Industriekultur. Ist das nicht was für gelangweilte Historiker?
Im Gegenteil. Die untergegangene Welt der Industrialisierung wird erlebbar.
Umso mehr, wenn ein Standort wie das Kraftwerk Mitte in Dresden ein neues zweites Leben führt.
Entdecken Sie mit uns Theater, Operette, Kino, Bistros, Museum und den Charme von 125 Jahren!
2016 war es so weit. Zwei Kraftwerke der Kultur schlossen sich kurz, setzten enorme Energien frei und pulsieren seitdem an einem neuen gemeinsamen Zentrum. Dieses Zentrum ist das Kraftwerk Mitte in Dresden. Dem weitläufigen Areal, das Ende des 19. Jahrhunderts errichtet wurde und fast einhundert Jahre Bestand hatte, wurde 1994 endgültig der Stecker gezogen. Nach über zwei Jahrzehnten Stand-by-Modus kam dann aber wieder elektrisierendes Leben in den Dresdener Stadtteil Wilsdruffer Vorstadt. Dieser liegt übrigens nur 1 km südwestlich der Dresdener Altstadt. Ein Klub eröffnete und nach vielem städtebaulichen und finanzplanerischen Hin und Her wurde beschlossen, eine denkmalgerechte Sanierung mit modernen Impulsen umzusetzen. Seitdem ging dann alles recht zügig; jedenfalls bezogen zwei Institutionen, die vorher ihr Dasein am Stadtrand gefristet hatten, das Areal. Zum einen die Staatsoperette, die zuvor ihren Standort in Dresden Leuben hatte. Zum anderen das Theater-Junge-Generation, ein etabliertes Haus mit großer Vergangenheit. Ein Kinder- und Jugendtheater, dessen geschichtliche Spuren fast in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreichen. Das weltweit erste Kindertheater gab es nämlich in Dresden. 1950 wurde das Theater schließlich unter heutigem Namen gegründet, brannte zu DDR-Zeiten nieder, war eine Zeit lang Wandertheater und ließ sich dann am gemütlichen Standort in Dresden Cotta nieder. Letztlich brachte es der über alle Zeiten hinweg fortbestehende Erfolg in die Position, bildlich nach den Sternen greifen zu können. Also einen festen Platz zu finden auf einem ebenso geschichtsträchtigen Areal, dem Kraftwerk Mitte. Eine kleine Welt, die sich im 21. Jahrhundert immer mehr zum Standort für Kultur, Kreativität und Kunst verwandelt hat. Bühne frei!
Das Kraftwerk Mitte und seine Gebäude
Doch geschichtsvergessen wirkt das stolze 12.000 m2 umfassende Gelände mit seinen unterschiedlichen ehemaligen Funktionsgebäuden nicht. Es gab und gibt hier ehemalige Bauwerke für Schaltanlagen oder für die Heizzentrale. Gebäude dienten der Infrastruktur zur Vermeidung von Stromkurzschlüssen (das sogenannte Reaktanzhaus) oder als Büros. Eine Villa für die Leitungsebene gab es sowie ein Pförtnerhäuschen. Alles errichtet in Stilen von Historismus bis zur Neuen Sachlichkeit – Klinkerbauten mit klaren Linien und Fassaden. Typische Fabrikerscheinungen, die landauf, landab viel zu oft abgerissen wurden. Hier in Dresden gibt es sie noch und wir können sie bei unserem Ausflug mit dem Reisebus hautnah erleben. Hier vor Ort gelang der Erhalt zahlreicher Bauwerke (das markante Kesselhaus wurde leider im Jahr 2006 abgerissen) und eine der Moderne angepassten Nutzung. Einer der Nutzer des Geländes ist übrigens die Drewag, der kommunale Energieversorger Dresdens. Er betreibt auf dem Gelände ein Energiemuseum, das einen Besuch lohnt, wenn man sich vielleicht eher für Transformatoren, Spulen und Leitungen interessiert als für den Kulturbetrieb. Wir sehen, die Besucher mit unterschiedlichsten Interessen kommen am Kraftwerk Mitte in Dresden auf ihre Kosten. Im Energiemuseum wird die Geschichte der Dresdener Energie anschaulich gemacht; anhand von vielen Exponaten und aufbereiteten Hintergrundinformationen. Es geht um Fernwärme ebenso wie um Wasser-, Strom- und Gasversorgung. Besichtigungen sind mittwochs von 10.00 Uhr bis 17.00 Uhr und samstags von 13.00 Uhr bis 17.00 Uhr möglich. Auch außerhalb dieser Zeiten können Sie als Reisegruppe (unter der Telefonnummer 0351-8604180) eine Besichtigung mit Führung vereinbaren.
