Willkommen in Dresden Hellerau! Gartenstadt und Festspielhaus. Architektur vom Beginn des 20. Jahrhunderts trifft auf zeitgenössische Kunst. Wissen Sie, wer den modernen Tanz erfunden hat? Und wo kommt das Möbeldesign der Moderne her? Wir laden Sie ein zu einem abwechslungsreichen Stadtteilspaziergang durch grüne Wohnoasen.
Die Geschichte beginnt mit der großen Weltausstellung von Paris im Jahr 1900. Dort begab es sich, dass ein einzelner Dresdener Werkstättenbetrieb eingeladen war und für Aufsehen sorgte. Was war geschehen? Zwei Jahre zuvor hatte der damals 25-jährige Karl Schmidt (1873-1943) in Dresden Laubegast eine Bau-Möbelfabrik gegründet und nach seiner Gesellenzeit in Dänemark und Großbritannien so einige Ideen in seinem geistigen Gepäck gehabt. Das noch heute als fortschrittlich anerkannte dänische Design hatte offenbar schon damals Inspirierendes zu bieten. Zwei praktische Hände und ein der Reformbewegung anhängendes großes Herz mit Sympathien für Kunst und Kultur hatte er obendrein. Schmidt war mit Leib und Seele Tischler, was ihm letztlich den Aufstieg zum Möbelfabrikanten ermöglichte. Ausschlaggebend dafür war vor allem Folgendes: Schmidts Gespür dafür, dass die gründerzeitlich überladene Architektur und das daran gekoppelte Design mit viel Ornament (also schmückenden und verzierenden Elementen) abgelöst gehörte. Eine Besinnung auf Stile, die letztlich zur Klarheit der Neuen Sachlichkeit führen sollten. Die Bauhausbewegung sei genannt oder die niederländische de-Stijl-Bewegung. Kurz und gut, es sollte abgeräumt werden mit dem Klimbim – weniger ist mehr lautete die Devise. Klare Linienführungen, keine floralen Verspieltheiten. Präzise arrangierte funktionale Flächen statt nutzlosem Zierrat. Das sollte tatsächlich wegweisend werden und eine ganz neue Epoche zu Beginn des 20. Jahrhunderts begründen. Und ein kleines Lämpchen in diesem neu aufgehenden strahlenden Licht war eben der Tischler, der sich später Karl Schmidt-Hellerau nennen sollte.
Gartenstadt Hellerau – die Deutschen Werkstätten gestern und heute
Bei unserem heutigen Ausflug mit dem Reisebus lernen wir die Gartenstadt Hellerau kennen. Sie liegt nördlich der Äußeren Neustadt von Dresden. Wir werden die Deutschen Werkstätten erkunden, durch die Gartenstadt laufen und das Festspielhaus aus dem Jahr 1911 entdecken. Dies gilt heute als Europäisches Zentrum der Künste und ist beispielsweise Standort für eine der bedeutendsten Ballettgruppen Deutschlands. Aber bleiben wir zunächst noch beim Möbelbau. Denn hier an den Deutschen Werkstätten am Moritzburger Weg ist ein möglicher guter Ausgangspunkt für unseren barrierefrei machbaren Rundgang durch den Stadtteil. Außerdem ist das Restaurant Schmidts im ehemaligen Gebäude der Werkstätten untergebracht und ein Aufenthalt dort vermittelt einen guten Eindruck von der vergangenen Zeit. Von der Kalbsschulter bis hin zum Lachs oder zu Saisongerichten wie Kürbis und Steinpilzen wird hier einiges geboten und am besten reservieren Sie sich gleich einen Platz für die Reisegruppe. Karl Schmidt hatte die Fähigkeit, Menschen und Begabungen zusammenzuführen. Schmidt ging auf Künstler, Kunsthandwerker, Architekten und Designer entschlossen zu und holte sich die besten mit ins Boot. So war es beispielsweise der Münchener Jugendstilkünstler und Architekt Richard Riemerschmid (1868-1957), der eine modulare Möbelherstellung entwarf. Das kam den Werkstätten mit ihren modernen Maschinen entgegen; Einzelteile konnten gefertigt und in verschiedenen Kombinationen zusammengesetzt werden. Eine neue Art des Möbelbauens entstand. Zerlegbare Möbel mit herausragender Ästhetik. Die Fertigungsgebäude haben bis heute überdauert. Und gleich auf der gegenüberliegenden Straßenseite können Sie die moderneren Produktionsstätten bewundern. Hellerau war und ist zu allen Zeiten ein besonderer Standort gewesen. Zu DDR-Zeiten wurde hier fortschrittliches funktionales Design entworfen und gebaut und an die großen Betriebe im Land ausgeliefert. Aber auch für das Gewandhaus in Leipzig oder die Semperoper in Dresden wurde produziert.
