Wie aus Lehmboden Keramik wird und wie ein stolzes Handwerk nach 300 Jahren fast in die Knie ging, erfahren wir im Töpferdorf Tellingstedt. Ein Töpfermeister wie aus dem Bilderbuch, eine ehemalige Töpferei und ein modernes Keramikstudio warten auf unseren Besuch. Schleswig-Holstein liegt nicht nur nah am Wasser, es ist auch aus Lehm gemacht.
Was für schöne bunte Sachen / kann ich nicht aus Ton Euch machen! / Wenn ich meine Scheibe drehe, / meiner Hände Werk besehe, / Das hier um und bei mir liegt, / O, so bin ich hochvergnügt! Diese Zeilen stammen von dem eher unbekannten norddeutschen Dichter und Heimatforscher Ernst Bock (1880-1961) aus dem Jahr 1926. Er setzte in seinen kleinen Texten und Gedichten alten traditionellen Berufen ein sprachliches Denkmal. Hier ist es die Zunft der Töpfer, vor denen er sich verneigt. Ob das bei der Arbeit allerdings immer so freudvoll ablief, darf bezweifelt werden; zumindest seit Mitte des 19. Jahrhunderts stand das Handwerk ökonomisch in Norddeutschland und überhaupt sehr unter Druck. Durch die Industrialisierung war man nicht mehr sehr konkurrenzfähig, wenn man in Kleinstbetrieben produzierte. Außerdem gab es zunehmend Geschirr aus Blech; natürlich war auch dies preiswerter. Und so wurde vielerorts der Weg vom produzierenden Gewerbe über das Kunsthandwerk bis zur Aufgabe der Tätigkeit beschritten. Eine solche durchaus tragische Geschichte wollen wir Ihnen auch bei unserem heutigen Besuch im Töpferdorf Tellingstedt im Kreis Dithmarschen erzählen. Aber selbstverständlich gibt es auch Hoffnung!
Ein Denkmal für das Töpferdorf Tellingstedt
Den Töpfern wurde allerdings nicht nur ein sprachliches Denkmal gesetzt. Am Anfang der Töpferstraße (wie könnte es anders sein) steht an einem spitzwinklig zulaufenden winzigen Platz ein Podest aus grauem Stein. Darauf ist aus demselben Stein ein Töpfer bei der Arbeit dargestellt. Die Töpferscheibe scheint sich fast vor ihm zu drehen, während er mit geschicktem Griff einen Krug zieht und zeitgleich die untere Scheibe mit dem Fuß antreibt. Die Kraft und Bewegung wird dabei auf die obere Scheibe übertragen, damit die typische Rotation zustande kommt. Die Nachbildung wirkt realistisch und wenig abstrakt. Auch der steinerne Junge, der dem mittelalten konzentrierten Töpfer zur Seite gestellt ist, gibt der Szenerie etwas Lebendiges und Realistisches. Der Knabe ist barfuß und in kurzen Hosen. Sehr aufmerksam verfolgt er, wie der Töpfer arbeitet. Der Töpfer ist nicht irgendwer. Dargestellt ist der Töpfer, der als letzter vor dem Zweiten Weltkrieg das Töpferhandwerk hochhielt im Töpferdorf Tellingstedt. Schon 1920 war er der Töpfer des letzten Betriebes im Ort gewesen (von ehemals 17 Töpfereien) und von da an wurde es nicht gerade leichter. Der Töpfer Reimers musste zunehmend von Gebrauchs- auf Kunsthandwerksprodukte umsteigen; er war eigentlich pleite, aber der Kreis Dithmarschen beschäftigte ihn und drei Keramikmalerinnen fortan weiter, um die stolze Geschichte des Töpferns im Töpferdorf Tellingstedt hochzuhalten. Geht man nach alten Fotografien, sah Reimers in seinen späten Jahren ein wenig aus wie der bekannte Meister Eder aus der erfolgreichen Fernsehserie Pumuckl. Mit weißem Schnauzer und von eher kräftiger Statur mit gemütlicher, ruhiger Ausstrahlung kann man sich gut vorstellen, wie er tagein, tagaus im tonbefleckten Kittel vor seiner Töpferscheibe saß und Krüge, Milchtöpfe, Schalen, Vasen und Blumentöpfe zog und formte. Mit nassen Fingern im feuchten Ton hantierend nahm Gestalt an, was über Jahrzehnte seinen Händen als Erfahrung eingeschrieben war. Und so wie der kleine Klabautermann Pumuckl seinen Meister Eder stets auf Trab hielt, so mag auch der alte Reimers von Gesellen umgeben gewesen sein, die vielleicht das ein oder andere angestellt haben und denen es noch an Erfahrung mangelte. Wer selbst schon einmal mit Ton gearbeitet hat, weiß, dass eine gewisse Erfahrung dazugehört, möchte man nicht, dass der Ton von der Töpferscheibe durch den Raum geschleudert wird. 1938 verstarb der alte Reimers übrigens und ihm blieb das größte Schleudertrauma der deutschen Geschichte erspart.