Die Geschichte des Kraftwerk Mitte
Ein paar Fakten zur Geschichte wollen wir Ihnen nicht vorenthalten: die Gebäude wirkten natürlich nicht immer in fast avantgardistischer Spannung zwischen modernen, klaren, hellen Baumaterialien und herausgeputzten Klinkerfassaden. Das Kraftwerk Mitte war über viele Jahrzehnte vor allem ein Ort harter Arbeit. Der Energiehunger der heutigen Landeshauptstadt Dresden entwickelte sich gewaltig, als Straßenbahnen in Betrieb genommen wurden, Straßen- und Geschäftsbeleuchtungen zunahmen und der Zuzug der Bevölkerung unvermindert anhielt. Folgerichtig hieß der Bau damals noch Lichtwerk. Selbst wenn Dresden kaum innerstädtische Fabrikgebäude hatte, die auch danach aussehen durften, musste die anfallende Arbeit natürlich dennoch verrichtet werden. Die ehemalige Tabakfabrik Yenidze ist ein anschauliches Beispiel für eine Flucht in raffinierte Architekturlösungen, die dem reicheren Bürgertum die Wahrheit über das kraftraubende Leben des Proletariats verschleierten. Am Standort Kraftwerk Mitte gab es architektonisch nicht ganz so viel zu verhandeln – viele funktionale Zweckbauten und Hallen wurden benötigt. Errichtet und weiterentwickelt wurden sie aber im Stil der Zeit. Was im Nachhinein als glückliche Fügung gelten dürfte! Nachdem 50 Jahre lang das Gaskraftwerk die Dresdener Gasversorgung an diesem Standort sicherstellte, wurde Ende des 19. Jahrhunderts umgestellt auf Braunkohleverstromung. Im Zuge dieser Umstellung wurde das Elektrizitäts-West-Kraftwerk gebaut – das heutige Kraftwerk Mitte. Erzeugte Energie konnte in den 20er Jahren mithilfe eines am westlichen Stadtrand gelegenen Pumpspeicherwerkes zwischengespeichert werden. Auch zu DDR-Zeiten war es weiterhin ein mit fossilen Energien befeuertes Kraftwerk.
Der Charme vom Kraftwerk Mitte
Wenn Sie sich auf dem Gelände umschauen – und zu entdecken gibt es viel – so lassen Sie sich erfreuen vom weicheren und milderen Antlitz des heutigen Kraftwerks Mitte. Es gibt hier Gemeinschaftsarbeitsräume (Co-Working-Spaces), mietbare Veranstaltungsorte, ein Musikkonservatorium, eine Trickfilmschule und ein Institut für Animationsfilm. Auch das Zentralkino hat hier seinen Standort. Ein Stelldichein der Kreativwirtschaft. Und wo so viel Lebendigkeit aufeinander trifft, braucht es natürlich auch Begegnungsorte und gastronomische Angebote. Natürlich könnten wir Ihnen (und mit größeren Gruppen ist das auch angeraten) das Restaurant Neue Sachlichkeit oder die Kulturwirtschaft empfehlen, aber vielleicht ist Ihnen ja auch nach einem Kaffee auf die Hand oder nach einem raffinierten Imbiss an einem Bistrotisch. Zumindest sollten Sie das T1 Bistro + Café in Betracht ziehen. Unbedingt, wenn die Reisegruppe eher klein ist. Denn sensible schöne Orte verdienen manchmal achtsame Besucher, die nicht in großen Horden über einen Ort herfallen, sondern die sich auch mal Zeit nehmen für Ruhe und einen Moment der Muße. Und als geduldige und erfahrene Busreisende können Sie das bestimmt – somit kommen Sie dann auch in den vollen Genuss der Kleinstgastronomie im ehemaligen Pförtnerhäuschen des Kraftwerk West. Hier ist alles im 30er Jahre Design gehalten und die Zeit wirkt ein wenig wie stehen geblieben – nicht das schlechteste Gefühl für einen Ausflug!
Hinweise
Es gibt eigens einen Busparkplatz am Kraftwerk Mitte. Er befindet sich jenseits der Bundesstraße und der Bahngleise an der Löbtauer Straße 21 in 01159 Dresden. Der barrierefrei zu bewältigende, sehr kurze Weg führt durch eine Unterführung. Außerdem gibt es einen Bushaltepunkt am Wettiner Platz direkt am Kraftwerk Mitte.
Das Kraftwerk Mitte selbst hat die Adresse: Kraftwerk Mitte 1-32 in 01067 Dresden
Lesenswert
2020 ist von Christian Sünderwald der Bildband Verlassene Orte in Mitteldeutschland. Faszination Industriekultur erschienen. Eine wunderbare Annäherung und Vertiefung an Orte wie das Kraftwerk Mitte in Dresden.
Ein Kommentar
Ich finde es wichtig, dass die Heizungsanlage auch
optisch zum Wohnraum passt. Design und Funktionalität sollten Hand in Hand gehen.