Die Erfindung der Gartenstadt Hellerau
Weiter geht es durch die Gartenstadt. Was ist das eigentlich? Wir erwähnten anfangs, dass der junge Karl Schmidt auch Großbritannien bereist hat. Und was er dort zu Zeiten der stärksten Industrialisierung und Ausbeutung erlebt hat, hat ihm, dem aus der sächsischen Provinz stammenden Handwerker mit humanistischem Anspruch, die Sprache verschlagen. Enge Hinterhöfe, überall Dreck. Es wurde dicht an dicht direkt an den Fabriken oder in den dunklen Etagenwohnungen verschachtelter Häuserblöcke gewohnt, gelebt und geschlafen. Auch wenig Grün gab es zu sehen für das Proletariat im ausgehenden 19. Jahrhundert. Das Alles hat sich Schmidt anders vorgestellt – und somit geht er auch als sozial und ökologisch engagierter Gründer der ersten Deutschen Gartenstadt ein. Ganz so einseitig war die Lage in Großbritannien natürlich nicht. Auch dort war einem Stadtplaner die prekäre Situation aufgefallen und dieser gilt als der eigentliche Erfinder der Gartenstadt. Sir Ebenezer Howard (1850-1928) entwarf diese Arbeiteroasen, die den schwer schuftenden Menschen ein Stück Würde zurückgeben sollten. Die Möglichkeit zum Anbau von eigenem Gemüse, etwas Ruhe und mehr Licht zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung der Arbeitskraft. Die Wohnverhältnisse waren einfach so schlecht, dass gehandelt werden musste. Und ein Ergebnis dieser Bewegung dürfen wir heute bei unserem Ausflug bewundern. Viele der niedrig gebauten Häuschen, die mal an englische Reihenhäuser denken lassen und mal an fast mondän wirkende Bürgerhäuser. Bis heute wird hier gern gewohnt und gelebt – Gartenstädte erfreuen sich in der ganzen Republik einer großen Beliebtheit. Aber nur wenige sind so gut erhalten und saniert worden wie hier in Hellerau. Immerhin stammen die Gebäude vom Anfang des 20. Jahrhunderts.
Gartenstadt Hellerau – im Zentrum steht das Festspielhaus
Aber ein Besuch in Dresden Hellerau wäre nichts, ohne das Festspielhaus besichtigt zu haben. Schon bei der Annäherung fallen die vier rechteckigen Säulen auf, welche die Frontseite des Gebäudes an einen Tempel erinnern lassen. Der Architekt Heinrich Tessenow (1876-1950) hat dies zu verantworten. Ebenso wie das vielleicht überraschend wirkende Rundfenster mit dem Yin und Yang Zeichen am Giebel. Ein Symbol der Harmonie und des Gleichgewichtes. Darum sollte es auch gehen in diesem als Internat und Bildungsanstalt gegründetem Gebäudeensemble. Und um Energie, Bewegung, Tanz und Rhythmus. Emile Jaques-Dalcroze (1865-1950) gilt als Urheber einer Erziehung, die ganz bewusst auf Musikalität setzte und auf die Ausdrucksform des menschlichen Körpers durch Tanz. Zu vergleichen vielleicht mit der in Deutschland durch die Waldorf-Pädagogik ebenfalls bekannte Praxis der Eurythmie. Eine Methode des Ausdruckstanzes nach dem Begründer der Anthroposophie Rudolf Steiner (1861-1925). Jedenfalls gelang es Karl Schmidt, jenem in Genf lebenden Jaques-Dalcroze samt seiner gesamten ganzheitlichen Bewegungsschule mit gleich fast 50 Schülerinnen und Schülern zu überzeugen, nach Dresden Hellerau umzusiedeln. Mit dem Festspielhaus war ein herausragender und mit der Nüchternheit und Sachlichkeit der Innengestaltung provozierender Neubau entstanden. Ein extravaganter Ort für extravagante Konzepte. Schon zu den ersten Festen und Vorführungen pilgerte deutsche und internationale Künstlerprominenz. Rainer Maria Rilke (1875-1926), Oskar Kokoschka (1886-1980) und George Bernard Shaw (1856-1950) waren dabei, um nur einige zu nennen.
