Waren Sie schon mal in einer Stadt aus Eisen? Schwankende Türme, monströse Räder und gigantische Förderbänder erwarten Sie inmitten eines Sees. Das ehemalige Tagebaugebiet bei Dessau und Wittenberg lockt in eine vielseitige Ausflugsregion. Ferropolis ist ihr heimliches Zentrum.
Nordwestlich des schönen Naturparks Dübener Heide und südlich von Dessau und Bitterfeld liegt ein faszinierender Ort namens Ferropolis. Die Stadt aus Eisen. Was wie der Name aus einem Science-Fiction-Roman oder aus einem Fantasy-Film klingt, ist auch tatsächlich ein geheimnisvoller und fast monströser Ort. Inmitten auf einer in einen See hineinragenden Halbinsel ragen Stahlträger und riesige rostige Eisenräder in den Himmel. Schienen und Seile aus Stahl verbinden sich zu grotesken Figuren und Formen. Wie Riesen stehen die geheimnisvollen Werke in der Landschaft. Bei Nebel oder diesigem Wetter im Winter lassen sie nur erahnen, wo sie enden, wohin sie führen und was es mit ihnen auf sich hat. Sind es vielleicht Relikte von Außerirdischen, die hier über der sachsen-anhaltischen Landschaft abgeworfen wurden? Oder sind es gigantische funktionslose Kunstwerke?
Ferropolis – Giganten aus Eisen und wie aus der Vergangenheit Gegenwart wurde
Wer die Region kennt, ahnt und begreift schnell: Wir befinden uns an einer touristischen Route mit dem Namen Kohle, Dampf, Licht, Seen. Wir sind mit dem Reisebus an einen gewaltig wirkendenden Standort der Industriekultur gereist. Schaufelradbagger, Absetzer, schwenkbare Türme und Maschinen aus einer verblühenden Zeit ragen hier in den Himmel. Ehemalige Tagebaurelikte von unvorstellbarem Gewicht. Wahre Kolosse stehen hier am Seeufer. Einst war der Gremminer See ein gigantisches Tagebauloch. Seit dem Jahr 2000 wurde er geflutet – inzwischen ist der Prozess abgeschlossen. Wasser aus der Mulde hat den jetzt bis zu 33 Meter tiefen See gefüllt. Über 5 Quadratkilometer Fläche werden von einem fast 15 Kilometer langen Rundweg umschlossen. Am westlichen Ende führt eine Landbrücke auf den langgezogenen Abenteuerspielplatz der fortgeschrittenen Industrialisierungsära. Ähnlich wie im Leipziger Seenland ist hier eine Tagebaufolgelandschaft entstanden, deren Ökosysteme sich erholen und die sich öffnet für Kultur und Zukunft. Inzwischen ist auch der Gremminer See freigegeben für Wassersport und Tauchen. Zum Baden sowieso; wenn auch streng genommen nur an dafür vorgesehenen Stellen. Im Sommer und auch in der Nebensaison sieht man hier Frauen und Männer in Neoprenanzügen auf schwimmenden Brettern stehen und sich mit einem langen Paddel über den See navigieren – Stand Up Paddling nennt sich der seit einigen Jahren existierende Trend, der naturnah und nachhaltig ist und zugleich die Balance schult. Es gibt einen Fahrradverleih und einen Kunstpfad, der vom nahegelegenen Ort Gräfenhainichen nach Ferropolis führt. Gräfenhainichen ist der Geburtsort des protestantischen Theologen Paul Gerhardt (1607-1676) und ist ebenfalls einen Besuch mit dem Reisebus wert.
