhalb der regulären Öffnungszeiten buchen; dafür wenden Sie sich bitte unter der Rufnummer 034243-23691 an das Museum.
Die Adresse von Schloss Schnaditz ist Schloss 1 in 04849 Bad Düben. Es befindet sich auf der westlichen Seite der Mulde etwa 3 Kilometer von der Burg Düben entfernt.
Auch der ehemalige Dorfkrug liegt westlich der Mulde. Die Adresse lautet Bad Düben / Wellaune, Dorfstraße 7, 04849 Bad Düben. Da auch der heutige Kohlhaasen-Krug leider geschlossen hat, empfehlen wir Ihnen zum Essen die burgnah gelegene Burgschänke Goldener Löwe; hier gibt es Kartoffel-Gemüse-Pfannen, Steaks, Pommes, Flammkuchen und einiges mehr. Für Gruppenreservierungen können Sie den Goldenen Löwen unter 034243-2860 erreichen. Die Öffnungszeiten sind Mittwoch und Donnerstag von 17.00 Uhr bis 22.00 Uhr, Freitag und Samstag von 17.00 Uhr bis 23.00 Uhr und an Sonntagen von 11. Uhr bis 14.00 Uhr.
Lesenswert und Sehenswert
Eine Ausgabe von Heinrich von Kleists Michael Kohlhaas.
Wer mehr Gefallen an Kinobildern findet und den dänischen Schauspieler Mads Mikkelsen schätzt, kann sich den 2013 erschienen Film Michael Kohlhaas anschauen. Bildgewaltig und wortkarg.
Man sollte sich allerdings bewusst sein, dass sowohl die Novelle als auch der Film recht weit vom historischen Vorbild entfernt sind – aber dafür haben Sie ja nun unseren Artikel gelesen und können die kleine Ausstellung im Burgturm der Burg Düben besuchen.