Das Töpferdorf Tellingstedt hat eine alte Töpferei und ein modernes Keramikstudio
Tellingstedt liegt etwa 20 Kilometer nördlich von Wacken und ebenso weit östlich von Heide. Von Hamburg aus gesehen bietet es sich als Zwischenstopp bei Reisen nach Nordfriesland und auf die Halbinsel Eiderstedt an. Das Töpferhandwerk hat viel zu tun mit der Landschaft, die wir im Kreis Dithmarschen vorfinden. Unweit der Küste war und ist es stets feucht, es gab und gibt lehmige Böden, Moore und die der Region den Namen gebenden Marschlandschaften. Feuchte Wiesen also, die sich vor sehr langer Zeit nur bedingt zur Landwirtschaft und Schafzucht eigneten. Mit der Zeit wurde das aber viel besser, da seit Jahrzehnten und Jahrhunderten an Entwässerungssystemen gearbeitet wird. Viele kleine Bäche, Flüsse und Kanäle durchziehen die Region. Einer der größten Flüsse ist die 10 Kilometer nördlich vom Töpferdorf Tellingstedt vorbeifließende Eider. Der Ort, den wir heute besuchen, ist nicht groß und so können wir entspannt am Ortsrand parken, bevor wir uns auf Erkundungstour begeben. Vom Zentrum aus dort, wo sich Hamburger Straße und Hauptstraße kreuzen und von wo aus es nicht weit zum Töpferbrunnen an der Töpferstraße ist, dort lässt es sich gut weiter nach Westen spazieren. Dann kommen wir nämlich zur Alten Töpferei. Ein Haus aus dem Jahr 1928 (darauf verweisen die ins Mauerwerk unter dem Giebel eingelassenen Jahreszahlen), welches als Töpferei diente. Ein Feldsteinmäuerchen vor dem Häuschen, die grün gestrichenen Fenster- und Türrahmen auf weißem Grund und das leicht überdachte Eingangsportal machen den Ort sympathisch. Heute ist hier eine Kinder- und Jugendwohngruppe untergebracht. Vielleicht hat das Töpferhandwerk auch an diesem Ort noch einen festen Platz. Einen eben solchen hat es im Keramikstudio an der Husumer Straße. Hier arbeitet noch immer eine dem Material treu gebliebene Künstlerin aus der letzten Generation vor der offiziellen Schließung der letzten Töpferei im Jahr 1999. Auf Anfrage lässt es sich besuchen; das Keramikstudio ist Verkaufs- und Ausstellungsraum. Und etwas über die lange Geschichte der Töpferei im Töpferdorf Tellingstedt lässt sich hier ganz sicher auch erfahren.
Noch mehr Sehenswürdigkeiten im kleinen Töpferdorf Tellingstedt
Wenn Sie jetzt denken, das Töpferdorf Tellingstedt habe wirklich nur Gefäße und Geschichten aus und vom Ton zu bieten, dann täuschen Sie sich. Ebenso typisch für eine große Region, die sich vom südlichen Dänemark bis nach Schleswig-Holstein zieht, sind Kirchen ohne Kirchtürme. Das ist im Grunde nicht ganz korrekt. Vielmehr stehen die Kirchtürme neben den Kirchen – es sind die sogenannten Glockenstapel. Eigentlich ein sehr pragmatisches Wort, wird doch sehr genau und hemdsärmelig beschrieben, was ihre Funktion ist. Hier werden die verfügbaren Glocken aufeinander geschichtet; allerdings so, dass sie noch wunderbar läuten können, versteht sich. Der älteste Glockenstapel von Schleswig-Holstein steht im Ort Delve im Kreis Dithmarschen und stammt aus dem 14. Jahrhundert. Ursachen für die separat stehenden Glockenstapel gibt es mehrere; in den feuchten Marschlandschaften war das Gelände oft nicht so fest, dass es einen schweren Glockenturm plus Kirche hätte tragen können. Insbesondere nicht, wenn der Kirchturm aus Stein erbaut wurde. Und überhaupt waren auch die Steine vielerorts ein Problem. Sie waren nicht so reichhaltig und gut abbaubar wie in anderen Regionen. Schließlich sollten die Kirchen nicht einstürzen, oder gar versinken. So etwas hatte es an den Küsten schon gegeben; vor den Deichen der Halbinsel Eiderstedt ist vor Jahrhunderten ein ganzer Ort im Meer versunken. Der Legende nach hört man in manchen Nächten noch immer die Glocken von Rungholt vom Grund des Wattenmeeres im Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer läuten.
Hinweise
Das Töpferdenkmal steht am Beginn der Töpferstraße in 25782 Tellingstedt.
In der Alten Töpferei befindet sich heute eine Kinder- und Jugendwohngruppe. Das Gebäude kann also nur von außen besichtigt werden. Es befindet sich in der Westerborstel Straße 32.
Die Kirche Sankt Martin mit dem Glockenstapel finden Sie am Kirchplatz 12.
Besichtigungen des Keramikstudios (Ausstellungs- und Verkaufsraum) nur nach telefonischer Anfrage und Terminabsprache. Rufnummer: 04838-929 Es befindet sich an der Husumer Straße 29. Es gibt dort keine Parkmöglichkeit für einen Reisebus.
Wunderbare Torten und einen Kaffee bekommen Sie im Snövit Café an der Hauptstraße 20 direkt an der Gabelung zur Töpferstraße, wo sich auch das Töpferdenkmal befindet.
Lesenswert
Es gab tatsächlich mal ein kleines Buch mit dem Titel Zu Besuch in der Tellingstedter Töpferei. Leider ist dies wie das Töpferhandwerk im Töpferdorf Tellingstedt nahezu nicht mehr verfügbar. Am besten ist also, Sie versuchen sich vor oder nach einem Besuch im Ort einmal selbst an der Töpferscheibe.