Ferropolis – vom Tagebau zum Freilichtmuseum
Es gibt zwei Möglichkeiten, sich den Charme und die Faszination von Ferropolis zu erschließen. Variante Eins ist die naheliegende, wenn Sie einen Ausflug mit dem Reisebus zu dieser überregionalen Attraktion planen: Sie nehmen an einer Führung teil und lassen sich die Geschichte der Region und die Funktionen der riesigen Maschinen erläutern. Sie können sich das Gelände auf tolle Art und Weise mit einem Audioguide erschließen. Lediglich 2 € kostet die Ausleihgebühr und dank Lautsprecherfunktion können auch mehrere Personen einem Gerät lauschen. Wir folgen dem Weg des Schutts und Abraums über den dutzende Meter langen Ausleger des Absetzers mit dem Namen Gemini. Zu insgesamt fünf solcher Ungetüme wie Schaufelradbagger und Absetzer wird man geführt. Fantastisch ist es (besonders unter dem Aspekt der Barrierefreiheit), dass der Absetzer Medusa mit einem Aufzug versehen wurde. Überhaupt wurde viel investiert. Es ist klar, dass Eisen rostet. Das macht ja auch einen Großteil der Atmosphäre auf dem Gelände aus. Etwas morbid und vergänglich wirken die Giganten, die in einer Zeit mit Klimawandel und dem Zurückfahren der fossilen Energien irgendwann für immer verschwunden sein könnten. Aber natürlich ist das Verrosten auch eine Gefahrenquelle für die Sicherheit. Die Stabilität und Begehbarkeit ist in Gefahr, werden nicht kontinuierlich Gelder aufgebracht, die in die Hunderttausende pro Jahr gehen. Einen Industriekulturstandort zu erhalten ist eben immer auch eine gesellschaftliche Entscheidung. Wir sind jetzt erst einmal glücklich, dass die Besichtigung aktuell noch möglich ist und bis auf Weiteres gesichert scheint. Wenn Sie zur Zukunft von Ferropolis mehr erfahren möchten, können Sie sich auch an die sehr informierten Führer wenden, mit denen Sie natürlich ebenfalls eine Tour buchen können. An den Wochenenden im Sommer finden diese jeweils um 11.00 Uhr und 13.00 Uhr statt und kosten 3 € pro Person. In den Wintermonaten informieren Sie sich bitte kurzfristig im Vorfeld, ob die Witterungsbedingungen eine Führung zulassen. Eine Besteigung eines 30 Meter hohen eisernen Baggers ist bei Eis und Frost nicht immer die beste Idee. Sie können sich unabhängig von den angegebenen Zeiten auch zu einer geschlossenen Gruppenführung anmelden. Diese sind mit 55 € für eine große Reisegruppe ein wirklich faires Angebot.
Feiern in Ferropolis
Variante Zwei, um sich Ferropolis zu erschließen, kommt für Sie eher in Frage, wenn Sie sich noch im Alter für Musikfestivals fühlen. Wenn man nach dem Alter der Stars auf der Bühne geht (die Rolling Stones touren immer noch), scheint es da ohnehin kein Ausschlusskriterium nach oben hin zu geben. Der 1991 stillgelegte Tagebau, der heute auch auf der Europäischen Straße der Industriekultur liegt, wurde aufgrund einer Idee vom Bauhaus Dessau zum Freilichtmuseum mit Industriekultur entwickelt. Das machte neugierig und lockte schließlich auch private Investoren. Spätestens seit Ferropolis im Jahr 2000 Expoprojekt war und dort ein erstes klassisches Konzert auf die Beine gestellt und auf die Bühne gebracht wurde, war die Vision klar: Die Flutung begann und die Idee einer Insel mit einer großen Konzertbühne nahm Gestalt an. Als Pionier ist hier das noch heute existierende und erstmals schon 1999 in Ferropolis stattfindende Melt-Festival zu nennen. Auch das Splash-Festival hat im Jahr 2023 in Ferropolis bereits sein 25-jähriges Bestehen gefeiert. Inzwischen pilgern jedes Jahr in Summe weit über 100.000 Besucherinnen und Besucher zu den unterschiedlichen Musikfestivals. Es ist manchmal Popkultur, aber es kann auch Rock, Metal oder Elektronik sein. Das unwiderstehliche Ambiente der Stadt aus Eisen ist anschlussfähig an viele Musikstile. Wir waren heute froh, ohne den ganzen Rummel vor Ort gewesen zu sein und die Industriekultur von ihrer ehrlichsten Seite kennengelernt zu haben. Wir freuen uns auf ein Wiedersehen in Ferropolis auch in den nächsten Jahren.
Hinweise
Das Gelände Ferropolis erreichen Sie von der Paul Gerhardt Stadt Gräfenhainichen aus, wenn Sie von der B107 in Richtung Jüdenburg an einem Autohaus rechts abbiegen und den Schildern folgen.
Kontakt für weitere Informationen und vor allem für das Buchen von Führungen über die E-Mail-Adresse info@ferropolis.de / Oder Sie wählen die Telefonnummer: 034953-35120.
Lesenswert
Es gibt eine lieferbare Festschrift mit dem Titel Ferropolis – Stadt aus Eisen. Allerdings ist diese im 2005 gedruckte Ausgabe doch ziemlich veraltet und eher historisch interessant. Den Stand von heute bildet sie nur bedingt ab. Dann vielleicht doch lieber gleich den Reisebus mieten und hinfahren!