Das Festspielhaus Hellerau – von der Avantgarde bis zum Dornröschenschlaf
Die Geschichte des Gebäudes war wechselvoll und es war keinesfalls selbstverständlich, dass sich ein gradliniger Weg hin zum Europäischen Zentrum der Künste entwickelte. Nach anfänglicher Euphorie, Reformpädagogik, neuer Architektur, Tanz und Kunstavantgarde war 1914 erst einmal wieder Schluss. Der Erste Weltkrieg kam dazwischen und auch Jaques-Dalcroze musste seiner neuen Wahlheimat Dresden Hellerau den Rücken zuwenden. Zwar gab es verschiedene Versuche, das soziale Experiment in veränderter Form weiterzuführen, jedoch unstetig und mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Nach zwischenzeitlichen Wiederbelebungsversuchen war ab 1939 unter den Nationalsozialisten alles ohnehin ganz anders. Gebäudeflügel wurden abgerissen und in den ursprünglichen, lichten, hohen und innen über drei Stockwerke offenen und mit Sprossenfenstern versehenen Hauptsaal wurden Zwischendecken eingezogen. Das Gelände wurde zur Kaserne umgestaltet. Auch nach dem Krieg nutzten die Sowjets das Gebäudeensemble militärisch (noch immer zeugen Wandmalereien aus den 70er Jahren davon) und erst 1992 ging diese lange kunstferne Zeit zu Ende. Von da an wurde Stück für Stück saniert, das Staatsschauspiel Dresden traute sich an das Projekt heran und 1996 kam das Festspielhaus auf die UNESCO Liste wertvoller Gebäude.
Die Gartenstadt Hellerau schmückt sich mit dem Glanz des lebendigen Festspielhauses
Aber wie in Märchen, in denen am Ende alles gut wird, so endet auch das Festspielhaus Hellerau als Erfolgsgeschichte. Und was heißt schon enden – vielmehr ist es eine lebendige Installation, ein Gegenwartsort, ein Aufführungsort für Theater, Performance, Ballett und Ausstellungen geworden. Seit gut 15 Jahren nun wird das Festspielhaus ganzjährig bespielt. So hat beispielsweise die renommierte Dresden Frankfurt Dance Company hier einen ihrer zwei Standorte. Die zeitgenössischen Künste erleben hier in Dresden Hellerau eine neue Blüte. Und falls Sie nicht die Gelegenheit haben sollten, eigens für eine Veranstaltung zum Festspielhaus zu reisen, so legen wir Ihnen doch eine Gruppenführung durch das Gebäude und über das Gelände sehr ans Herz. Um es mit den Worten des Architekten des Festspielhauses Heinrich Tessenow zu sagen: Das Einfache ist nicht immer das Beste, aber das Beste ist immer einfach. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen, dass Sie einen abwechslungsreichen Tag in der Gartenstadt Hellerau verbringen – mit Werkstätten, Wohnsiedlung und Festspielhaus!
Hinweise
Einen Parkplatz für den Reisebus finden Sie am Festspielhaus. Aber auch an den Deutschen Werkstätten sollte das möglich sein. Die Adressen lauten:
Festspielhaus Hellerau, Karl-Liebknecht-Straße 56, 01109 Dresden
Deutsche Werkstätten Hellerau, Moritzburger Weg 68, 01109 Dresden
Wenn Sie an einer Führung durch das Festspielhaus und über das Gelände interessiert sind, nehmen Sie dafür am besten per E-Mail im Vorfeld Kontakt auf (fuehrungen-sachsen@deutscher-werkbund.de) oder rufen gleich unter der Rufnummer 0351-2646246 durch. Ab einer Gruppengröße von 15 Personen können Sie die einstündigen Führungen mit Terminabsprache erhalten; die Preise betragen 6€/Person bzw. 4€/Person, wenn Sie ermäßigungsberechtigt sind. Ansonsten finden jeden Freitag um 12.30 Uhr öffentliche Führungen statt. Wenn also Ihre Reisegruppe nicht ganz so groß sein sollte, können Sie da auch einfach dazu stoßen. Barrierefreiheit ist gewährleistet.
Das Restaurant Schmidt auf dem Gelände der alten Werkshallen der Deutschen Werkstätten am Moritzburger Weg 68 erreichen Sie unter der Rufnummer: 0351-8044883
Lesenswert
Der Förderverein Weltkulturerbe Hellerau hat einen Band herausgebracht, der die gesamte packende Geschichte aufarbeitet. Er heißt Hellerau. Ort der Moderne | Site of Modernity: Kontinuitäten und kontroverse Wechselwirkungen | Continuities and controversial interactions. Das Hardcover Buch ist mit 48€ allerdings vergleichsweise teuer – dafür erhalten Sie aber auch fantastisches Design. So wie es sich für den Standort Dresden Hellerau gehört. Und zweisprachig ist er außerdem. Da können Sie dann auch gleich mal englischsprachige Bekannte mitnehmen zum Ausflug mit dem Reisebus.